J George Minne wurde als Sohn eines Archi- so seine Skulpturen daraus erwachsen läßt; >
J tekten zu Gent im Jahre 1867 geboren, be- im Gegensatz auch zu der Art der meisten
J suchte die Zeichenschule seiner Vaterstadt, modernen belgischen Bildhauer, z. B. van der Q
j später in Brüssel die Akademie als Schüler Stappen, und ihrer bald vorwiegend realisti- f
y des — wegen der Routine seiner flandrisch- sehen, bald dekorativen Behandlung in Denk- (
'1 barocken Art geschätzten und als Lehrer weit- mälern wie in Kleinskulpturen — schwebt V
< hin, auch in Deutschland, einflußreichen Bild- Minne ein ganz anderes Ideal bildhauerischer *
< hauers Charles van der Stappen (geb. 1843). Gestaltung vor. Er sucht im Steinblock, der l
5 Danach arbeitete Minne auch noch eine Zeit- ihm sein Bild zu verhüllen scheint, dieses in ,
5 lang in Paris; kehrte in seine Heimat zurück sich birgt, zunächst das Tektonische, das Sta- )
J und lebt nun schon seit Jahren in Laethem, tische des menschlichen Körperbaus, und nicht r
5 einem kleinen flandrischen Dorfe. Seine ersten nur des ganzen Aktes, sondern auch der (
) bildhauerischen Arbeiten zeigte er in Brüssel, Einzelheiten, etwa des Gesichts; er schichtet f
) im „Salon der XX", wo sie einigen Eindruck die Formen zu einem logischen Gebäude, und (
/ hervorriefen. — Heftigster Meinungsstreit ent- dann gibt er diesem vermöge seines aus- V
l spann sich um den im Jahre 1898 in der geprägten Stilempfindens, das sicherlich an J;
( „Libre Esthetique" zu Brüssel ausgestellten der Ueberlieferung, namentlich der Gotik, seine )
) Entwurf eines Brunnens; „es kreuzte sich — Nahrung und Schulung gefunden, den herben, *
\ wie der Künstler selbst sagt — begeisterte Zu- knapp umrissenen Formenausdruck, seinen )
) Stimmung mit schärfster Verurteilung." Sieht eigenen eigenwilligen Stil; stets betonen seine i
) man ab von einer kleinen Zahl von Bewun- Massen und Konturen den festen Organismus, £
| derern, so blieb Minne in seinem Vaterlande und mit jedem Meißelschlag vereinfacht er C
lange unverstanden und unbeachtet; Verhältnis- gleich wieder und läßt auch materiell kleine C
mäßig früh dagegen fand er Anerkennung in Figuren in ihrer hieratischen, aber echt ge- \
den deutschen Secessionen, zuerst in Wien, fühlten Strenge groß erscheinen. >
dann in Berlin und München und alle wählten Von einem ausgesprochenen Entwicklungs- f
) ihn zu ihrem Mitgliede. tempo und graduellen Fortschreiten kann bei r,
\ Begeisterte Verehrer seiner Kunst fand er einem Künstler, der von Anfang an eine so Y
I zuerst in Meier-Graefe und Waerndorfer- ausgesprochene psychische Auffassung seines
) Wien; aber auch ein rheinischer feinsinniger Schaffens kundgab, kaum die Rede sein. Gleich
Kunstfreund C. Osthaus in Hagen brachte dem hat er die Note seines Inneren, seiner Seele, C
Künstler Verständnis entgegen und besitzt seit seiner Auffassung von Welt und Menschen 0
Jahren eine Reihe von Werken Minnes, nament- gefunden und stimmt darauf nun unbewußt l
I lieh den wunderbar eindrucksvollen Brunnen und unwillkürlich von innerem Drang ge- >
mit dem fünfmal wiederholten schlanken trieben, alle Schöpfungen seiner Hand, ohne >
Marmorknaben (Abb. S. 355, Entwurf 1898, dabei in Manier zu verfallen; nur eben immer n
\ zuerst ausgestellt 1900 in der Wiener Secession, neue Proben seines Stilwollens von sich gebend, Q
I in Marmor ausgeführt 1906). ein begnadet Schaffender. P
Zögernd nur folgte solchen Ehrungen die In fast allen seinen Figuren versinnbildlicht (<
Anerkennung eines weiteren Publikums. Minne das eine große Symbol eines stillver- C
Ich entsinne mich gerade aus einer rheini- haltenen Schmerzes, nicht der alltäglichen «
sehen Großstadt bei Gelegenheit einer be- einzelnen kleinen Jämmerlichkeiten, sondern V
I deutenden Kunstausstellung, daß vor den dort des erschütternden Leids aller Kreatur, so- Jj
j gezeigten Werken Minnes das Publikum sich zusagen den Typus Leid; dieses stellt der )
| gar nicht genug tun konnte in Hohn und Ge- Künstler dar als ein mitfühlender Mensch,
I lächter, ja, daß auch Künstler und wirkliche beinahe wie ein Asket, in irdisch häßlichen J
I Kunstkenner ziemlich hilflos standen vor diesen Formen, doch voll von tiefer innerer echter P
I ganz neuen eigenwilligen Offenbarungen, die Empfindung und Leidenschaft; er sucht die G
man allenfalls als eine Art „Neugotik" etwas typische Darstellung der in leise getragenem y
rätselhafter Observanz anstaunen konnte. Schmerz erzitternden Menschenseele. Dabei s
Nun liegt zwar der Kern- und Grundgehalt steht er sympathisierend ebensowohl dem Mann >
| der Minneschen Kunst gewiß nicht an seichter aus dem Volke gegenüber, dem Maurer mit r,
I Oberfläche, aber ebensowenig kann von Ver- dem Lot (Abb. S. 349), wie der in Weh auf- r
j steckenspielen mit formalen Werten die Rede stöhnenden Mutter, die ihr sterbendes Kind 0
) sein, noch von gewollter Tiefsinnigkeit der in den Armen hält, wie auch der weltent- (<
) Themen und ihrer plastischen Ausdeutung, sagenden Resignation einer Nonne (Abb. S. 351). C
) Im Gegensatz zu Rodin, der den Stein ge- Von tief innerem Ernst der Empfindung zeugen 0
| wissermaßen impressionistisch behandelt und auch die knappen Formen und angespannten V
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J tekten zu Gent im Jahre 1867 geboren, be- im Gegensatz auch zu der Art der meisten
J suchte die Zeichenschule seiner Vaterstadt, modernen belgischen Bildhauer, z. B. van der Q
j später in Brüssel die Akademie als Schüler Stappen, und ihrer bald vorwiegend realisti- f
y des — wegen der Routine seiner flandrisch- sehen, bald dekorativen Behandlung in Denk- (
'1 barocken Art geschätzten und als Lehrer weit- mälern wie in Kleinskulpturen — schwebt V
< hin, auch in Deutschland, einflußreichen Bild- Minne ein ganz anderes Ideal bildhauerischer *
< hauers Charles van der Stappen (geb. 1843). Gestaltung vor. Er sucht im Steinblock, der l
5 Danach arbeitete Minne auch noch eine Zeit- ihm sein Bild zu verhüllen scheint, dieses in ,
5 lang in Paris; kehrte in seine Heimat zurück sich birgt, zunächst das Tektonische, das Sta- )
J und lebt nun schon seit Jahren in Laethem, tische des menschlichen Körperbaus, und nicht r
5 einem kleinen flandrischen Dorfe. Seine ersten nur des ganzen Aktes, sondern auch der (
) bildhauerischen Arbeiten zeigte er in Brüssel, Einzelheiten, etwa des Gesichts; er schichtet f
) im „Salon der XX", wo sie einigen Eindruck die Formen zu einem logischen Gebäude, und (
/ hervorriefen. — Heftigster Meinungsstreit ent- dann gibt er diesem vermöge seines aus- V
l spann sich um den im Jahre 1898 in der geprägten Stilempfindens, das sicherlich an J;
( „Libre Esthetique" zu Brüssel ausgestellten der Ueberlieferung, namentlich der Gotik, seine )
) Entwurf eines Brunnens; „es kreuzte sich — Nahrung und Schulung gefunden, den herben, *
\ wie der Künstler selbst sagt — begeisterte Zu- knapp umrissenen Formenausdruck, seinen )
) Stimmung mit schärfster Verurteilung." Sieht eigenen eigenwilligen Stil; stets betonen seine i
) man ab von einer kleinen Zahl von Bewun- Massen und Konturen den festen Organismus, £
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lange unverstanden und unbeachtet; Verhältnis- gleich wieder und läßt auch materiell kleine C
mäßig früh dagegen fand er Anerkennung in Figuren in ihrer hieratischen, aber echt ge- \
den deutschen Secessionen, zuerst in Wien, fühlten Strenge groß erscheinen. >
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) ihn zu ihrem Mitgliede. tempo und graduellen Fortschreiten kann bei r,
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) Wien; aber auch ein rheinischer feinsinniger Schaffens kundgab, kaum die Rede sein. Gleich
Kunstfreund C. Osthaus in Hagen brachte dem hat er die Note seines Inneren, seiner Seele, C
Künstler Verständnis entgegen und besitzt seit seiner Auffassung von Welt und Menschen 0
Jahren eine Reihe von Werken Minnes, nament- gefunden und stimmt darauf nun unbewußt l
I lieh den wunderbar eindrucksvollen Brunnen und unwillkürlich von innerem Drang ge- >
mit dem fünfmal wiederholten schlanken trieben, alle Schöpfungen seiner Hand, ohne >
Marmorknaben (Abb. S. 355, Entwurf 1898, dabei in Manier zu verfallen; nur eben immer n
\ zuerst ausgestellt 1900 in der Wiener Secession, neue Proben seines Stilwollens von sich gebend, Q
I in Marmor ausgeführt 1906). ein begnadet Schaffender. P
Zögernd nur folgte solchen Ehrungen die In fast allen seinen Figuren versinnbildlicht (<
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sehen Großstadt bei Gelegenheit einer be- einzelnen kleinen Jämmerlichkeiten, sondern V
I deutenden Kunstausstellung, daß vor den dort des erschütternden Leids aller Kreatur, so- Jj
j gezeigten Werken Minnes das Publikum sich zusagen den Typus Leid; dieses stellt der )
| gar nicht genug tun konnte in Hohn und Ge- Künstler dar als ein mitfühlender Mensch,
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I Kunstkenner ziemlich hilflos standen vor diesen Formen, doch voll von tiefer innerer echter P
I ganz neuen eigenwilligen Offenbarungen, die Empfindung und Leidenschaft; er sucht die G
man allenfalls als eine Art „Neugotik" etwas typische Darstellung der in leise getragenem y
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Nun liegt zwar der Kern- und Grundgehalt steht er sympathisierend ebensowohl dem Mann >
| der Minneschen Kunst gewiß nicht an seichter aus dem Volke gegenüber, dem Maurer mit r,
I Oberfläche, aber ebensowenig kann von Ver- dem Lot (Abb. S. 349), wie der in Weh auf- r
j steckenspielen mit formalen Werten die Rede stöhnenden Mutter, die ihr sterbendes Kind 0
) sein, noch von gewollter Tiefsinnigkeit der in den Armen hält, wie auch der weltent- (<
) Themen und ihrer plastischen Ausdeutung, sagenden Resignation einer Nonne (Abb. S. 351). C
) Im Gegensatz zu Rodin, der den Stein ge- Von tief innerem Ernst der Empfindung zeugen 0
| wissermaßen impressionistisch behandelt und auch die knappen Formen und angespannten V
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