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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Vogt, Adolf: Folgen des neuen Kunstschutzgesetzes für das Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0288

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INNEN-DEKORATION

dazu, daß bei Gebrauchs-Gegenständen nie ein Zweck allein
verfolgt wird. Die Vase z. B. soll nicht bloß Wasser in ihrem
Bauche fassen, sie soll auch sicher stehen. Wird die eine oder
die andere Forderung mehr betont, so ergibt das sofort eine
andere Form. Es sind unendlich viele Kombinationen
unter jenen Zweckforderungen möglich, somit auch
unendlich viele - reine Zweckformen. Daß die Ver-
schiedenheiten von Material und Technik diese Möglich-
keiten multiplizieren, braucht nur angedeutet zu werden.

Indem feinen Abwägen und Ausgleichen der verschiedenen
„Zwecke" wird der Künstler mindestens ebenso sich aus-
zeichnen können wie bisher in der Erfindung von formalen
Willkürlichkeiten und Ornamenten. Und die Erzeugnisse
des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie werden dann
mindestens ebenso reizvoll und „schön" sein wie bisher.
Aber für alle die Künstler, die in diesem Sinne arbeiten
und für alle die Erzeugnisse, die aus diesem Geist geboren,
wird das neue Urheberrecht mit seinem so liberal ge-
dachten Schuß nicht existieren.

Weite Gebiete des Kunstgewerbes sind schon
heute ungeschüßt. Namentlich alle die, in denen die
formalen Elemente nur untergeordnete Bedeutung besißen.
Das Geseß schüßt nur die Form, soweit sie individuell ge>
staltet ist. Eigenart in Farben- und Stoffzusammenstellung,
neue Dekorationsmotive fallen z. B. nicht darunter. Sie
sind vogelfrei. Dadurch sind gerade die originaleren Künstler
benachteiligt, denen wirklich Neues einfällt; denn ihre
Kompositionsprinzipien (das eigentlich Wertvolle, das sie
gefunden haben) dürfen von jedermann übernommen werden.
Wer einen guten Farbensinn hat, ist benachteiligt gegen-

über dem Ornamentzeichner, dessen geringste Einfälle
geschüßt sind. In der Textilkunst besteht die Wirksamkeit
des Künstlers oft ausschließlich in der Wahl der Farben
und in der geschmackvollen Zusammenstellung von Stoffen;
troßdem sind seine verdienstvollsten Leistungen auf diesem
Gebiet schußlos. Auch in der neuen Buchkunst wird man
sehr selten von einer bestimmten schußfähigen Form sprechen
können. Die Kunst liegt hier in der Zusammenstellung von
Papier, Type, Schriftspiegel, Material und Farbe des Ein-
bands. Wie das zu einer künstlerischen Einheit gestimmt
ist, macht den kunstgewerblichen Wert des Buches aus.
Nach dem Geseß darf aber die oft unter erheblichen Opfern
gefundene Lösung von jedem, der will, imitiert werden. Und
so fort durch das gesamte Kunstgewerbe!

Um hier abzubrechen (denn die Unzulänglichkeiten des
neuen Kunstschußgeseßes sind damit lange nicht erschöpft):
Das Geseß ist faktisch so gut wie unnüß. Es schüßt
die formale Willkür, die Zeichnerkunst, von der wir doch
loskommen wollen. Es schüßt nicht die Qualitäten der Aus-
führung, es schüßt die reinen Zweckformen nicht und nicht
die neuen Gestaltungsprinzipien, die originellen Farben- und
Stoffkombinationen, lauter Dinge, die wir höher werten als
alle formalen Künsteleien. Das Nachempfinden und Variieren,
unter dem wir am meisten litten, konnte es ebenfalls nicht
einschränken. Man darf also ruhig behaupten, das Kunst-
gewerbe hatte keinen Vorteil von dem Geseß, dessen Be-
deutung zuerst weit überschäßt worden ist.

Aber es scheint, daß das „geistige Eigentum" im
Kunstgewerbe auf legislatorischem Wege über-
haupt nicht zu schüßen ist. adolf vogt.

korb-möbel. crosse berliner ausstellung i 908.

Aitsführting: Willi Heinemann—Berlin.
 
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