Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Pauli, Gustav: Ernst Matthes: ein Erinnerungsblatt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0122

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
E. MATTHES, TANGER. FARBIGE ZEICHNUNG

jähre in München, während deren Beckerath sein Lehrer
war. Um jene Jahrhundertwende war es, daß neben dem
herrschenden Impressionismus sich ein neuer Stilwille regte.
Seine ersten Manifestationen sind uns jetzt, wie vieles gestrige,
ganz besonders fremd geworden. Man vermeinte damals
von Ornament aus ein neues Reich geschwind zu erobern.
Uberall wurde Kunstgewerbe getrieben, auch da, wo man
es am wenigsten gebrauchen konnte, z. B. in der Malerei.
Den Gefahren eines leicht erworbenen ornamental stilisierten
Ausdrucks ist auch Matthes nicht entgangen. Er hatte
Temperament und die witzigsten Einfälle; doch erfuhren
sie bisweilen in der bedächtig zierlichen Niederschrift eine
unerwünschte Abkühlung. Einige seiner früher gezeichneten
Satiren gehören freilich zu den besten im damaligen Deutsch-
land. Immerhin fühlte ihr Autor wohl, daß er Gefahr lief,
in der Sackgasse einer vorzeitig erworbenen Geschicklichkeit
stecken zu bleiben. So packte er seine Koffer und siedelte
1900 nach Paris über. Die elf Jahre, die er hier blieb,
brachten ihn zur Reife — menschlich und künstlerisch. Er
sah unendlich vieles, probierte nicht wenig, kopierte Delacroix,
studierte in der Bretagne, malte in Samois Landschaften und
betrieb mit emsigem Fleiß die Ölmalerei. Doch trieb es ihn
immer wieder, ernsthaftesten Vorsätzen zum Trotz, in das ver-

traute Bereich derlllustration. Und sowie er sich hier befand,
war er seiner Sache gewiß. Toulouse-Lautrec wurde ihm
Anreger ohne ihn zu unterjochen. Zeitweiliges Sichtreiben-
lassen in den unterhaltsamen Strudeln von Montmartre
brachte künstlerischen Gewinn. Besonders ergiebig wurden
ausgedehnte Studienreisen, die ihn 1910 nach Spanien, 1911
nach Marokko führten. Inzwischen verfeinerte sich sein
Sinn für Komik. Vielleicht war er sich seiner manchmal
kaum mehr bewußt, oder er gab sich Mühe, ihn zu igno-
rieren wie einen lästigen alten Bekannten, der uns überall
nachläuft. Dann stellte er sich wohl am Staden von Tanger
auf, um das Verladen der Rinder zu skizzieren, die ohne
alle Sentimentalität am Gehörne gepackt, erhoben und in
die Schiffsbäuche versenkt wurden. Gewiß war er sehr
ernst bei der Sache gewesen, als er endlich seine Pinsel
weglegte; und dennoch war wieder etwas Karikaturales
daraus geworden, wie solch ein geschwollener dunkler
Rinderbauch mit den zappeligen dünnen Beinen durch die
helle Luft schwebte. Oder er saß mit durstigen Augen zu
Madrid inmitten der Schattenseite der Arena und sah dem
letzten Akt einer Corrida zu. Der Espada, ein schlankes
Jüngelchen in heller Seide, steht hoch aufgereckt und fängt
mit erhobenem Degen wie ein Blitzableiter die Entladungen

HO
 
Annotationen