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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Michel, Wilhelm: Unzweckmässigkeiten
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Scheffers, Otto: Ein Beitrag zum Städtebau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0306

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288

INNEN-DEKORATION

sich beim kunstge-
werblichen Schaffen
niemals um die rein
intellektuell erkenn-
bare Zweckmäßigkeit
allein handeln könne.
Ein vollendet guter
Gebrauchsgegenstand
soll nicht nur zweck-
mäßig sein, sondern
auch so aussehen.
Und dieser Formu-
lierung noch vorzu-
ziehen ist die fol-
gende : Bei jedem
geschmacklich guten
Gebrauchsgegenstand
soll der Zweck die
Rolle des zu verar-
beitenden, des zu ge-
staltenden Rohstoffes
spielen oder gespielt
haben. Ein Stuhl,
ein Schrank, eine
Treppe — sie können
und dürfen nichts
anderes sein als ge-
stalteter Zweck. —
Wenn ich nun für
die erwähnten un-
möglichen Stühle äs-
thetizistische Tenden-
zen verantwortlich
mache, so will ich
damit sagen: Hier
wurde nicht ein Zweck
gestaltet; sondern ein
Zweckgebilde ward
zum Vorwand ge-
nommen , um eine äußerliche dekorative Linie
Erscheinung treten zu lassen. Was diese geraden
lehnigen Sitzungeheuer an ästhetischem Reize
stammt nicht aus bewältigtem, sondern aus

archit. a. karst und
h. fanghänel cassel.

waltigtem Zweck, es
stammt von auß en h er,
genau wie die sprach-
lichen Reize in den
Werken der jungen
Wiener von außen
stammen, nicht aus

kunstgewordenem
Leben. Wie aber
heute das literarische

Ästhetentum be-
kämpft wird, so muß
auch dem kunstge-
werblichen Ästheten-
tum der Krieg ge-
macht werden. Das
ist ein Kampf gegen
zwei Fronten: einmal
gegen ästhetizistische
Windbeutelei, das
anderemal gegen na-
turalistische Roheit,
hier gegen das eman-
zipierte Ornament,
gegen oberflächliche
Schönrednerei, dort
gegen puristische

Phantasielosigkeit.
So »einfach« jene
inkriminierten Stühle
auch sind — kein
Ornament verziert sie,
nicht die leiseste
Schweifung biegt die
ewige Gerade — sie
sind als Ganzes
bloße Dekoration und
insofern dem Jugend-
stil nahe verwandt.

in die Was zwischen beiden Verfehlungen in der Mitte

hoch- steht, ist eine Kunst des Ausdrucks, die Leben-
haben, diges Gestalt werden läßt durch das Werkzeug der
verge- Phantasie. — wilhelm michel—München.

Versilberter Beleuchtungskörper eines Salons.
Ausführung: Firma K. A. Seifert—Mügeln.

EIN BEITRAG ZUM STÄDTEBAU.

Aus den frühesten Tagen meiner Jugend, die ich in einer
l großen norddeutschen Handelsstadt verlebte, haftet
ein hägliches Bild von der Innenseite der Häuserblöcke
unauslöschlich in meiner Erinnerung. Noch sehe ich die
lodderige, unverputzte Kehrseite der Häuser mit den Hun-
derten von Scheuerlappen und Wischtüchern vor den
Küchenfenstern, die vielen Hinterhäuser und Schuppe» für
Kohlen, Holz, Torf, Felle, Tabak, Getreide, Heringe usw.,
die angebauten Aborte, die geteerten Planken, deren Löcher
und Ritjen uns Knaben beim Klettern wohl zustatten kamen,
die Fässer, Eimer, Leitern, Latten, Haufen von Lumpen,
altem Eisen, zerbrochenen Töpfen in allen Ecken, den
Schmutj auf den Höfen, die Ratten, die sich darin wohl
fühlten, usw. Inzwischen kam ich in manch eine Großstadt;
ganz so schlimm, wie in dem eben geschilderten Falle, traf
ich es nicht überall an, aber nirgends bot die Kehrseite

der Häuser und der eingeschlossene Raum dem Blicke ein
auch nur einigermaßen erträgliches Bild, geschweige denn
eine Augenweide. Wohl sah ich Häuserblöcke mit gut ver-
putzten und sauber gehaltenen Kehrseiten, wo das Garnieren
der Fenster mit Scheuerlappen nicht zur Regel gehörte,
wo Hintergebäude nur Ausnahmen bildeten und wo das
Areal der Hauptsache nach mit Gärten belegt war, aber
überall wurde das Gesamtbild durch affenkastenartige An-
bauten an den Küchen, durch hohe Planken und Mauern
zwischen den Gärten, durch zahlreiche Brettverschläge,
genannt Gartenlauben, und anderes entstellt. Unsere Groß-
städte mit ihren luxuriösen Straßenzügen und den vernach-
lässigten Innenseiten der Häuserblöcke erinnern eben lebhaft
an die Wohnung des Parvenüs, der alles für den Salon und
nichts für Wohnzimmer, Schlafraum und Küche tut. „Vorne
fix und hinten nix!" gilt noch immer als Losung bei der
 
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