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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Köhler, Aline: Das Mädchen von Lenow (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0147

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Das Mädchen von Lenmv.
Novelle
von
Alme Köhler.

Zweite Abtheilung und Schluß.

Drei Jahre waren an der Uhr der Zeit abgelaufen. Drei
Jahre — eine Sekunde für das Weltall —> eine Ewigkeit für ein
Menschenherz!
Heute, an einem herrlichen Sommertag, feierte man das Ernte-
fest in Lenow. Seit langer Zeil war keine so reichliche Ernte
gewesen, sie war ein Sonnenblick in so manches dürftige Leben;
daher herrschte auch die allgemeinste Fröhlichkeit.
Im Kruge ging es heute lustig zu, dort wurde wacker getanzt,
vom jüngsten bis zum ältesten Bewohner des Dorfs, Alles drehte
sich im wirbelnden Kreise herum; selbst der Invalid tanzte
seinen Ehrentanz mit der Wirthin des Kruges, dem alten Müt-
terchen. Perlender Schweiß rann den drei Geigern, welche die
Tanzmelodieen ihren alten Violinen entlockten, von der Stirne,
die Tanzlust war so groß, daß sie schon seit Mittag, ohne daß
man ihnen eine Viertelstunde Ruhe gönnte, unaufhörlich spielen
mußten. Doch bei allem Jubel vernahm man kein rohes, über-
müthiges Geschrei, überall herrschte ein gesittetes Benehmen.
Ellen befand sich auch unter den Tanzenden, sie hatte sich nicht
von der Feier des Erntefestes ausschließen dürfen und nahm we-
nigstens auf kurze Zeit daran Theil. Sie walzte mit dem schön-
sten Burschen in Lenow, dem Sohne des verstorbenen Schulzen
Steffens. Hans war groß und stattlich, von manchem Mädchen
gern gesehen, von mancher Mutter schon im Stillen zum Schwie-
gersohn auserkohren.
Nach Beendigung des Tanzes entfernte sich Ellen heimlich,
ihre Haltung war nicht so fest, so sicher, wie vor drei Jahren,
auf ihren Wangen lag der Mondschein einer matten Blässe, ein
schwärmerisches Lächeln umspielte ihren Mund.
«Ellen ist krank," sagten viele Leute.
«Schöne Blumen," meinte der Invalid, «haben meist ein
kurzes Dasein, sie sind zu zart, um den Nachtfrost, den eisigen
Windhauch ertragen zu können."
Ellen schritt eilig ihrer Hütte zu. Noch war sie kaum eine
kleine Strecke gegangen, als sie ihre Schulter sanft berührt fühlte
und eine Stimme zu ihr sprach: «Laß mich mit Dir gehen, liebe
Ellen, ich habe Dir etwas Wichtiges zu sagen." Betroffen wandte
sich Ellen um und sagte etwas ärgerlich: «Hans, wie hast Du
mich erschreckt, folge mir, wenn Deine Mittheilung so wichtig
ist, aber fasse Dich kurz, ich habe wenig Zeit."
„Ach!" entgegnete der Bursche, „höre mich nur eine Minute
an; Du bist mir so lieb und werth, ... ich wünschte, Du würdest
mein Weib."
«Hans, Du treibst einen sehr unpassenden Scherz mit mir,"
rief Ellen unwillig.

»Ich, Scherz treiben?" fragte Hans erstaunt; »glaubst Du,
ich spaße in so wichtigen Dingen, da kennst Du mich schlecht."
»Um so schlimmer, wenn Deine Worte ernstlich gemeint sind,
sie bezeugen einen Leichtsinn, der mir sehr wehe thut; ich habe in
Dir einen braven Menschen gesehen, der sein gegebenes Ver-
sprechen halt, soll ich mich darin getäuscht haben? Ehe Du in die
Fremde gingst, versichertest Du oft, Du liebtest des Müllers
Mary, und keine Andere sollte einst Dein Weib werden; denkst Du
mit keinem Gedanken mehr daran? Siehst Du nicht, wie Marh's
Wangen bleich werden, wie ihre Heiterkeit geschwunden, wie sie
Dich oft mit thränenden Augen anblickt? Erst vorhin, als Du
mich zum Tanze auffordertest, sah ich, wie sie sich wegwandte,
um ihre Traurigkeit zu verbergen. Du sprachst heute noch kein
Wort mit ihr und sie ist, wie immer, die einzige Bekümmerte unter
den Fröhlichen. Wenn Du wüßtest, wie es mich schmerzt, daß ich
gerade die Ursache ihres Kummers bin! Sie hat mir mehr denn
ein Mal im Vertrauen von ihrer Liebe zu Dir erzählt."
Ellen hielt einen 'Augenblick inne, erst nach einer Pause, wäh-
rend welcher auch Hans kein Wort zu sagen wagte, nahm sie wieder
das Wort. „Mary," sagte sie, »ist vortrefflich von Charakter, sie ist
schön, arbeitsam, reich, Du wirst nut ihr glücklich werden! Bist
Du ihrem Vater keinen Dank schuldig? War er es nicht, der euch
manches Brod in der theuern Zeit geschenkt, der Deinen Vater
auf dem Krankenlager gepflegt, der Dich in sein Haus genommen
und erzogen hat? Dies Alles konntest Du so bald vergessen?
Wolltest der Tochter Deines Wohlthäters die Treue brechen, welche
Du ihr einst gelobt, und sie auf diese Weise hinopfern O, Du
stehst an dem Rande eines Abgrundes, Du willst Deme Seele
mit einer Sünde belasten, die Dir nie vergeben werden kann."
Ellen hatte sich beim Sprechen so ereifert, daß ihre Wangen
glühten, ihre Augen funkelten, ihr ganzer Körper bebte. Gleich
einem zürnenden Engel stand sie an der Mauer, an welche sie sick-
gelehnt hatte.
Stumm betrachtete sie Hans, jedes ihrer Worte schnitt ihm
tief in's Herz, er fühlte sein Unrecht, aber er besaß nicht den
Muth, einer Liebe zu entsagen, welche augenblicklich sein Herz er-
füllte. „Ellen," Hub er leise an, „sag'mir nur: hast Du mich
nie geliebt?"
«Es gab eine Zeit," antwortete diese düster, ehe Du in die
Fremde gingst, habe ich Dich wie einen Bruder geliebt, aber
jetzt — da Du Dein Wort brechen willst, muß ich mich von Dir
wegwenden."
„Sprich lieber: seitdem ich einen Andern liebe; o Ellen, ich
weiß, wer mir Dein Herz geraubt hat — Graf Reimar."
„Graf Reimar hat Dir Nichts geraubt," stammelte Ellen
 
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