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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 2
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Pauli, Gustav: Ferdinand von Rayski: das Bildnis des Herrn Benecke von Gröditzberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0076

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mag sich leichtlich über die beschränkte Regiererei
der damaligen Machthaber entrüsten oder das
Philistertum der damaligen Bürger belächeln. In
Summa schienen die Menschen doch leidlich zu-
frieden zu sein. Ein Weiser wie Ernest Renan
meinte sogar, Europa habe damals seine glück-
lichste Zeit erlebt. Man kam mit geringer Be-
quemlichkeit aus; doch fühlte man einen neuen
Wohlstand wachsen. Und über der Enge des
bürgerlichen Lebens entfaltete sich siegreich der
Flug der Gedanken. Niemals war deutsche Kunst
und deutsche Wissenschaft in höherem Ansehen
gestanden als in jener Zeitspanne, in deren Mitte
Goethe die Augen schloß. Während die deutschen
Nazarener ihren Einfluß überall in Europa und
nicht zuletzt in ihrer Geistesheimat Italien geltend
machten, erblühte daheim allerorten als ein liebens-
würdiger Flor auf dem Acker des Philisteriums
eine sehr achtbare Fein- und Kleinmalerei, der
letzte ganz unverfälschte Ausdruck uralter deutscher
Kunstgesinnung.

Dieser Zeit gehörte Rayski an. Er steht sogar
als einer ihrer wesentlichen Repräsentanten da —
nachdem er uns nun einmal, seit einem Jahrzehnt,
bekannt geworden ist. Allerdings repräsentierte
Rayski durchaus nicht die bekanntesten Züge da-
maliger Kultur, nicht ihren hohen Geistesflug und
nicht ihre Nüchternheit, wohl aber ihre Vornehm-
heit, jenen aus dem achtzehnten Jahrhundert über-
kommenen und inzwischen ein wenig modifizierten
„gebildeter" gewordenen Rest höfischer Sitte, der
immer noch eine der Lebensmächte war. Wohl
sah die Ritterschaft Reichtum und Macht allmäh-
lich auf das unwiderstehlich erstarkende Bürgertum
übergehen, aber noch behauptete sie ihren Einfluß
an den höchsten Stellen der Staatsverwaltung.
Noch saßen ihre Angehörigen überall auf ihren
Gütern, den Quellen ihres Wohlstandes. Und
noch bewahrte sie in ihrem Auftreten die unbe-
kümmerte Haltung verfeinerter Herrenmenschen,
der sich das Bürgertum in seinen erfolgreichen
Vertretern anzugleichen beflissen war. Rayskis
Kraft, sein Charakter, folglich sein Genie, beruhte
nun darin, daß er diese Vornehmheit nicht ab-
malte, sondern in sich verkörperte. Er malte un-
bewußt sich selber in diese Landedelleute, in diese
tapfer und ein wenig renommistisch dreinschauen-
den Offiziere hinein. Den Leipziger Konsul Schleuer
verwandelte er in einen Diplomaten von Rang und

den neugebackenen Ritter Benecke von Gröditzberg
in einen Schloßherrn vom ältesten Adel. In Wirk-
lichkeit waren seine Modelle wohl weder so ele-
gant noch so anmutig beherrscht in ihren Be-
wegungen. Auch den Anflug von militärischer
Haltung haben sie ihm zu verdanken. Die Zivi-
listen, wie Herr Benecke, sehen bei ihm alle so
aus, als wären sie mindestens in ihrer Jugend ein-
mal Leutnants gewesen.

Das Kavaliermäßige sehen wir bei ihm durch-
aus nicht nur in den großen Zügen der Anord-
nung und Haltung; es lebt in seinen Fingerspitzen
und lenkt die Bewegung von Stift und Pinsel. Die
Schwäche seiner Zeichnungen ist ihr eleganter
Strich. Auch seine Malerei ist manchmal nur allzu
weltgewandt. Und doch fühlen wir uns gerade
ihr gegenüber milder gestimmt. Denn sein Vor-
trag ist nicht die absichtsvoll gepflegte Bravour
des Pinselschwungs wie bei — nun, wie bei man-
chen Neueren, zum Beispiel in München. Er ist
von einer angeborenen kecken Leichtigkeit. So ge-
lingen ihm glänzend gemalte Stücke; daneben
freilich entgleitet er auch wohl in eine saloppe
Eleganz, wie zum Beispiel in dem berühmten
Wildschweinbild. Für seine Zeit, das Deutsch-
land der vierziger Jahre, ist diese Art der Malerei
geradezu unerhört. Daß sie damals Verständnis
gefunden habe, möchten wir nicht annehmen.
Seine aristokratischen Gönner werden sie ver-
mutlich als eine entschuldbare Flüchtigkeit ge-
duldet haben.

In dem ersten an Verblüffung grenzenden
Staunen, mit der Rayski auf der Jahrhundertaus-
stellung 1906 aufgenommen wurde, suchte man
nach einer Erklärung dieser singulären Erscheinung
durch den Hinweis auf den großen Modeporträ-
tisten seiner Zeit, Thomas Lawrence. Allein es
ist nicht verbürgt, nicht einmal wahrscheinlich, daß
Rayski in Dresden oder Paris Bilder von ihm zu
sehen bekommen habe. Sein Kolorit ist ganz ver-
schieden von dem lackierten Glanz des hellen In-
karnats, von den emailhaften Farben auf den lebens-
großen Miniaturen des gefeierten Sir Thomas.
Wenn durchaus fremde Anreger herangeholt werden
sollen, so muß man sich schon mit Delaroche und
Horace Vernet begnügen. Allein was bedeuten sie
oder nun gar der auch als Anreger herbeigerufene
Münchener Schönheitsmaler Stieler für Rayski? Er
aist ihnen allen dreien weit überlegen. Nur das

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