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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Hagen, Luise: Die Kunststickerei in der Entwicklung des modernen Stils
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0361

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Die Kunststickerei in der Entwicklung des modernen Stils.

570 u. 57t. Arbeitsbeutel von Mllecent Beveridge, Glasgow. ('/6 der wirkl. Gr.)

herrschende Zug zur Vereinfachung gar kein Unglück,
die herrschende Unsicherheit läßt aber sehr häufig
die Aünstler nicht hinreichend unterscheiden zwischen
dem, was in Weberei oder in Stickerei ausgeführt
werden kann — welcher Entwurf innerlich wertvoll
und reichhaltig genug ist, um mit der pand ver-
vielfältigt zu werden; welcher wieder der anspruchs-
loseren Maschinentechnik genügt. Bemächtigt sich
dann die rein geschäftsmäßige Mode dieser oder
jener Anregung der Aünstler, derart, daß sie schnell
allgemeinen Überdruß erregen, so werden Modesucht
und Herdentrieb dafür verantwortlich gemacht. Es
ist aber noch nie vorgekommen, daß ein ausschließlich
in strenger Bindung an den Geist der Landarbeit
erfundener künstlerisch vollwertiger Entwurf in dieser
Weise profaniert worden wäreB) Man wird wohl
oder übel immer wieder die Forderung erheben
müssen, daß Aünstler und Aünstlerinnen, wenn sie
Stickereien entwerfen, sich in die Rolle des Aom-
ponisten oder doch des Aapellmeisters hineinleben,
der nicht Führer des Orchesters bleiben kann, wenn
ihm sogar die Alangfarbe der Instrumente fremd ist.

Ein Beispiel dafür, wie ungemein schnell feine
Motive sich in unserer Zeit zum Gassenhauer aus-

i) Belege dafür bieten die Entwürfe von Prof. M. S e l i g e r,
die von den Schwestern Dernburg-Seliger ausgeführt wurden.
Die geschäftsmäßige Mode hat nie etwas damit anzufangen
gewußt und gerade dadurch ist man in die Lage gekommen,
die Hilfskräfte des Ateliers relativ gut zu bezahlen.

wachsen können, gibt die humorvolle Applikations-
arbeit des Aifsens von Fräul. Ann Macbeth,
Glasgow (Abb. 566). Diese Arbeit, die an Tüch-
tigkeit der technischen Ausführung zu den besten
auf der Türmer Ausstellung gehörte, ist seitdem
in dutzendweiser Nachahmung mit holländischer
Tharakteristik in den Auslagett der großen Waren-
häuser aufgetaucht. Wenn auch eine bestimmte
Sentimentalität in der Auffassung dieses Aifsens
dem deutschen Geschmack nicht ganz behagt, so
bleibt es doch eine erstklassige technische Studie. Es
liegt auch etwas Gewinnendes in der Art, wie
die „Aufgeblähtheit" dieser „Pustemuhme" mit der
unsichern Beweglichkeit der Daunenfüllung des Aifsens
harmoniert. Alle jene Theorien, die figürlich Dar-
stellungen auf Aissen in Acht und Bann tun, werden
gegenüber dieser lustigen Auffassung der Dinge hin-
fällig. Die gleiche Gründlichkeit der Ausführung,
verbunden mit Eingabe an die Eigenart des Ma-
terials tritt bei den Tischdecken oder Tischläufern der-
selben Aünstlerin hervor (Abb. 567 u. 568); im theore-
tischen Sinne interessiert hier, wie durch das Ein-
fügen der Eckmedaillons dem Begriff der Schwere
und des Hängens an der richtigen Stelle Ausdruck
gegeben wird. An dem „Dornröschen" (Abb. 569)
erkennt man, namentlich in der siächenhaften, sicher
modulierten Behandlung der Heckenrosen, viele tech-
nische Feinheiten. Die straff gezerrten ^verfallen
von Dornröschens Gewand werden gegenwärtig als

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