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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 27.1916

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Zoff, Otto: Die österreichische Tradition und das österreichische Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.10023#0263

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INNEN-DEKORATION

235

T1K,

niemals zu einander gelangen wollten,
in einer besonders kultivierten, eigen-
artigen, oft raffinierten Blüte vereinigt:
den sozial bürgerlichen Faktor Deutsch-
lands und den ästhetisch - aristokrati-
schen Frankreichs. Denn das reichs-
deutsche Kunstgewerbe hat früher für
den schlichten Familienmenschen, es
hat heute für den Tatmenschen Städte,
Häuser, Wohnungen, Bahnhöfe und
Gärten gebaut. Es hat das Nützliche
zum Prinzip erhoben, hat aber dem
Nützlichen selbst eine erhöhtere Da-
seinsform gegeben. Das französische
Kunstgewerbe hingegen hat nicht nach
den Gesetzen der Nützlichkeit, sondern
nach denen des Genusses gearbeitet.
Der Franzose, dem schönen Augen-
blick hingegeben, lebt irgendwie noch
immer in den Schäferspielen des fest-
lichen Rokokos: er braucht das Fau-
teuil, dasMenuett, die vergoldeten Stuhl-
und Tischbeine. Ohne Verständnis für
Lebens-Notwendigkeiten, gibt er sich
»Entwurf Für einen SPEiSEZiMMER-scHRANK« kunstgewerbeschule Budapest den Lebensgepflogenheiten; und weil

diese immer um das » cherchez la f emme«

nahmen damals eine Zielrichtung, die wir auch heute von gruppiert sind, ist sein ganzes Kunstgewerbe feminin:
ihnen fordern. Großartigkeit mit Einfachheit zu verbin- nicht zufällig ist Frankreich das Land der Mode, wie
den, Reichtum ohne Prunk zu geben, Festlichkeit und Deutschland nicht zufällig das Land der großen Eisen-
Gediegenheit in einem. Damals wurde es in Wien Mode, bauten ist. Den Abgrund zwischen beiden überbrückt
sich keinen Schrank, keinen Stuhl bauen zu lassen, ohne das österreichische Kunstgewerbe. Sein bedeutendster
sich nicht vorher beim Tischler in stundenlangen Bera- Architekt, Otto Wagner, hat den österreichischen Nütz-
tungen das Holz dazu selbst ausgewählt zu haben. Da- lichkeitsbau erfunden und ihm zugleich graziöse Delika-
mals setzte das Gewerbe der Goldschmiede ein, das tesse zu geben gewußt. Die Möbel Hoffmanns, Kolo
heute noch zu den edelsten Traditionen Wiens gehört, Mosers, Olbrichs haben eine ornamental dekorative
und damals geschah es — um nur ein Beispiel von vielen Wirkung, die vielfach ins Preziöse und ganz und gar
zu nennen — daß beim Silberschmied Kaspar Haas für Wienerische entwickelt wurde. — So gibt dem deutschen
den soeben vollendeten Prachtbau »Apollosaal« ein Ser- Kunstgewerbe das österreichische Befruchtung, weil es
vice hergestellt wurde, das nicht weniger als 600 000 der Strenge Rhythmus und Eleganz zuführt, otto zoff.
Gulden gekostet hat, eine Summe, die
man — will man sie in ihren heutigen
Preiswert umsetzen — mindestens ver-
dreifachen muß. — Das Resultat war
der sogenannte Kongreßstil, eine Art
verbürgerlichten Empires. Er war der
erste Stil Österreichs, der über die
lokale Bedeutung hinauswuchs, der ein
internationaler Besitz wurde. Er war
der einzige Rivale von Paris, ja noch
mehr: er genoß in Paris selbst als »Art
viennois« die höchste Schätzung. Seine
Beziehungen zu Frankreich sind unver-
kennbar: es genügt, um dies zu er-
kennen, daß man die berühmten Wie-
ner Modeblätter jener Zeit mit den
gleichzeitigen französischen vergleicht.
— Zu allen Zeiten, in seinen Anfängen,
dann in der neuen Blütezeit der acht-
ziger Jahre, unter Eitelberger, und
auch heute ist das österreichische Kunst-
gewerbe eine Vermittelung zwischen
dem deutschen und dem romanischen

Element gewesen. Die starke Blut- MJU-j
mischung hat Extreme, welche sonst »Entwurf für schlafzimmermobel« aus der kunstgewerbeschule Budapest
 
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