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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 37.1926

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Michel, Wilhelm: Der ewige Süden: zu Arbeiten von Professor Eduard Pfeiffer
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https://doi.org/10.11588/diglit.10704#0030

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9

INNEN-DEKORATION

mentalesLärmen ans.
Sie weiß nichts von
der überschäumen-
den Lebenslust üp-
piger Kreatur, die
sich in gewaltigen
Gesimsen und for-
menreichen Verkröp-
fungen entlädt; auch
nichts vom Muskel-
schwellen gebuckel-
terRustikasockelund
mächtiger Quader-
mauern. Ihre Dies-
seitigkeit ist von ge*
dämpf ter,karger, ver-
geistigter Art. Sie
hat schon das Wis-
sende, das Lächelnde
und Herbstliche ei-
nes erfahrenen Klas-
sizismus. Sie ist
durch den Zug einer
freiwilligen Armut
mit dem verbunden,
was man in der Ma-
lerei die »neue Sach-
lichkeit« nennt. Sie
ist von später, vor-
sichtiger Art; sie
wird sogar einen ro-
mantisch - elegischen
Beiton nicht los.
Aber sie rührt gleich-
wohl an das ewig
Südliche heran durch
ihr Abzielen auf Dau-
erform und Dauer-
Ordnung, durch ihr
Eingehen in objek-
tive Rhythmik, durch
die unzweideutige,
verweilende Ruhe

Musik des frühen 18.
Jahrhunderts denken
läßt. Ja, es glänzt in
der Tat etwas vom
18. Jahrhundert in
die Bezirke dieser
Kunst herein, ihre
»Renaissance« weiß
schon von den spä-
teren Dämpfungen
und Abklärungen.
Aber die älteren wie
die jüngeren Elemen-
te sind in einem ein-
heitlichen, modernen
Geist gegriffen, der
ein neues Verhältnis
zum Lagernden und
zum heiteren Verwei-
len gefunden hat. Da-
mit verknüpft sich
unmittelbar das neue
Verhältnis zur Form,
zur gegenwärtigen
Verfestigung; einer
Verleihung ohne Pa-
thos , überschwebt
von »Seele« und ge-
würzt von einer fer-
nen, verschwiegenen
Ironie. Aus gleichem
Geist sind die Land-
haus-Entwürfe gebo-
ren, die sich bei al-
ler Angemessenheit
an die Bedingungen
praktischen Bauens
wie eine Art archi-
tektonischer Lyrik
ablesen. Auch in ih-
nen spürt man deut-
lich, wie »schon die
mildere Luft leise

im Ausbreiten und Professor eduard pfeiffer. privat-eingano. haus Röttgen von MittaJ weht*
Gliedern der Flä- und den Segen der
chen. Wenn die Ver- reinen, ruhigen Ge-
tikale ein, wenn auch geistig hochwertiges, Spannungs- stalt bringt. Hier klingen einfache Akkorde, mit sehr be-
verhältnis zum Irdischen ausdrückt, so redet die Wag- stimmter Hand gegriffen; der klassizistische Grundzug
rechte von Beruhigung, Schicklichkeit und Naturnähe, tritt klar hervor, das Dauernde erprobter Verhältnisse und
Nicht umsonst ist in diesen Entwürfen die Wagrechte die ausgereifter Formen ist mit Zartheit in die nordische
beherrschende Linie; sie entspricht der Einebnung der Welt hereingezogen. Klare Begegnungen zwischen Bau-
unruhigen Subjektivität, die noch vor kurzem jede Gerade körper und Dach, zwischen Mauerflächen und Fenstern,
zerzackte oder sonst in Bewegung brachte. Diese Wag- zwischen Haus und Garten ereignen sich. Es sind Be-
rechte, hat sie nicht im Zusammenhang mit der Portal- gegnungen aufgrund von sauberen, bestimmten Schei-
Zier, mit dem sparsam erlaubten Spielen von Ranken und düngen. Die Dinge wirren sich nicht rauschhaft unter-
Ornamenten etwas von antikischer Breite und Heiterkeit, einander, sie streben nicht in »funktionalistischem«
vom Leben unter zuverlässigen Himmeln und mit wohl- Ehrgeiz über ihre Bedingungen hinaus, sondern sie
gegründeten Menschen? Lebt nicht in ihr eine feine Nüch- trennen sich, um von der Trennung aus zu einer ob-
ternheit, eine Absage an alle gebärdenreiche Schwär- jektiven Harmonie zu wirken. . Diese Häuser sind in
merei, eine Liebe zum Augenblick, ein statischer, ruhe- ihrer herbstlichen, späten Anmut einfach, in ihrer Ein-
voller, räumlicher Geist? .. Wie von Dichters Hand dar- fachheit geschmückt, reif und festlich. Es sind Haus-
geboten, genießt sich in diesen Bauformen eine durch- gedanken aus der Geisteslage einer beschwingten Nüch-
leuchtete Verständigkeit, eine lyrische Gelassenheit, bei ternheit, von unzweideutiger Leiblichkeit, doch zart von
der sich leicht an sparsam orchestrierte und gut gebaute seelisch-geistiger Bedeutung erfüllt . . Wilhelm michel.
 
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