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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 27.1916

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Jaumann, Anton: Die Kunst in der Provinz
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https://doi.org/10.11588/diglit.10023#0399

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INNEN-DEKORATION

371

G. AMMANN. »GARTEN FRAU B. SP. —KILCHBERG« AUSFÜHRUNG: OTTO FROEBELS ERBEN —ZÜRICH

DIE KUNST IN DER PROVINZ

Aus der spießigen Enge der Kleinstadt schweifen Künst-
£\. lersehnsüchte hin zur Metropole, wo das moderne
Leben in höchster Steigerung glüht und dröhnt, wo das
Jagen nach Erfolg, Ruhm, Geld alles in seinen heißen
Strudel reißt, wo jeder Nerv zittert, wo der nimmer
ruhende Kampf mit dem Rivalen die letzte Faser von
Kraft aufpeitscht und verzehrt. Dort hofft der Verkannte,
der in einer Umgebung von Mittelmäßigkeit versauert,
den eine verständnislose Umwelt anödet, anfeindet und
schließlich mutlos macht, zu neuer Lebens- und Schaffens-
lust zu entbrennen und im Kreis von Gleichstrebenden,
von ihnen gewürdigt und gefördert, seine Höchstleistungen
zu erreichen, seinen Ruhmesteil zu gewinnen. So setzt
sich der Strom in Bewegung, der endlose Strom von
Künstlern, die aus der Provinz in die Hauptstadt verziehen.

Auf der anderen Seite gärt aber nicht geringere Un-
zufriedenheit. So mancher Künstler fängt an zu fühlen,
daß er im Trubel der Großstadt sich selbst verliert. Die
Hitze der tausendfältigen Reibungen verbrennt ihn. Tag
und Nacht horcht er fiebernd auf den Stundenschlag des
Erfolges: Wem ist es heute geglückt, wer wird morgen
an der Reihe sein? Und darüber kommt er kaum zum
Schaffen. Er verschwendet die Zeit mit Schauen, Suchen,
mit Kritik, mit »Kunstpolitik«. Bei jedem Strich blicken
ihm hundert scharfe Augen über die Schulter. Die be-
benden Nerven schwächen sich in der steten Überreizung,

die sich überstürzenden Ideen, Neuerungen, Weltan-
schauungswandlungen hindern jede positive Arbeit. Kost-
bare Kräfte werden verbraucht ohne sichtbares Resultat,
und mit Riesenschritten eilt die Zeit dahin, man sieht ein
frühes Alter nahekommen und zittert in steter Furcht:
Werden mir bis dahin die großen Werke noch gelingen,
oder werde ich den Anschluß verpassen ? Da erwacht,
aus Müdigkeit und Angst geboren, in dem Stadtkünstler
die Sehnsucht nach der Einsamkeit, nach einem stillen
Arbeiten in Ruhe und Sammlung. Und so setzt sich
wieder ein Strom in Bewegung, der Strom der Künstler,
die aus der Glühhitze der Metropole hinausfliehen in die
kalte Klarheit der Heide, des Dorfes, der See.

Wohl dem, der rechtzeitig geflohen ist, sei es in die
Stadt, sei es in die Heide! Der die Bedrohung seiner
Künstlerschaft erkannt und abgewendet hat. Aber viele
haben nicht mehr die Kraft zur Veränderung. Die Stadt
hat sie mit ihrer giftigen Süße betört, sie kommen nicht
mehr aus ihrer entnervenden Umarmung frei. Sie werden
zermalmt in der erbarmungslosen Mühle, der Rest ihrer
Nerven verzehrt sich in verbissener Kaffeehauskritik. Und
die andern, die Unglücklichen in der Provinz, die zum
Losreißen nicht den Mut, nicht die Kraft, nicht die Mittel
aufbrachten? Die einen geben nach, werden weich und
mürbe und tuns wonneselig dem Spießbürger zu Gefallen.
Sie versinken im Brei. Wer sich nicht dazu versteht, ist
 
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