EDMUND KANOLDT
Edmund Kanoldt, der Maler (1845—1904), steht
am Endpunkt einer Entwicklung; er war
der letzte bedeutungsvolle Vertreter der soge-
nannten „heroischen Landschaft".
Der Letzte! so definiert man einen Epigonen,
seltener einen Höhepunkt. Dennoch: die Ent-
wicklungen schwellen an und ab, niemals geht
ihr Eigentliches verloren. Daher mit dem Worte
Epigone ein Welturteil zu verbinden, lehnen wir
ab. Epigonentum ist Schicksal, ist, liebend be-
griffen, der Zwang, eine alternde Entwicklung
weiterzuführen, weil die neue, dem betreffenden
Künstler zukommende Entwicklung noch nicht
reif geworden. Daraus erklärt sich das Vorbei-
leben manches Künstlers an seiner Zeit und
der überraschend schnelle Anschluß, den die
folgende Generation an seinen Keimen und an
halberblühten und halberfrorenen Möglich-
keiten findet. In Kanoldts Werk als Gesamtheit
betrachtet, finden wir eine Unausgeglichenheit
solcher Art und solcher Ursache. Auf der einen
Seite finden wir in ihm die Ausstrahlung jener
Kräfte der Haltung, der Begrenzung und Son-
derung, der Linie und des hohen Stiles, die in
Jakob Asmus Carstens' Schüler Josef Anton
Koch (im engeren Gebiete der Landschafts-
malerei) ihren ungefähren Ausgangspunkt neh-
men, und die man gewöhnlich mit dem Schlag-
wort des Klassischen, oder zugespitzter: des
Klassizistischen bezeichnet.
Auf der anderen Seite spüren wir in seinen
Werken jenes neuere Weltgefühl atmen, das
über alle Schranken hinausgreift, nach den
Dingen suchend hinter dem Schein, das die
Musik in den Farben, die Farbe in den Werten
und Tönen, die Rhythmen in allen Dingen
zum erstenmal mit Bewußtsein sah, die Ent-
deckerin aller großen Verwandtschaften in Natur
und Kunst vage bezeichnet mit: Romantik.
Ihr so ganz anders geartetes Lebensgefühl
verzichtete auf Haltung, Linie und monumen-
tales Pathos, ihr Ausdruck war Sehnsucht —
Sehnsucht nach — wie nennen wir es? — nach
dem Absoluten etwa; ihre Linie war tran-
szendental und hieß Farbe, ihre Darstellung ging
auf das Nie-dagewesene, Nie-wiederkehrende.
Ein Zerfließen und sich Auflösenwollen trat an
die Stelle selbstzufriedenen Daseins. Die Kräfte,
flüssig geworden, wirkten unter dem Bilde des
Stromes, des Meeres, nicht mehr unter dem
der unbeweglich festen Säule. Diese Richtungen
also mischten sich in Kanoldts Schaffen und
hinderten an freier Entfaltung.
Rein stofflich verwies die Darstellung einer
Sappho (Abb. S. 151), einer Iphigenie, Antigone,
Kassandra, eines Orpheus und Eurydike, Echo
und Narziß auf figürliche, herausgehobene
Stilisierung im klassischen Sinn: denn hinter
jenen Figuren der Dichtung stand weniger ein
Lebensgefühl, als eine Fabel, eine Begebenheit,
die dargestellt sein wollte. Das Lebensgefühl,
das Kanoldt in seinen Werken sprechen lassen
wollte, verlegte er notgedrungen in die Natur,
die Landschaft, da er es in jene Figuren, die
feststehende Formeln und als solche erstarrt
waren, nicht mehr verlegen konnte.
Aus diesem Zwiespalt des Wollens erklärt
sich jener Rest, der in seinen Werken zwischen
figürlicher und natürlicher Erscheinung klafft.
Hätte er auf eines von beiden verzichten können !
Oder im Sinne seiner Kräfte gesprochen: hätte
er auf Figur verzichtet und sich ganz in natür-
licher Darstellung ausgelebt. Denn seine Figuren
sind nicht Hauptsache, wie bei Feuerbach, son-
dern (mit einem bösen Worte) Staffage, man
kann sie sich wegdenken, ja zudecken, ohne sie
zu vermissen — und sie sind auch nicht so
völlig in die durchlebte Natur geschlüpft, von
ihr aufgesogen, wie bei Böcklin, (der wohlweis-
lich nie bestimmte Figuren der Sage wählt,
obschon auch bei ihm in romantischer Vergat-
tung die malerische Natur erst in dichterischen
Formen lebendig wird), sondern in jenen Werken
bleibt zum größten Teil ein Schlackenrest un-
geglühten Erlebens, eine ungegorene Mischung
aus Alt und Neu, zum Zeichen, daß absterbende
Kräfte neuerwachsende am Reifwerden ge-
hindert haben.
Das ändert sich, sobald wir Kanoldts rein
landschaftlichen Gemälde ins Auge fassen, und
es ist mir wieder ein Beweis dafür, wie wenig
eines Künstlers Stellung zu seinen eigenen Wer-
ken besagen will, wenn Kanoldt seine heroischen
Darstellungen höher einschätzte, da sie ja aller-
dings, der Idee nach, höher gedacht waren.
Jedenfalls dort, wo er ungehindert von stoff-
lichen Rücksichten, die Formen seines Kunst-
gefühls rein der Natur entnehmen, und seinem
Bildnerwillen entsprechend abwandeln, konzen-
trieren, stilisieren konnte, in all den zahlreichen
Gemälden aus Italien, aus den Sabinerbergen,
der Serpentara (deren Retter, Erhalter und An-
147
Edmund Kanoldt, der Maler (1845—1904), steht
am Endpunkt einer Entwicklung; er war
der letzte bedeutungsvolle Vertreter der soge-
nannten „heroischen Landschaft".
Der Letzte! so definiert man einen Epigonen,
seltener einen Höhepunkt. Dennoch: die Ent-
wicklungen schwellen an und ab, niemals geht
ihr Eigentliches verloren. Daher mit dem Worte
Epigone ein Welturteil zu verbinden, lehnen wir
ab. Epigonentum ist Schicksal, ist, liebend be-
griffen, der Zwang, eine alternde Entwicklung
weiterzuführen, weil die neue, dem betreffenden
Künstler zukommende Entwicklung noch nicht
reif geworden. Daraus erklärt sich das Vorbei-
leben manches Künstlers an seiner Zeit und
der überraschend schnelle Anschluß, den die
folgende Generation an seinen Keimen und an
halberblühten und halberfrorenen Möglich-
keiten findet. In Kanoldts Werk als Gesamtheit
betrachtet, finden wir eine Unausgeglichenheit
solcher Art und solcher Ursache. Auf der einen
Seite finden wir in ihm die Ausstrahlung jener
Kräfte der Haltung, der Begrenzung und Son-
derung, der Linie und des hohen Stiles, die in
Jakob Asmus Carstens' Schüler Josef Anton
Koch (im engeren Gebiete der Landschafts-
malerei) ihren ungefähren Ausgangspunkt neh-
men, und die man gewöhnlich mit dem Schlag-
wort des Klassischen, oder zugespitzter: des
Klassizistischen bezeichnet.
Auf der anderen Seite spüren wir in seinen
Werken jenes neuere Weltgefühl atmen, das
über alle Schranken hinausgreift, nach den
Dingen suchend hinter dem Schein, das die
Musik in den Farben, die Farbe in den Werten
und Tönen, die Rhythmen in allen Dingen
zum erstenmal mit Bewußtsein sah, die Ent-
deckerin aller großen Verwandtschaften in Natur
und Kunst vage bezeichnet mit: Romantik.
Ihr so ganz anders geartetes Lebensgefühl
verzichtete auf Haltung, Linie und monumen-
tales Pathos, ihr Ausdruck war Sehnsucht —
Sehnsucht nach — wie nennen wir es? — nach
dem Absoluten etwa; ihre Linie war tran-
szendental und hieß Farbe, ihre Darstellung ging
auf das Nie-dagewesene, Nie-wiederkehrende.
Ein Zerfließen und sich Auflösenwollen trat an
die Stelle selbstzufriedenen Daseins. Die Kräfte,
flüssig geworden, wirkten unter dem Bilde des
Stromes, des Meeres, nicht mehr unter dem
der unbeweglich festen Säule. Diese Richtungen
also mischten sich in Kanoldts Schaffen und
hinderten an freier Entfaltung.
Rein stofflich verwies die Darstellung einer
Sappho (Abb. S. 151), einer Iphigenie, Antigone,
Kassandra, eines Orpheus und Eurydike, Echo
und Narziß auf figürliche, herausgehobene
Stilisierung im klassischen Sinn: denn hinter
jenen Figuren der Dichtung stand weniger ein
Lebensgefühl, als eine Fabel, eine Begebenheit,
die dargestellt sein wollte. Das Lebensgefühl,
das Kanoldt in seinen Werken sprechen lassen
wollte, verlegte er notgedrungen in die Natur,
die Landschaft, da er es in jene Figuren, die
feststehende Formeln und als solche erstarrt
waren, nicht mehr verlegen konnte.
Aus diesem Zwiespalt des Wollens erklärt
sich jener Rest, der in seinen Werken zwischen
figürlicher und natürlicher Erscheinung klafft.
Hätte er auf eines von beiden verzichten können !
Oder im Sinne seiner Kräfte gesprochen: hätte
er auf Figur verzichtet und sich ganz in natür-
licher Darstellung ausgelebt. Denn seine Figuren
sind nicht Hauptsache, wie bei Feuerbach, son-
dern (mit einem bösen Worte) Staffage, man
kann sie sich wegdenken, ja zudecken, ohne sie
zu vermissen — und sie sind auch nicht so
völlig in die durchlebte Natur geschlüpft, von
ihr aufgesogen, wie bei Böcklin, (der wohlweis-
lich nie bestimmte Figuren der Sage wählt,
obschon auch bei ihm in romantischer Vergat-
tung die malerische Natur erst in dichterischen
Formen lebendig wird), sondern in jenen Werken
bleibt zum größten Teil ein Schlackenrest un-
geglühten Erlebens, eine ungegorene Mischung
aus Alt und Neu, zum Zeichen, daß absterbende
Kräfte neuerwachsende am Reifwerden ge-
hindert haben.
Das ändert sich, sobald wir Kanoldts rein
landschaftlichen Gemälde ins Auge fassen, und
es ist mir wieder ein Beweis dafür, wie wenig
eines Künstlers Stellung zu seinen eigenen Wer-
ken besagen will, wenn Kanoldt seine heroischen
Darstellungen höher einschätzte, da sie ja aller-
dings, der Idee nach, höher gedacht waren.
Jedenfalls dort, wo er ungehindert von stoff-
lichen Rücksichten, die Formen seines Kunst-
gefühls rein der Natur entnehmen, und seinem
Bildnerwillen entsprechend abwandeln, konzen-
trieren, stilisieren konnte, in all den zahlreichen
Gemälden aus Italien, aus den Sabinerbergen,
der Serpentara (deren Retter, Erhalter und An-
147