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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 3.1923

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Heft 4 (Juli 1923)
DOI Artikel:
Müller, F.: Über schöpferische Arbeit im Zeichenunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.22197#0070

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69

behaglich — auch nicht übLrsllllk — M viel Hecdgesellen
im engen Raum sind sich zur Plage. So geht alles,
was die primitive Kunst auSdrückt, auf ein nakür-
liches, in sedem Menschen vorhandenes Gefühl zurück,
das seinerfeits wieder eng verbunden ist mit dem Bau
des ganzen Körpers und mit dem Leben des einzelnen
Menschen wie der ganzen Horde. Es sind allgemeine
Lebensgesetze, die wir hier als Kunstgesetze kennen
lernen und die wir in allen bildhaften Kunskäußerun-
gen, seien sis flachenhafter oder plastischer Natur,
seien sis ornamentales Zierwerk oder figürliche Dar-
stellungsn, wiedererkennen. Diese natiirlichen Kunst-
gesetze, die von Ilrzeiten her im Menschen wirksam
waren, die zum u.ei! sogar noch mit den urzeiklichen
Lebensersahrungen zusammenhängen, diese Kunst-
gesehe, die noch ungeschrieben sind und hoffentlich

begründeten Kunstgesehe inseiner Weise anwendet.
3edes Menschenwesen hat als sindividuum seine eige-
nen Lebensgesetze und kann doch als Einzelwesen ftir
sich nicht bestehen, ist vielmehr durch taussnd Fäden
an die Umwelt. gebunden und von den allgemeinen
Lebensgesetzen dss Kosmos abhängig.

Sollte es nun nichk möglich sein, unter Beachkung
dieser ursprünglichsn Kunstgesetze, also auf Grund des
in jedem Menschen vorhandenen künstlerischen Ge-
sühls, die Kinder durch den Unterricht anzuregen, daß
sie aus sich heraus erfinden und gestalten, wie es die
primitiven Menschen getan haben und noch tun?
Gewiß ist das möglich. — Ssht einmal, Iungens, hier
diese wagrechte Blsilinie! Ich sehe mi! dem Pinsel
einen grünen Farbenklecks darauf, gebe ihm aber
eine bestimmts Lage und Form, ein Stückchen weiker

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5tras55ngipbel klosreii'L

Dal sächflsche BiNlernhauZ unL setire Dorsgenoffen von Br. Schmidt istehe Desprechung).

auch ungeschrieben bleiben, regieren auch heute noch
die Hand jedes künstlerisch Schaffsnden: unbewußt
muß er ihnen gehorchen. Sie bilden in ihrer Gesamt-
heit das künstlerische „Gefühl", von dem wir oben
sprachen, das somit, wie wir nunmehr erkennen, nichts
Wesenloses, Unsicheres, in der Luft Schwebendes ist,
sondern ein durchaus solides Fundament, gegründet
auf die Grundgesetze des Lebens.

Theodor Bolbehr, der Magdeburger Museums-
Lirektor, hak ein sehr lesenswertes Buch geschrieben:
„Gibt es Kunstgssehe?" Er weisi darin 'chr trefflich
nach, wie den vielen Kunstgssetzen, ^ v von der
Ästhetik jeweilig aufgestellt wordeu sind, urgesetze
zu Grunde liegen und wie sie nur so weit Mgkeit
beanspruchen könnsn, als fie mit den Nakurgesetzen
übereinskimmen. 2ch weise ausdrücklich auf dieses
Buch hin, weil es über viele Einzelfragen, die in die-
sem Zusammenhang auftauchen können, und die im
Rahmsn meiner Ausfühcungcn unbeantwortek bleiben
müssen, aussührlich Auskunft gibk. Nur so viel sei
noch kurz bemerkt, daß jedes schaffende Menschen-
individuum, diese in dsr allgemeinen Menschsnnatur

noch einen, ebensogroß, von derselben Beschaffenheit,
dann noch einen unü so weiter! Seht, da haben wir
schon ein Motiv! fihr seh! seine regelmäszige Wieder-
kehr, es fehlt aber der Wechsel. Machen wlr also eine
Gegenbewegung, also zwischen je zwei Klecksen eine
Linie in entgsgengesetzker Richtung, geben wir ihr
etwas Schwung, datz fie sich der Form des Motios
schön unterordnet; öenn wo Ordnung sein soll, muß
auch Ankerordnung sein. Drllcken wir den Gegensatz
auch noch durch Farbe aus, nehmen also eine Farbe,
die sich von dem Grün klar unterscheidet, also Rot!
Was haben wir auf diese Weise erhalten? Ein Band.
Aber seht diese großen, leeren Ecken! lln einem gro-
ßen, leeren Zimmer ist's unbehaglich. Bringen wir
also Möbel hinein! Bersuchen wirs einmal mit diesem
Bogen! Wenn er einmal gesetzt ist, muß er immer
wiederholt werden! Nun noch die andern leeren
Ecken! Dork paßt vielleicht ein Winkel: er bringt
jedenfalls Abwechslung, er wirkt wis ein stukknto in
dsr Musik. Endlich noch diese kleinen Zwischenräume!
Sie lasssn sich vielleicht schon durch Punkke fllllen.
Auch weitere Farbengegensätze miisssn wir anwenden.
 
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