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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 38.1922-1923

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Volbehr, Theodor: Moderne Tendenzen in Goethes Sammlertätigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14165#0263

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OSKAR GRAF

sehe Elsheimer und der keck-phantastische
Franzose Callot neben verschiedenen Italienern
auf seiner Desideratenliste. Kann man viel-
seitiger sein? Und so ging es das ganze Leben
hindurch. Natürlich: in Rom suchte Goethe
nicht nach Dürerholzschnitten und in Köln
nicht nach antiken Gemmen. Denn er verstand
es, stets die rechten Gelegenheiten zu nutzen.

Diese Vielseitigkeit des Zufassens und des
Festhaltens des also Erworbenen zeigt deut-
licher als allerlei wechselnde Äußerungen der
Zuneigung und der Abneigung die Weitherzig-
keit des Kunstfreundes in Goethe. Mochte auch
hin und wieder der Lauf einer Debatte im Freun-
deskreise ihn zu einem Worte überraschender
Einseitigkeit reizen: der Sammler in Goethe ward
neben dem Bedürfnis ästhetischen Genießens,
das am tiefsten in ihm wurzelte, durch zwei
ausgesprochen moderne Bedürfnisse beeinflußt:
durch das Bedürfnis des Kulturforschers und
durch das Bedürfnis des Pädagogen in ihm.

Wie sehr Goethe als Sammler Kulturforscher
zu sein strebte, zeigt nichts einleuchtender als
seine intensiven Bemühungen in den Jahren 1814
bis 1817, seine Landsleute zur Gründung von histo-
risch geordneten Heimatmuseen zu erziehen und
schließlich eine „Deutsche Gesellschaft für Alter-
tum und Kunst, wo es aufs Sammeln ankommt"
mit Boisseree in die Wege zu leiten. Er fordert
die Vorführung der künstlerischen Produktion
der Heimat und gleichzeitig als notwendige Er-
gänzung den Hinweis auf die weite Welt der
fremden Kulturen. Es war ihm sogar recht,
wenn unter diesen neben den Antiken die
Werke des fernen Orients zur Geltung kämen.

RADIERUNG ZU GOETHES HOCHZEITSLIED

Nur verlangte er, daß Ordnung in solchem
Reichtum sei, die Aufdeckung des organischen
Werdens erfolge, „für die Wissenden und für
die Wißbegierigen". Und er selbst handelte
nach diesem Prinzip, so gut er es vermochte,
so weit es ihm das Wissen der Zeit gestattete.
Wie lebendig in dem Sammler Goethe der
moderne Kunst-Pädagoge steckte, das erzählen
uns zahlreiche kleine Züge, die aus den Be-
richten seiner Zeitgenossen auf uns gekommen
sind. Wir wissen, wie sehr es ihm Bedürfnis
war, wenn er behaglich plaudernd mit ange-
regten Besuchern bei Tisch gesessen hatte und
das Gespräch auf irgendein künstlerisches
Thema gesprungen war, als geistiges Dessert
im sogenannten „Deckenzimmer" neben dem
Speisesaal seinen Gästen ein paar Blätter aus
den Mappen zu servieren, die dort reichlich
vorhanden waren. Da war z. B. von der Ge-
bundenheit des Künstlers durch die Natur und
von seiner Freiheit ihr gegenüber die Rede
gewesen. Lächelnd erzählt Goethe, wie unter-
tänig und doch wie souverän der große Rubens
sich da zeige und verweist seine Gäste auf die
Stunde nach Tisch. Und da wird dann von
einem der Getreuen der Stich hervorgesucht,
der die Rubens-Landschaft zeigt, die doppelte
Lichtquellen am Himmel und dementsprechend
entgegengesetzte Schatten auf der Erde auf-
weist. Und Goethe sagt nach eingehender Be-
sprechung des Natur-Vorwurfs und der be-
sonderen Absichten des Künstlers: „Der Künst-
ler hat eben zur Natur ein zwiefaches Ver-
hältnis. Er ist ihr Sklave, insofern er mit irdi-
schen Mitteln wirken muß, um verstanden zu

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