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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

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Die zweite internationale Gemäldeausstellung in Stuttgart
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https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0205

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Die zweite internationale Gemäldeausstellung in Stuttgart.

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so gut wie nichts sieht. So konnten wir auf einem
Bilde lange nicht erkennen, oh wir Duc d'Aloen (Schiffs-
pfähle) oder krumme Beine von Trunkenen vor uns
hätten. Früher woh man Teppiche nach den Bildern
von Malern. Jetzt stellt ein Farbenvirtuose wie Drang-
wyn Nachbildungen von Teppichen aus, deren Gestaltungen
man sich mühsam zusammensuchen muss. Seine Verehrer
können daran erinnern, dass schon Parrhasius den
höchsten Preis dadurch errang, dass er den Vorhang vor
dem Bild malte. Die Taufe Christi sieht gar aus, wie
Nachbildung von eingelegter Holzarbeit mit erschreck-
lichen Kopf-, Faust- und sonstigen Formen. Farben-
schmierungen von Phantasievorstellungen sind gang und
gäbe; von solchen Ausgeburten wollen wir nicht reden.
Aber dazu kommen nun solche, die in unmöglichen Farben,
z. B. n;it nie gesehenen violetten Schatten, ein Stück
nüchternster Naturwahrheit verarbeiten. Bcmard leistet
sich das Vergnügen, uns rote und violette Pferde vor-
zuführen Die Keklame, triviale Vorwürfe durch reli-
giöse Benennungen auffallig zu machen, treibt im An-
schlags an die Darstellung des religiösen Vorwurfs in
Mittelalter oder Gegenwart ihr taktloses, ja läppisches
Spiel.

Das religiöse Bild ist als Andachtsbild nur einzeln;
als Tendenz-, Sensations- und Experimentbild mehrfach
vertreten. Jakob, der mit dem Engel ringt, vertritt
/•'. von Uhde nicht gut. Der Ausdruck des Jacob genannten
mittelalterlichen Pilgrinis, der des Engels Gewand in-
brünstiglich festhält, geht bis zur Grimasse; der blonde
Engel mit den Eulenfliigeln und merkwürdigen Händen
— welch ein Daumen! scheint einen blonden Schnurr-
bart zu haben. Charakteristisch ist von Uhde vertreten.
Wenn nur in der „Bergpredigt" und „Christus und
NikodemusChristus so gelungen wäre, wie mehrere
Flauen und der mittelalterliche Professor. Aber der
geistige Ausdruck in Christus ist schwach; er ist nichts
als ein milder Lehrer. Seine Züge sagen uns nicht,
was er spricht. Nur aus den Hörern spricht der Meister.
Die „Grablegung" mit ihrem Dunkel wird unerquicklich
durch die abstoßende Hässlichkeit des Leichnams Christi.
Dass F. von Uhde den Gang einer bedrängten Holzerfamilie
in der Umgegend von München die Flucht nach Ägypten
nennt, oder eine abgehärmte Frau in einer Winter-
landschaft durch einen Nimbus-Ring zur Maria stempelt,
ist seine besondere Liebhaberei; gerade diese Darstellungen
aus dem Menschenleben wirken auch ohne Zuthaten, und
wir würden auch ohne religiösen Hinweis dem Künstler nach-
empfinden. Würdig hat /feZ/rr-Stuttgart die Grablegung
als Beleuchtungs- und religiöses Stimmungsbild darge-
stellt. Albert Ke Her -München hat sich diesmal eine
nackte junge, ans Kreuz gebundene Märtyrerin mit
krampfhaft aufgezogenen Beinen, und eine Andacht bei
einer toten Nonne von den Kosterschwestern für seine
Beleuchtungsexperimente gewählt: gesucht und manirirt.
Bleibt A. Keller immer der Gourmet, so malt Eckstein

seine „Heilige Nacht" als Gourmand im plumpen Sinn.
Ein unrasirter Bauernknecht, der vorsichtiger Weise sich
mit einem Pelzrock und einem Kopfkissen ausgerüstet
hat, da der Schnee auf den Dächern liegt, erhebt sich
auf der Scheundiele erstaunt aus dem Schlaf, denn
Kinder kommen herein, um die breite junge Frau an-
zusingen und das Kind, das sie bekommen hat. Leem-
poels Bild „In Thränen" ist tief und innig. Dagegen ist
Jac. Smit's Christus im Judaskuss wie ein Cretin in
schmutzigem Hemd. Dass Paulsen's Bild Cain seiner-
zeit bei der ersten Ausstellung in Dänemark viel Wider-
spruch erregt hat, lässt sich begreifen. Dieser Cain
hat seinen Bruder nicht aus Eifersucht auf Gottes
Wohlgefallen erschlagen: es ist der verrohte, vertierte,
verschnapste Mörder, ein ganz nackter Knote. Gottes
feurige Hand drückt ihm das Mal auf, doch erinnert
das Krampfige des gräulichen Verbrechers an Niesen.

Es freute uns, die breit dahingestrichene Zimmer-
mannswerkstätte von Liebermann nicht durch ein Epi-
theton religiös gestempelt zu sehen. Dies Bild und der
„Kaffeegarten" zeigen ihn charakteristisch. Die „Klöpp-
lerinnen" als Gemälde sind allerdings noch charakteris-
tischer für unsere Zeit. Schade, dass sie nicht auch noch als
„Parzen" frisirt sind, wie der Studentenausdruck lautet.

Repin's großes Prachtstück „Die Antwort der Sapo-
roger an den Sultan" ist bekannt und berühmt in seiner
Charakteristik der Kosaken in ihrem halben und ganzen
damaligen Asiatentum und in ungefüger Heiterkeit, bru-
taler Kraft, Derbheit und Verschmitztheit.

7/a?///-Stuttgart bringt aus dem Jahre 1813 einen
„Straßenkampf in Leipzig", die Erstürmung der Stadt.
Hang ist der Meister, der die Lyrik der schwäbischen
Sänger malerisch erneut. Diesmal ist es nicht die Dar-
stellung „bald wird die Trompete blasen", wie in seinem
früheren Morgenrot, sondern es bläst die Trompete und
ruft Junge und Veteranen in den Tod. Kein besonderer
Held, keine Hauptgruppe; nichts Episches, bestimmt
Historisches; das Ganze ein Kampf-Stimmungsbild. Die
Zeit drängte so sehr, dass der Künstler wohl noch die
letzte Hand daran legt, an den in den Farben wie ver-
dämmernden Vordergrund. Wir sehen das Bild noch
nicht fertig; möglich, dass der Künstler nach bekanntem
Spruch alles darin sieht, was er ausdrücken wollte.

Von den beliebten Dämmerbildern sei hier gleich
die „Abendstimmung" von Flock-Stuttgart in ihrer Lyrik
angereiht und gelobt. Ein Hirt sieht, von uns abge-
wandt, bei seiner Herde nach dem Licht in den fernen
Häusern im Thal. Der Mond geht über den dunklen
Waldhängen auf. Das Bild ist voll Poesie und gut
gemalt.

Das Lebensbild im weitesten Umfang, Phantasie
und Allegorie, Porträt, das gewöhnliche Genre, Tierbild,
Landschaft, Marine, Stillleben — all das ist trefflich,
gut oder sonderbar gemäß den jetzigen Strömungen und
Parteiungen vertreten, interessant besonders durch die
 
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