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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 42.1926-1927

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Braungart, Richard: Oswald Poetzelberger: zu seiner Ausstellung in Brakls Kunsthaus, München
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https://doi.org/10.11588/diglit.14162#0260

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OSWALD POETZELBERGER. TR1PTVCHON

Wissen um Kommendes in diesen Augen, denen
man gerne glaubt, daß sie über diese Welt hinaus
ins Jenseits zu schauen vermögen. Poelzelberger
malt diese Frau, die der Finger des Schicksals
berührt hat, als Madonna, und dann umwittert
sie die qualvolle Ahnung des Schrecklichen, das
dem himmlischen Kinde bevorsteht. Oder als
Gretchen: Der Menschheit ganzer Jammer faßt
uns an bei diesem Anblick. Selbst die mun-
tere Viola in Shakespeares „Was ihr wollt"
wird zur tragischen oder wenigstens trauernden
Gestalt, deren Körper ganz aus Leid und Kum-
mer gebildet ist. Es ist das Gefühl der Nieder-
geschlagenheit über ihre Doppelrolle, das sie so
vollkommen beherrscht: sie möchte endlich
wieder Mädchen sein, und muß immer noch
einen Knaben vortäuschen. Dieser Zwang zur
Lüge ist für ein edles Herz unerträglich, und
der Grimm darüber umschnürt sie wie eine
schmerzende Fessel. Hauplgestalt ist diese Frau
— des Künstlers eigene, was man leicht errät —
auch in dem Triptychon „Die Todgeweihten",
in dem Poetzelberger das Geheimnis des Todes
selbst zu gestalten versucht hat, jenes Ahnungs-
volle, Seltsam-Bedeutungsschwere, das, wie man
wohl annehmen darf, in einem Sterbenden kurz
vor dem Tode letztes Erlebnis wird. Die drei
Bilder schildern verschiedene Phasen oder For-
men dieses visionären Vorgangs, der in der

Stimmung dem Wetterleuchten verwandt ist.
In der stehenden Figur verkörpert sich die Re-
signation, in der knienden der Abschieds-
schmerz. Im Mittelbild, das ursprünglich „Dies
irae" betitelt war, ist der Moment des Todes
selbst dargestellt. Ein starker Helfer ist dem
Künstler, wie auch sonst,so besonders in diesem
Falle das Kolorit: fahle, gebrochene, unbe-
stimmte Farbklänge, Harmonien, die sich aus
scheinbaren Mißklängen formen und etwas un-
widerstehlich Suggestives haben.
Sehr eigenartig ist eine Anzahl neuerer Bilder
von Poelzelberger, auf denen die bewußte Frau
stets in Begleitung von kraftvollen, modernen
Männern, manchmal in ganz mondäner Umge-
bung oder mit dem Hintergrund einer Engadin-
landschaft, zu sehen ist. Durch diesen Gegen-
satz soll das Rührende und Bezwingende dieser
Frau noch stärker als sonst betont werden. Im
übrigen wollen einige dieser Bilder, die Rätsel
aufzugeben scheinen und deshalb dazu verleiten
könnten, allerlei in sie hineinzugeheimnissen.
nicht sehr viel mehr sein als künstlerische, aller-
dings sehr individuelle Formulierungen des Be-
griffes „Junge Leute von heute". Aber es liegt
wohl am Stil Poetzelbergers, der zugleich mo-
dern und von Giotto, Masaccio, Fra Angelico,
auch von Van Dyckbeeinflußt ist, an seinerTech-
nik und an der feierlichen Stimmung dieser wie

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