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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0231

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Sammlungen und Ausstellungen.

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Frauenhand, wie eine sorgsame Stickerei, nicht wie leiden-
schaftlich auf die Leinwand übertragene Natur. — Machensen,
das Haupt der Worpsweder, sandte uns sein neuestes Bild
„Trauernde Familie". Es ist eine erschütternde Episode
norddeutschen Bauernlebens, die er vor uns entrollt: Eltern
und Geschwister an der Leiche des Jüngsten. Mackensen
hat in seiner Art weder monumentale Größe, noch die Eigen-
schaften einer Persönlichkeit, die vollauf den Stempel der
heutigen Modernen trägt, im Sinne ihrer Neigung zur Mystik,
ihres Neu-Katholizismus (im weitesten Sinne dieses Wortes)
und dann ihrer vornehmen Morbidezza-Stimmungen des
Kolorits. Seine Kunst hat in jeder Beziehung etwas schlicht
Bürgerliches, Protestantisches. Er hat sie aus dem Acker
seines Heimatlandes wachsen lassen, damit sie sich kräftig
und empfindungstreu entfalte. Das Seelenleben derber Bauern-
naturen, das nur bei Vorfällen obiger Art durchbricht, mit
feinem Verständnis beobachtet und mit schlichtem, aber mar-
kigem Pinsel hingeschrieben, das ist Mackensens Kunst. Sie hat
fast etwas Skandinavisches, wirkt wie eine Bauernerzählung
Arne Garborgs, oder ein Bild von Krogh. Mackensen wie
auch Modersohn, die besten der Worpsweder, verdanken ihr
jetziges Können und die Zugkraft ihrer Kunst nicht einer
großen originellen Begabung, vielmehr dem täglichen Ver-
kehr mit der Natur und dem Aufgehen in dem Leben, das
sie schildern. Sie waren von Hause recht bescheiden be-
gabt. Aber gerade aus diesem Grunde wurde diese Maler-
kolonie eine interessante Erscheinung, ihr Erfolg ein Mahn-
wort an die Künstler, indem er beweist, wie die Kunst sich
aus einem tiefen, intimen Leben heraus kräftig entwickeln
kann, einem Leben, dessen Odem wir beständig atmen,
einem Leben, mit dem wir uns eins fühlen; das ist für das
Gedeihen der Kunst das Notwendigste. Den besten und
modernsten Künstlern von heute aber fehlt, infolge ihrer
aus der modernen Empfindungsverfeinerung entspringenden
Reflexion, die Unmittelbarkeit zum Leben, die es unbewusst
und beständig, tief und in harmonischer Ruhe ausschöpfen,
genießen und gestalten lässt, die Werke zu Manifestationen
des Lebens machend. Daher ist die heutige Kunst nicht
mehr die Frucht des einheitlich gebundenen Lebensgenusses,
was sie beim Naturalismus noch war, nicht mehr ein am
Herzen des Künstlers erwärmter, mit seinem Blut genährter,
lebender Organismus, — sie ist, zwar individuell gefärbt,
nur das Resultat der Reflexion. Daher hat sich die ganze
mystische, neu-englische, Botticellistische Kunstströmung (die
den stilhungrigen Nerven anfangs und bei ihren Urhebern
willkommen war) nun bei ihrer Verallgemeinerung als ein
Petrefakt erwiesen; sie gleicht mehr den getrockneten
Blumen eines Herbariums als den saftigen Kräutern der
Natur. Sie ist, als Reaktion auf den Naturalismus, über
das richtige Ziel hinausgeschossen; es gilt wieder mehr zur
Natur zurückkehren, mit all unseren modernen Empfin-
dungen natürlich. Da könnte nun ein Naturleben und
Schaffen, wie das der Worpsweder, das Seine thun, den
Künstler zum Leben zurückführen, das Vermögen zur Un-
mittelbarkeit anbahnen, die Eindrücke und Gefühle wieder
tiefer dringen, in der Seele des Künstlers zum eigenen
Organismus auswachsen lassen, statt sich als lebloses, dürres
Erzeugnis der Reflexion abzulösen; es würde der flachen
Mystik von heute der Odem des Lebens wiedergegeben und
eine tiefe, vom Leben gereifte Seelenkunst entstehen, die
eine erhabene Ruhe ausstrahlt, wie alle vom Leben gereiften
größten Kunstwerke: die Schöpfungen eines Millet oder
Böcklin. SCURATOW.

Düsseldorf. — Augenblicklich sind hier drei Maler ver-
treten, die man schon Maler des „Weibes" nennen könnte,

denn sie haben mit Vorliebe immer wieder, doch in sehr
verschiedener Auffassung und mit sehr verschiedener Tiefe,
dies Thema behandelt: Jan van Beers, Gabriel Max, Felieien
Bops. — Jan van Beers, einst in aller Mund, wird heute
nicht mehr erwähnt, wenn es sich um ernste Fragen der
Kunst handelt. Und mit Recht. Wenn man nach jahre-
langer Pause vor seine Werke tritt, vermisst man wirklich
alles, was heute in koloristischer Wertung und Malweise von
einem Künstler gefordert wird. Er hat nur eine Kenntnis
des oberflächlichen, äußerlichen Reizes der Wirklichkeit.
Er versteht den Reiz der demi-mondaine, wie etwa Stevens
den der Dame von Welt versteht. Van Beers' Weib ist ein
dummes naives Kätzchen, ein Spielzeug des Mannes, das
außer Kostümliebhaberei keine gefährlichen Leidenschaften
hat. Diesmal giebt er uns die junge Halbweltlerin als
„paresse" nur in einen Schleier gehüllt auf den Fellen ihres
Divans, in Pelz vermummt auf der Eisenbahn etc. In dem
Bilde „die Rose" ist er am besten; das ist die „femme de
trente ans". Diese Frau ist reizvoll, reif und aufgeblüht
wie die Rose, deren Duft sie saugt. — Und Gabriel Max —
wie hat dieser große Vorläufer der modernen Seelenmalerei
nachgelassen! Warum hat er nicht vor Jahren den Pinsel
aus der Hand gelegt? Wenn wir heute seinen Bildern in
einer Ausstellung begegnen, so interessiren sie eben nur als
Reminiscenzen an die Blüteperiode ihres Schöpfers, die nicht
zu vergessen unsere Pflicht ist. Gabriel Max pflegt noch
immer das gleiche Motiv, immer noch giebt er den böhmischen
Frauentypus mit der kurzen breiten Nase, den vollen,
wunden Lippen und den wie vom Weinen geschwollenen
Augen. Wohl kein Typus hätte sich mehr für Max geeignet
als dieser, wohl an keinem hätte er mehr das zeigen können,
was er zeigen wollte und gezeigt. Er gab dies Weib immer
in zwei Stadien: die Jungfrau in den leidenden Zuständen
der Entwicklungsjahre und das Weib in dem müden Stadium
des Hinwelkens. — Wie anders nun das Weib bei Felieien
Bops, den man mit Recht einen der genialsten Künstler des
Jahrhunderts nennen darf. Abgesehen davon, dass er als
Radirer neben Klinger der Geschickteste der Gegenwart ist,
ist er mir als Künstler manchmal sympathischer, weil mehr
im Leben stehend, während Klinger oft in seinen philo-
sophischen Abstraktionen und Ideenkonstruktionen zu er-
starren droht. Felieien Rops ist der größte Psychologe des
Lebens, und weil er des Lebens Rätsel lösen wollte, sein
Werden und Vergehen schildern, seine Lust und ewiges
Leid, hat er sich das Symbol des Lebens, das Weib, zu
seinem Arbeitsfeld gewählt. Er ist der tiefste Psychologe
des Weibes aller Zeiten, möchte man sagen, über ihn ließe
sich ein Buch schreiben, und dieses Buch wäre gleichzeitig
die Geschichte des Weibes. Doch weit entfernt, in der Seele
des Weibes die Offenbarung des Idealen zu finden, ist sie
ihm eine Stätte, da, wie in den Sumpfgegenden der Tropen,
neben der üppigsten Blütenpracht, aus den gleichen Ursachen
das Verderben todbringender Krankheiten lauert. Seine
Weiber sind jedem Wanderer berauschende, aber giftige
Blüten, sind lockende verführerische Engel der Hölle, dämo-

! nische Bräute des Satans, oder selbst blutgierige Megären.

I Sein Weib ist ein grausames Marterwerkzeug der Lust; das
Weib, an dem der Mann zu Grunde geht, wie am Spiel und
am Alkohol, eine willenlähmende Macht, die mit dem Mann
Fangball spielt, eine Sphinx schließlich, immer gleich er-
haben, gleich groß, deren nie zu enträtselndem Blick der
Mann immer wieder folgt, wie dem Irrlicht im Dunkel der
Nacht. Das alles ist das Weib bei Felieien Rops, und noch
weit mehr. Selbst da, wo er dieses Gebiet anscheinend ganz
verlässt, wie auf jenem Blatt, da er sechs Frauen aus der
 
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