Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

DOI Artikel:
Scheffers, Otto: Über die Richtung des Ornamentes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0252

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
234

INNEN-DEKORATION

CAM WITZMANN— WIEN.

Schlafraum Dr. K. R.— Wien. Ausf ührung: A. Legerer— Wien.

verkehrt fallenden Karniesen (unten ausgebaucht, oben
eingezogen) und bei (8.) Rundstäben nach oben.

Die gewöhnliche Erklärung, man habe sich vor-
zustellen, die Blätter wüchsen aus der Wand heraus,
erscheint mir nicht ganz stichhaltig zu sein; denn erstens
würde das Herauswachsen aus der Wand am Kranz-
gesimse beim umgekehrten Karnies (Fall 3) durch auf-
wärts gerichtete Motive besser als durch abwärts ge-
richtete und am Sockel bei verkehrt fallendem Karnies
(Fall 7) besser durch abwärts gerichtete Blätter zum
Ausdruck gebracht werden können (ganz entsprechend
den Fällen 1 und 5); zweitens müßte man beim so-
genannten lesbischen Kyma und beim Echinus der
dorischen Säule in Gedanken die Profillinie so weit
nach hinten zu verlängern, bis sie wieder am untersten
Punkt des Profiles anlangte, dieser Gedanke aber stünde
im Widerspruch zu der Form der darauf dargestellten
Blätter und in noch größerem zu den auf diesen
Profilen oft angewandten Palmetten, die nur halb sicht-
bar sein dürften; der Erklärung widersprechen drittens
gewisse altägyptische und indische Säulen, deren ab-
wärts gerichteten Kapitälblätter am oberen Ende einen
deutlichen Knick bekämen, wenn man sie nach hinten
zu, wie es nach dieser Erklärung nötig wäre, bis zum
Schaft entsprechend verlängerte.' «-1

Zwangloser ist folgender Gedankengang: Vergleicht
man Hohlkehlen mit Rundstäben, so fällt einem auf,
daß die letzteren im allgemeinen schwerer als die
ersteren wirken. Ein Karnies erscheint daher um so
schwerer, je mehr daran der ausgebauchte, um so

leichter, je mehr der eingezogene Teil betont ist.
Ebenso nun, wie wir in eine Form mit einem breiten
und einem spitzen Ende den Ausdruck einer Bewegung
nach der Spitze zu legen, erscheint uns eine Form ein-
seitig gerichtet, sobald sie ein schweres und ein leichtes
Ende hat; denn das Schwere stellen wir unwillkürlich
in eine Linie mit dem Massigen, das Leichte mit
Spitzen. Dementsprechend schieben wir jedem Karnies
eine Bewegung unter, die vom ausgebauchten nach dem
hohlen Teil hin gerichtet ist, und wir empfinden es als
einen Widerspruch, wenn darauf Blätter in entgegen-
gesetzter Lage angebracht sind. Bei Karniesen ist man
also nie im Zweifel über die Richtung. Bei Hohlkehlen
wird man in den Fällen 1 und 5 sich allerdings von
dem Gedanken leiten lassen, daß ein ganz unvermitteltes
Herauswachsen aus der Luft gar zu unnatürlich wäre,
endlich bei Rundstäben, die nur selten genau kreis-
förmig im Querschnitt sind, wird man die Richtung
von dem stärker gekrümmten — der bei Kranzgesimsen
meist oben, am Sockel meist unten liegt — nach dem
mehr gestreckten Teil zu verlaufen lassen, also beim
Echinus dorischer Säulen nach unten. In den Fällen,
wo der Rundstab fast genau kreisförmig ist, wird man
ein richtungsloses Motiv wählen oder ein solches, das
ein seitliches Fortlaufen ausdrückt. So ergeben sich
hier ganz von selbst Formen wie das Flcchtband, die
seitlich gerichtete Sparrenbahn, der mit Bändern um-
wickelte Lorbeerkranz usw. Aufgabe des modernen
Künstlers ist es, diese althergebrachten Motive durch
neue, eigenartige Formen zu ersetzen.
 
Annotationen