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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Breuer, Robert: Michelangelo - Der Zerstörer des Raumes, [1]: ein Beitrag zur Entwicklungs-Geschichte der Innen-Dekoration
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0326

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308

INNEN-DEKORATION

PROFESSOR JULIUS DIEZ—MÜNCHEN.

Wandbemalung der offenen Hallen,

Michelangelo - Der Zerstörer des Raumes.

Ein Beitrag zur Entwicklungs-Geschichte der Innen-Dekoration von Robert Breuer.

Das Kunstgewerbe hat sich zur Raumkunst empor
entwickelt. Jede Einzelheit, jedes Gerät und jede
Dekoration, soll dazu dienen: das Räumliche zu ver-
deutlichen, zu festigen. Wir haben das Wesen der
Wand wieder begriffen; wir wollen mit allem Schmuck,
den wir ihr geben, ihre abschließende Funktion stärken.
Diese Erkenntnis bedeutet den Tod des Barocks. Wir
können von nun an nichts mehr beginnen mit einem
formalen System, dessen Prinzip die Raumauflösung ist.
Um hierüber volle Klarheit zu gewinnen, dürfte es auch
für den modernen Künstler nicht übel sein, einmal
genauer die Natur jener Dekoration kennen zu lernen,
der Michelangelo Meister und Zerstörer zugleich war.

Ein wesentliches Merkmal aller Renaissancekunst
sind die Beziehungen des einzelnen Werkes zu dem
herbergenden Raum und der tragenden Wand: die
dekorativen Funktionen des Werkes. In dem Maße, wie
die Malerei danach strebte, das Gemälde zum Raum
zu erweitern, mußte aus der flächigen Dekoration sich
die Auflösung der Wand ergeben. Je bewegter die
Plastik wurde, desto mehr emanzipierte sie sich von
der Rolle eines erst sekundär Geltung habenden Mittels,
desto konsequenter wandelte sie sich vom Schmuckwerk
zum Architekturglied (aus dem Reliefschmuck wird die
Karyatide); schließlich bewirkt auch sie eine Zerstörung
des Raumes. — Man erinnere sich der raumschmücken-
den Art des Luca della Robbia und vergleiche damit
Michelangelos Neue Sakristei bei S. Lorenzo, ein an
sich »leichtes und herrliches Gebäude«. Statt diskret
verteilter Akzente, die den architektonischen Absichten
dienen wollen, finden wir hier ungeheuere, sich ihrer
absoluten Selbständigkeit bewußte Giganten, die wie ein
grandioses Hebelwerk bereit sind, den Raum aus-

einander zu sprengen. Wenn diese Gestalten sich
wälzen (und eigentlich wälzen sie sich perpetuierlich),
so spotten sie der Mauern. — Die Malerei macht die
Wand illusorisch und zerstört dadurch das Wesen des
Raumes: die Begrenzung. Die Plastik stößt und rüttelt,
preßt und zerrt alles Feststehende, so daß die Archi-
tektur in Fluß gerät. Das Können wird zur Virtuosität,
die Malerei wird zur Plastik. *) So charakterisiert sich
zu verschiedenen Zeiten das letzte, ausgereifte Stadium
einer Formenwelt: der Barock. — Malerei und
Plastik als raumzerstörende Gewalten, das ist
das große Paradoxon, das Michelangelo einen
überirdischen Schöpfer und die Sintflut zu
gleicher Zeit sein läßt. In der Tat: von der
sixtinischen Decke geht ein Strom unerhörter Befrucht-
ung und rücksichtsloser Verwüstung durch die Kunst
über Correggio und Tiepolo, bis auf die offizielle Stil-
gewöhnung unserer Tage (Wölfflin).

Die Entwicklung der Raumdekoration vor
und nach Michelangelo charakterisiert am ein-
dringlichsten Wesen und Potenz des letzten
Stadiums der Hochrenaissance. — Aus der Zeit
des römischen Barock ragt die pompejanische Wand.
Sichtlich strebt sie danach, sich aufzulösen; sie zeigt
eine Fülle von perspektivischen Kunststücken, durch
die Erweiterungen des Raumes, Ausblicke und Zugänge

*) Diese unermüdliche Sucht, mit Hilfe der Malerei, besonders des Freskos,
plastische und architektonische Effekte hervorzurufen, verursacht eine eigenartige
Nebenerscheinung: auf Photographien ist es oft sehr schwierig, ohne Kenntnis
der betreffenden Oertlichkeiten zu sagen, ob eine Deckendekoration in Stukko
oder in Fresko hergestellt ist, ja man vermag nicht <u sehen, ob plastische oder
gemalte Figuren auf den Gesimsen stehen, ob ?.lauernischen sich wirklich wölben,
ob Balkenwerk wirkliche Lasten trägt, oder ob alles, nebst dazu gehörigen Schatten
nur raffiniert illusioniert wurde. Am schwierigsten wird die Bestimmung, wenn,
was häufig vorkommt, Malerei, Relief und Vollplastik nebeneinander angewendet
sind. Sogar an Ort und Stelle kann man sich schon bei mäßig hohen Räumen
gehörig täuschen. Diese Dekorationsmethode beabsichtigt eben möglichst voll-
kommene Täuschung.
 
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