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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 27.1916

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Corwegh, Robert: Die individuelle und die typische Wohnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10023#0156

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INNEN-DEKORATION

PROFESSOR JOSEF HOFFMANN —WIEN SITZECKE IN DEM WOHN- UND ARBEITSZIMMER M.

DIE INDIVIDUELLE UND DIE TYPISCHE WOHNUNG

Das bedeutungsvollste Intermezzo der Werkbund- freiste Land, ist gesellschaftlich ganz gebunden. Der Eng-
tagung 1914 bildete die Rede des Geheimrats Her- länder der Gesellschaft, den wie immer der Kleinbürger
mann Muthesius und die daran anschließende Aussprache in den Lebensformen nachahmt, ist ein »Man«-Mensch.
über Typus oder Individualität in Architektur und Kunst- »Man« frühstückt um 12 Uhr, »man« ißt die Haupt-
gewerbe. Nach meiner Einsicht hat leider die Aussprache mahlzeit am Abend, »man« zieht abends als leichte Klei-
keine Klärung gebracht. Die Gegner redeten im Sturm dung der Erholungsstunden den Frack an usf. Um
der Gefühle aneinander vorbei. Das von Gottfried Semper diese Einheitlichkeit des allgemeinen Lebens wird im
geprägte Wort »Kunstgewerbe« trägt den Zwiespalt Hausrat ein Rahmen geschaffen, der bei der Gleichheit
zwischen Typus und Individualität in sich. Alle Kunst der Bedürfnisse gleiche Form besitzt. Auch Frankreich
muß, wenn sie wertvoll und wirkend sein soll, die Aus- hat seine bestimmte gesellschaftliche Lebensführung, die
Strahlung einer bedeutenden Persönlichkeit bilden, alles wie die englische für andere Völker außer für das deutsche
Gewerbe von der Hand tüchtiger Meister wird die er- Vorbild und Muster geworden ist. Für beide Nationen
probte Form an sich tragen. Dennoch läßt sich eine beruht der Hauptwert ihres Lebens in diesen Mußestunden,
Brücke über diese scheinbar unüberbrückbaren Gegen- die mit der schmückenden Form umkleidet werden. Die
sätze schlagen. »Solange bei uns die gute Form noch führenden Kreise in Deutschland können keine so ge-
nicht allgemein herrschend ist, solange kann unsere Kultur schlossene Lebensform besitzen, da die Bedeutung ihres
noch nicht nach außen ausstrahlen.« Diese Worte des Daseins nicht auf die Stunden der Muße, sondern auf die
Geheimrats Muthesius verlangen eine Umkehrung. So- der Arbeit gelegt wird, nach denen sich die anderen
lange wir noch keine einheitliche Kultur besitzen, kann richten müssen. Kommt ferner hinzu, daß Engländer und
sie nicht in klarer, reiner Form nach außen in Erscheinung Franzose sich gegen alles von außen in die Lebensge-
treten. Es fehlt in Deutschland die Geschlossenheit der wohnheit Eindringende ablehnend verhalten. Der Deutsche
Lebensführung, wie kann man da geschlossene Formen, den will wie jedes junge Volk lernen. Er versucht es mit dem
Typus, finden? Gerade, wenn man uns England entgegen- Fünfuhrtee, der garnicht in die Einteilung seines Arbeits-
hält, wissen wir, worauf das beruht. England, das politisch tages paßt, er macht für eine Weile die englische Tisch-
 
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