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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 28.1912-1913

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Katsch, Hermann: Meine Erinnerungen an Karl Stauffer und Wilh. Schäfers Buch
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https://doi.org/10.11588/diglit.13091#0264

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I

< MEINE ERINNERUNGEN AN KARL STAUFFER UND WILH. SCHÄFERS BUCH

3 Zeit, namentlich von der Erfindung der Trocken- gänzlich Neues gestaltet, sondern eine Fähig- j

h platte an, einen Einfluß ausgeübt hat; darüber keit, die imstande ist, uns von der Form, wie (

V vielleicht ein andermal ausführlicher. sie gerade vor uns steht, zu befreien, sie in I

3 Mit der Trockenplatte, deren Erfindung etwa der Vorstellung zu verändern, zu ergänzen aus
^ mit Stauffers ersten Erfolgen zeitlich zusam- anderen Eindrücken, das Vorbereitende und

4 menfällt, mit der Möglichkeit, sich einen Ap- das Nachfolgende in den Mienen zu fühlen.
=j parat zu kaufen, selbst zu photographieren und Es ist traurig und merkwürdig, daß der Mann,
jj jetzt mit vervollkommneten Platten und un- zu dem mich eine schwärmerische Bewunde-

ä retuschierten Abdrücken zu hantieren, wurde rung geführt hatte, so leer war an künstle- ;

3 diese Technik Gemeingut aller Künstler, die rischen Einfällen. Nicht der unbedeutendste j

h im Besitz einer Photographie — natürlich einer Entwurf zu einem Bilde, zu einer Figur war 1

3 guten, künstlerischen — die Möglichkeit hatten, ihm in der Zeit, wo wir zusammenlebten —

4 das Zusammenwirken von Form und Farbe, und das waren die Jahre, in denen jeder
? wie es sich in der Ubersetzung in Schwarz seine Sehnsucht und seine Ziele weit hinaus-

< und Weiß gestaltet, dauernd festzuhalten und schickt—in den Sinn gekommen. Einen Grund
a ein Studium bis ins letzte Detail durchzu- mag das gehabt haben in dem, was auch zu

3 führen. Aber das Lichtbild bleibt immer nur mancher Künstlertragödie unserer Zeit führte: j

5 Hilfsmittel, es wird nie zum Ersatz für ein einerseits die Forderung: „Natur!" und ande- j

3 Kunstwerk werden, warum? Weil bis auf das rerseits die Unmöglichkeit für die Intuition |
D Ohr alles im menschlichen Antlitz beweglich das passende Vorbild in der Natur zu finden.

y ist, sein Relief und sein Verhältnis zu anderen Daher ja eigentlich nur die Landschafts- und

4 Teilen verändern kann, so daß dasselbe Ge- Porträtmalerei jener Tage Erfreuliches leistete,
sieht in derselben Beleuchtung unzählige Va- Wahrlich die Großen vergangener Zeiten
riationen zeigen kann, die seiner Veränderung werden immer größer, je mehr man sich mit
durch den Ausdruck entsprechen. Aus der diesem Problem beschäftigt. Ueber welche
Summe der von einer Person gewonnenen Er- Fülle von Erinnerung, von Gedächtnis mensch-
innerungen an ihre Ausdrucksformen setzt sich licher Formen und Phantasie verfügte einer,
der Eindruck der Person zusammen. Diesen der z. B. den Zinsgroschen wie „nach der
Eindruck soll ein gutes Porträt wiedergeben, Natur" malte. Das Gegenbild von Stauffer

g> den Eindruck, den der Künstler von ihr be- können wir in seinem großen Landsmann
wahrt, und das kann die Photographie niemals Böcklin sehen, der voll Phantasie und Erinne-
rn leisten. Das ist eben Sache der künstlerischen rungskraft, niemals nach der Natur gemalt hat.
| Begabung z. B. eines Frans Hals, der einen Wenn Stauffer Entwürfe machte, waren sie
g blitzartig erfaßten Ausdruck festhalten konnte stets — das hat meines Wissens auch niemand i
bis zur Vollendung, dazu gehört ferner eine berichtet — kunstgewerblicher Natur. Messer- j
große Liebe nicht nur zu der Form sondern griffe, Tafelaufsätze usw. Hier konnte sich
cD zu dem Menschen, so daß der Künstler sich sein Formensinn fröhlich und leichtgestaltend I
ganz in das Wesen des andern hinein den- betätigen, und er würde, in unsere Zeit ge- 1
ken kann, zu fühlen imstande ist, wie der an- stellt, welche diesen Dingen eine weit wich-
dere geworden ist, wie er sein möchte, daß tigere Stelle zuweist, vielleicht auf diesem
er sich aufgeben und daß er, wie ein Dichter Gebiete seine Ruhe gefunden haben. So war .
die heterogensten Figuren so schaffen kann, er mit seiner großen Begabung für die Dar- i
öj während der Produktion ganz in dem Darzu- Stellung der Form, die es ihm ermöglichte,
q stellenden lebt, ganz ein anderer ist. Stauffer das vor ihm Befindliche besser wiederzugeben,
hing fanatisch an der Durchbildung der Form als andere, wie ein Mann, der alle Sprachen
an sich. Er benutzte die Photographie wie spricht und auf einer Insel einsam leben muß.
f jeder andere, aber es fehlte ihm, um ganz groß zu Die Liebe — das Sich-aufgeben-können — das

5 werden, an der Liebe zu dem Menschlichen, Mitschöpferische und die Phantasie — das
zu der Seele. Und das war es nicht allein, Neuschöpferische waren ihm zur vollen Größe
was seinen Bildnissen, trotz der ans Unbe- versagt, und weil er das unbewußt spürte, ,
greifliche grenzenden Durchbildung der Form trieb es ihn durch alle Kunst von Jugend auf. (
— bis auf das Porträt Kleins — das Starre, Das war die Tragödie seines Daseins. Die
Steinerne gibt. Was ihm noch fehlte, war Affäre mit der Frau Escher-Welti ist wahr- I

y Phantasie und ein Gedächtnis, das sich einen lieh nur eine Episode gewesen, wie auch

g) Abwesenden auch in den Details vorstellen Schäfer glaubt, nicht, wie andere meinen,

•J konnte. Ich meine nicht die Phantasie, die Stauffers eigentliche Tragödie.

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