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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 42.1926-1927

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Braungart, Richard: Oswald Poetzelberger: zu seiner Ausstellung in Brakls Kunsthaus, München
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https://doi.org/10.11588/diglit.14162#0259

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OSWALD POETZELBERGER

ZU SEINER AUSSTELLUNG IN BRAKLS KUNSTHAUS, MÜNCHEN

Man hört und liest es täglich und sagt und
schreibt es auch selbst, daß die moderne Kunst,
im Gegensatz zum Impressionismus, reine Aus-
druckskunst sei und daß ihr das hinter den
Dingen Verborgene, das Seelische oder, wie
man auch sagen könnte, das Imaginäre ganz be-
sonders am Herzen liege. Nun: die Sache hat
schon ihre Richtigkeil, aber freilich in der
Theorie mehr als in der Praxis, was immer
dann der Fall ist, wenn eine Doktrin älter ist
als die ihr entsprechende Wirklichkeit. (Der
Normalfall ist, daß erst Taten geschehen und
dann eine Lehre davon abgeleitet wird.) Und
so braucht sich niemand darüber zu wundern,
daß echte Ausdruckskunst heute, wo sie doch
eigentlich Mode, ja, noch mehr als das, nämlich
Pflicht ist, trotzdem so selten gefunden wird.
Seele hat man oder man hat sie nicht. Man
kann sie nicht herbeikommandieren. Und eben-
sowenig kann man klare Augen über ihr Feh-
len hinwegtäuschen.

Weil das alles so ist, muß die Freude um so
größer sein, wenn man eines Tages zufällig
irgendwo unter Larven der fühlenden Brust
und inmitten von Artisten, Experimenlierez'n,
Virtuosen und Mitläufern einem wahrhaft Inner-
lichen und Geistigen, also einer Seele begegnet.
Dieses Erlebnis hatte ich vor vielleicht zwei,
höchstens drei Jahren, als ich im Kunsthaus
Brakl in München zum ersten Male ein paar
Bilder von Oswald Poetzelberger sah. Ich weiß
es noch wie heute: ich blieb stehen wie von
einer Hand zurückgehalten, und fühlte sofort
und sehr deutlich, daß dieser Maler, den ich da
zufällig für mich entdeckt hatte, mich noch
öfter und intensiver beschäftigen werde. Und so
geschah es auch. Wann immer ich ihm später
begegnet bin, hatte ich den Eindruck von etwas
Ungewöhnlichem, Feiertäglichem. Und ich ge-
riet stets ganz ohne eigenes Zutun in den be-
glückenden Bann dieser weltfernen, stillen,
zarten Kunst, die so sehr Seele ist, daß auch
das Geistige in ihr zur Seele wird. Im übrigen
erinnere ich mich genau, daß ich, als mir zum

ersten Male Bilder von Poetzelberger vor Augen
kamen, mit einem leisen Seufzer daran dachte,
wie schön und anziehend unsere modernen
Kunstausstellungen doch sein müßten, wenn
das Durchschniltskönnen und die Kunstgesin-
nung unserer malenden Jugend auf der idealen
Höhe der reinen, edlen Kunst Poetzelbergers
stünden. Ich vergaß allerdings damals, daß
Poetzelberger nicht mehr das wäre, was er ist.
und uns auch nicht dasselbe wie jetzt bedeuten
könnte, wenn es viele andere gäbe, die ebenso
wären wie er. Wir wollen uns also schon lieber
mit seiner Einmaligkeit zufrieden geben, denn
sie ist, neben seinem Können, die Gewähr dafür,
daß Poetzelberger sich behaupten und immer
mehr Empfängliche mit der schwermütig-süßen
Melodie seiner Kunst betören wird.
Fast jeder Künstler hat sein weibliches Ideal,
das in zahlreichen Abwandlungen, Verwand-
lungen und Vermummungen immer wieder auf
der Leinwand erscheint, bis der Tod des Künst-
lers die Variationenfolge beendet oder bis ein
anderes, neues Ideal das alte verdrängt. Nur
selten abernimmtdieses unermüdliche Gestalten
des immer gleichen Typus einen so leidenschaft-
lichen, fast möchte man sagen: monomanischen
Charakter an wie bei Poetzelberger. Denn es
gibt tatsächlich fast kein Bild von ihm, auf dem
nicht ein und dieselbe Frau Trägerin des Bild-
gedankens, Gefühlsbrennpunkt und seelisches
Ausstrahlungszentrum wäre. Diese Frau ist,
wenn man vom Krieg absehen will, den noch
kein Teilnehmer ganz in sich überwunden hat,
das Stärkste und Erschütterndste, was Poetzel-
berger bis jetzt erlebt hat. Aber es ist erschüt-
ternd nicht im zerstörenden Sinne, sondern in
der Art, wie ein Spaten das Erdreich lockert,
so daß die Saat der Eindrücke in der Seele reiche,
künstlerische Früchte tragen kann. Unergründ-
lich wie das Meer und der Himmel sind die
suitsam großen, sanften, erschrecktenBehaugen
dieser wundervollen, rührenden, madonnen-
haften jungen Frau. Und es ist soviel Lebens-
angst, tiefstes Leid um Gewesenes und wehes

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