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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 27.1916

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Breuer, Robert: Qualitätsarbeit und Gebrauchsware: zum "deutschen Warenbuch"
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https://doi.org/10.11588/diglit.10023#0077

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QUALITÄTSARBEIT UND GEBRAUCHSWARE

ZUM »DEUTSCHEN WARENBUCH«

Es ist zum mindesten beachtenswert, daß mitten in
dieser kriegerischen Zeit von dem Erscheinen des
seit langem vorbereiteten Deutschen Warenbuches be-
richtet werden kann. Etwa fünfzehn oder zwanzig Jahre
vor Ausbruch des europäischen Brandes hatte man in
Deutschland einzusehen begonnen, daß die Weltherrschaft
des französischen Geschmacks und der englischen Quali-
tät gebrochen werden müßte, wenn Deutschland einen,
seiner politischen und merkantilen Bedeutung angemes-
senen Platz auf dem Weltmarkte für feinere Waren (nicht
nur für technische, chemische und militaristische) sich
sichern sollte. Die Leser dieser Zeitschrift brauchen an
die einzelnen Vorgänge jener Bewegung, jener Neubildung
der Produktionsgesinnung, des Kaufmannsgeistes und der
Käuferwünsche, nicht erinnert zu werden; sie wissen,
daß der Erfolg ein vollkommener war: die mannigfachen
Ausstellungen, nicht zuletzt die Brüsseler Weltausstellung,
brachten den Nachweis für die berechtigten Ansprüche
der deutschen Leistungsfähigkeit, des deutschen Ge-
schmacks, des deutschen Stils auf allen Gebieten der
architektonischen Produktion, des Bauens von Städten,
Häusern und Möbeln, des Verarbeitens von Glas, Ton
und Webfaser. Der deutschen Lebensart angemessen,
sammelten sich die neuen kulturellen Bestrebungen bald
in einem organisatorischen Zentrum: der Deutsche Werk-
bund, eine Vereinigung von Künstlern, Fabrikanten,
Handwerkern und Kaufleuten, von Praktikern und Theo-
retikern, übernahm die Führung all der Absichten, dem
neuen, nach dem Weltmarkt ausschauenden Deutschland
eine internationale Geltung als Erfinder und Hersteller
technisch vollkommener, zeitgemäßer und schöner Ge-
brauchsware zu gewinnen.

Es war nun von vornherein selbstverständlich, daß
solche organisatorischen Absichten im wesentlichen da-
nach streben mußten, innerhalb der einzelnen Gebiete all-
gemein-gültige Typen festzulegen. Man begriff bald, daß
der Künstler (soweit dies psychologisch und sozialtech-
nisch möglich ist) alle Freiheit haben müsse, seinen sinn-
lichen Trieben und seinen, um das Schicksal der Welt
unbekümmerten Sehnsüchten zu folgen; daß aber daneben
für die Bedürfnisse des normalen Bürgertumes Normal-
geräte, neutralisierte Annehmlichkeiten, gewonnen werden
müßten. Man begriff, daß die neue Kultur der äußeren
(oft genug auch die der inneren) Lebensführung von dem
Hervorbringen einer gehobenen Durchschnittsware ab-
hängig sei. Diese Ware, das Gerät des täglichen Ge-
brauchs, die Apparate des soliden, wenn auch weltmän-
nisch orientierten Bürgertums, galt es zu schaffen. Wo-
bei nicht vergessen werden durfte, daß inzwischen auch
große Schichten des sogenannten vierten Standes so weit
emporgewachsen waren, um den Schund eines entarteten
Stilmöbels und die sentimentalen Sofakissen, Aschbecher
und Waschgefäße gegen schlichte, gediegene und charak-
tervolle Nutzformen vertauschen zu wollen. Es hat nun
nicht an Bestrebungen gefehlt, solches Programm einer
gesunden Kulturpolitik möglichst praktisch zu erledigen.
Verantwortungsvolle Werkstätten arbeiteten, vorbildliche
Läden wurden eröffnet, die Propaganda durch Wort und
Schrift breitete sich aus. Eine Konvention der schönen

Gebrauchsware begann sich zu entklären. Die Zeit
war reif, ein maßgebendes, den Ansprüchen der ge-
hobenen und unterrichteten Konsumenten genügendes
Musterbuch, eine Art Normalregister der guten und
schönen Gebrauchsware, soweit sie dem allgemeinen
Markt zugänglich ist, zusammenzustellen. Solch einen
Katalog der Qualitätsware oder — wie man heute im
Zeichen der Verdeutschungen zu sagen pflegt — solch
ein Verzeichnis der Wertware war berufen, den Suchen-
den ein Führer, den Orientierten ein Nachschlagebuch,
allen Freunden schöner Geräte zugleich eine Befriedigung
und ein Anreiz zu sein. Man spreche nicht von Pedanterie;
man besinne sich nur einen Augenblick darauf, daß der
Einkauf sowohl ein sozialpolitischer wie ein kultureller
Vorgang höchster Bedeutung ist, und man wird begreifen,
daß die erzieherische Beeinflussung dieser bürgerlichen
Funktion eine große nationale Bedeutung hat. Solch eine
Fibel des vernünftigen und verfeinerten Einkaufs liegt nun
heute auf dem Büchertisch: das Deutsche Warenbuch, zu-
sammengestellt vom Deutschen Werkbund gemeinsam mit
dem Dürerbund, erläutert von Dr. Joseph Popp, dem erfolg-
reichen Katalogprediger der Bayerischen Gewerbeschau.

Das Entscheidende des Buches sind 240 Tafeln, auf
denen mustergültige Geräte aus Glas, keramischen Stoffen,
aus Metall, Holz und Rohr, in sachlicher Weise aufge-
nommen und gut reproduziert, zu sehen sind. Mehrere
tausend Stück sind zusammengetragen worden: Biergläser,
Weingläser, Wasserflaschen, Fingerschalen, Bowlenkrüge,
Käseglocken, Teedosen, Frucht- und Blumenschalen,
Saftkannen, Eßgeschirre, Kaffeetassen, Durchschläge,
Gewürzbüchsen, Schmortöpfe, Bürsten, Gießkannen,
Messer und Gabeln, Siebe, Kleiderhaken, Heizkörper-
verkleidungen, Rohrmöbel. Alles miteinander: deutsche
Ware. Die Auswahl geschah durch empfindsame Sach-
kenner, zu denen die bekanntesten Meister der neuen
Architektur gehören; was aber wichtiger ist: auch die
Fabrikanten haben in diese Prüfungskommissionen Männer
entsandt, und es gab fast immer völlige Übereinstimmung
zwischen dem fachmännischen Urteil der Hersteller und
den gepflegten Gefühlen der Kunstfreunde.

Prüft man die empfohlenen Stücke, so stellt sich her-
aus, daß beinahe alles, was einem deutlichen und klar
umrissenen Gebrauchszweck dient, einwandfrei ist; daß
aber überall dort, wo die schmückende Absicht und die
Tendenz zum Luxus überwiegen, gewisse Unsicherheiten
sich bemerkbar machen. Nur wenige Beispiele dieser
letzteren Gattung sind völlig überzeugend, so vor allem
die ausgezeichneten, gehämmerten Metallschalen von dem
Hellerauer Mendelssohn. Am wenigsten befriedigen die
ausgewählten Schmuckgegenstände; sie wirken meist
zu dünn, beinahe immer zu absichtlich und nicht im
höheren Sinne notwendig. Das war zu erwarten; denn
überall dort, wo der künstlerische Spieltrieb das Entschei-
dende ist, kann der Maßstab des Typus nicht das Voll-
kommene erfassen. Das Künstlerische bleibt jenseits der
Reglementierung. Aber alles, was nach dem Gesetz der
Zweckmäßigkeit zu beurteilen ist, und den allgemeinen
technischen Bedürfnissen des normalen Europäers, des
essenden, des trinkenden, des kochenden, des rauchenden
 
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