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Sammlungen
HO
Wenn die an der deutschen Grenze wohnenden Franzosen
sich nicht so beharrlich auf die Meubles de style versteifen,
sondern modernen Zimmereinrichtungen ihre Wohnungen
öffnen, so kommt das sicherlich zum Teil daher, daß sie
das deutsche Beispiel jeden Tag vor den Augen haben
und sich der Tatsache nicht verschließen können, daß dieser
neue Hausrat unseren heutigen Bedürfnissen besser Rechnung
trägt als die vom 16.—18. Jahrhundert geschaffenen Formen.
Das im Herbstsalon vertretene Kunstgewerbe läßt sich
also, wenn man systematisch sein will, in zwei Rubriken
zerlegen. In der einen stehen die Nanziger und ihre An-
hänger, die uns keine Überraschungen bringen, denn was
sie uns hier zeigen, kann man so ziemlich in jedem deutschen
Möbelladen ebenso schön oder schöner, ebenso praktisch
oder praktischer und auf jeden Fall billiger finden. Uber
die von Majorelle, Oauthier-Poinsignon, Bigaux ausgestellten
Salons, Schlafzimmer und Speisezimmer braucht also nichts
gesagt zu werden, und auch Frank Scheidecker verdient
kein näheres Eingehen, wenn man etwa seine Beschläge
aus ausgeschnittenem Messing ausnimmt, die wir aber
auch schon seit Jahren kennen, ohne daß sie sich geändert
hätten.
Die andere Gruppe ist interessanter, weil sie neue
Ziele verfolgt. Die Künstler, die hier arbeiten, Andre Mare,
Groult, Sue, kommen von der Malerei her und schwören
zum Banner Cezannes, Gauguins und van Goghs, wenn
sie nicht gar Kubisten oder Futuristen sind. Nun kann
man sich zwar sehr wohl vorstellen, daß ein Bild von
Gauguin oder Cezanne einen amüsanten Farbenfleck an
der Wand macht, wenn man uns aber zumuten will, gleich
in einem Bilde von Cezanne oder Gauguin zu leben, zu
essen, zu schlafen, zu arbeiten, dann tun uns doch wohl
unsere Nerven leid, und da würden wir uns, wenn denn
einmal in einem Bilde gewohnt werden soll, lieber etwas
von Dürer, Ludwig Richter oder Schwind aussuchen.
Denn in unserer Wohnung wollen wir doch Ruhe und
Behaglichkeit haben, und woher sollen wir die nehmen,
wenn wir von den heftigsten Farben umknallt werden,
wohin auch unser Auge trifft? Gauguin ging zu den Südsee-
insulanern und lernte von ihnen, wie man die lautesten
Farben zu einer Farbenfanfare vereinigt. Seinem Beispiel
folgen die genannten Kunsthandwerker, vor allen anderen
aber Andre Mare, der sich an den grellsten Farbenzusammen-
stellungen erfreut, bei dem die Stühle, Tische und Betten
knallrot, grellgelb oder ultramarinblau angemalt sind, bei
dem die Tapeten, Teppiche, Türen, Vorhänge, kurz alles
in der nämlichen Weise aufs schreiendste bunt sind. Alles
erinnert an die Farbenfreude der Wilden oder aber der
• Bauern und Kinder. Nun ist es ja ganz richtig, daß die
von Bauernhand gefertigten und gemalten Möbel sehr oft
wirklich schön sind, und daß man bei primitiven Völkern
wie bei Schulkindern oft seine Freude an der gesunden,
unverdorbenen Naivetät hat, womit sie die buntesten Farben
unvermittelt nebeneinandersetzen. Aber wenn man diese
Kunststücke den Wilden und Kindern nachmacht, ohne die
kindliche oder primitive Naivetät zu besitzen, dann wirkt
das doch ganz anders.
Bezeichnend ist auch die Ausstellung des »Atelier
Martine« in diesem Salon. Martine ist der Vorname der
sechzehnjährigen Tochter des Damenschneiders Poiret, der
durch seine Kunstreisen mit seinen Probiermamsellen auch
in Deutschland bekannt geworden ist. Seine Tochter ist die
Leiterin eines Ateliers, worin zehn oder zwölf junge Mädchen
von vierzehn bis sechzehn Jahren Entwürfe für Vorhänge,
Teppiche, Kissenüberzüge und sogar Möbel schaffen. Auch
hier erinnert alles an die Farbenklecksereien kleiner Kinder
und großer Neger. Indessen macht man die überraschende
Entdeckung, daß diese Vorlagen, die im Modell überaus
grell, bunt und letzten Endes abscheulich aussehen, nachher
in der Ausführung garnicht schlecht wirken: wenn das grelle
und laute Muster zwanzigmal wiederholt wird, wie es sich
bei einer Tapete oder bei einem Vorhang gehört, so wird
die Sache eben durch die Wiederholung harmonisch.
Daß aber auf diese Art das französische Kunsthand-
werk in den Stand gesetzt werden könnte, in vier oder fünf
oder zwanzig Jahren dem deutschen Kunstgewerbe die Spitze
zu bieten, mag immerhin stark bezweifelt werden. In-
dessen wäre es doch gar nicht unmöglich oder auch nur
unwahrscheinlich, daß diese malerische und farbige Be-
wegung im Kunstgewerbe auch angenehme Blüten zeitigte.
Man sieht die Anfänge davon schon in den Einrichtungen
von Paul Follot, der in einem Speisesaal das weißgelbe
Ahornholz seiner Möbel mit den grünvioletten Teppichen
und Tapeten sehr angenehm zusammenklingen läßt. Es
wäre immerhin möglich, daß ein wirklich genialer Farben-
musiker erschiene und mit seinen Kompositionen die fran-
zösische Zimmereinrichtung wieder einmal zur Mode brächte.
Aber eine wirkliche Renaissance des Kunsthandwerkes muß
doch auf anderen, viel solideren Grundlagen beruhen, und
diese Grundlagen würden in Frankreich fehlen, solange man
die Bourgeoisie, also die besitzenden Klassen, nicht von
ihrem Vorurteil abgebracht hat, wonach der Gipfel des
Geschmackes und der praktischen Brauchbarkeit, das non
plus ultra aller Zimmereinrichtungen von den Stilen, die
jeder französische Möbelhändler auf Lager hat, erreicht
worden ist und niemals auf einem anderen Wege erreicht
werden kann. Solange die französische Bourgeoisie an
diesem Aberglauben festhält, werden alle Mühen der fran-
zösischen Kunstgewerbler nicht viel mehr als Danaiden-
arbeiten sein. Es ist also nicht die Schuld der franzö-
sischen Künstler, daß sie auf diesem Gebiete ins Hinter-
treffen geraten sind, und es wird nicht ihre Schuld sein,
wenn sie in ihrer untergeordneten Stellung verharren müssen.
K. E. Schmidt, Paris.
SAMMLUNGEN
Köln. Das Wallraf-Richartz-Museum erwarb mit
Hilfe des Vorsterschen Vermächtnisses, von dem seinerzeit
hier berichtet wurde, das berühmte kleine Kreuzigungsbild
der Sammlung Clemens in Aachen. Es ist besonders durch
die Kunsthistorische Ausstellung in Düsseldorf 1904, wo
es als Werk des kölnischen Meisters Wilhelm ausgestellt
war, allgemein bekannt geworden. Läßt auch die Er-
haltung der Tafel an einigen Stellen zu wünschen übrig,
so ist doch diese Erwerbung als eine besonders glückliche
zu rühmen. Der Kreis des »Meisters der hl. Veronika«
gewinnt damit eine wünschenswerte Erweiterung durch
ein eigenhändiges Bild des Künstlers von unangezweifelter
Qualität. Der Kauf erfolgte durch Vermittelung des Aachener
Kunsthändlers Hans Creutzer.
Die Züricher Galerie wird durch die Weltl-Aktion
der Kunstgesellschaft um eins der wichtigsten Werke des
Künstlers bereichert: der »Geizteufel« ist aus Münchner
Privatbesitz für Zürich erworben worden und wird das
Welti-Kabinett vervollständigen, das außer einer Anzahl
kleinerer Arbeiten Weltis, die künftighin den Künstler von
verschiedenen Seiten seiner reichen Tätigkeit repräsentieren
werden, und abgesehen von einigen höchst erwünschten
Leihgaben von Besitzern Weltischer Werke, das schöne
Doppelporträt der Eltern des Künstlers aufweist.
Der ägyptischen Abteilung der Berliner Museen ist
es Dank einer Unterstützung von Dr. James Simon ge-
lungen, aus der Sammlung H. Martyn Kennard eine Reihe
von hervorragenden Altertümern zu erwerben. Kennard
hatte, als die ägyptische Kleinarchäologie in systematischen
Sammlungen
HO
Wenn die an der deutschen Grenze wohnenden Franzosen
sich nicht so beharrlich auf die Meubles de style versteifen,
sondern modernen Zimmereinrichtungen ihre Wohnungen
öffnen, so kommt das sicherlich zum Teil daher, daß sie
das deutsche Beispiel jeden Tag vor den Augen haben
und sich der Tatsache nicht verschließen können, daß dieser
neue Hausrat unseren heutigen Bedürfnissen besser Rechnung
trägt als die vom 16.—18. Jahrhundert geschaffenen Formen.
Das im Herbstsalon vertretene Kunstgewerbe läßt sich
also, wenn man systematisch sein will, in zwei Rubriken
zerlegen. In der einen stehen die Nanziger und ihre An-
hänger, die uns keine Überraschungen bringen, denn was
sie uns hier zeigen, kann man so ziemlich in jedem deutschen
Möbelladen ebenso schön oder schöner, ebenso praktisch
oder praktischer und auf jeden Fall billiger finden. Uber
die von Majorelle, Oauthier-Poinsignon, Bigaux ausgestellten
Salons, Schlafzimmer und Speisezimmer braucht also nichts
gesagt zu werden, und auch Frank Scheidecker verdient
kein näheres Eingehen, wenn man etwa seine Beschläge
aus ausgeschnittenem Messing ausnimmt, die wir aber
auch schon seit Jahren kennen, ohne daß sie sich geändert
hätten.
Die andere Gruppe ist interessanter, weil sie neue
Ziele verfolgt. Die Künstler, die hier arbeiten, Andre Mare,
Groult, Sue, kommen von der Malerei her und schwören
zum Banner Cezannes, Gauguins und van Goghs, wenn
sie nicht gar Kubisten oder Futuristen sind. Nun kann
man sich zwar sehr wohl vorstellen, daß ein Bild von
Gauguin oder Cezanne einen amüsanten Farbenfleck an
der Wand macht, wenn man uns aber zumuten will, gleich
in einem Bilde von Cezanne oder Gauguin zu leben, zu
essen, zu schlafen, zu arbeiten, dann tun uns doch wohl
unsere Nerven leid, und da würden wir uns, wenn denn
einmal in einem Bilde gewohnt werden soll, lieber etwas
von Dürer, Ludwig Richter oder Schwind aussuchen.
Denn in unserer Wohnung wollen wir doch Ruhe und
Behaglichkeit haben, und woher sollen wir die nehmen,
wenn wir von den heftigsten Farben umknallt werden,
wohin auch unser Auge trifft? Gauguin ging zu den Südsee-
insulanern und lernte von ihnen, wie man die lautesten
Farben zu einer Farbenfanfare vereinigt. Seinem Beispiel
folgen die genannten Kunsthandwerker, vor allen anderen
aber Andre Mare, der sich an den grellsten Farbenzusammen-
stellungen erfreut, bei dem die Stühle, Tische und Betten
knallrot, grellgelb oder ultramarinblau angemalt sind, bei
dem die Tapeten, Teppiche, Türen, Vorhänge, kurz alles
in der nämlichen Weise aufs schreiendste bunt sind. Alles
erinnert an die Farbenfreude der Wilden oder aber der
• Bauern und Kinder. Nun ist es ja ganz richtig, daß die
von Bauernhand gefertigten und gemalten Möbel sehr oft
wirklich schön sind, und daß man bei primitiven Völkern
wie bei Schulkindern oft seine Freude an der gesunden,
unverdorbenen Naivetät hat, womit sie die buntesten Farben
unvermittelt nebeneinandersetzen. Aber wenn man diese
Kunststücke den Wilden und Kindern nachmacht, ohne die
kindliche oder primitive Naivetät zu besitzen, dann wirkt
das doch ganz anders.
Bezeichnend ist auch die Ausstellung des »Atelier
Martine« in diesem Salon. Martine ist der Vorname der
sechzehnjährigen Tochter des Damenschneiders Poiret, der
durch seine Kunstreisen mit seinen Probiermamsellen auch
in Deutschland bekannt geworden ist. Seine Tochter ist die
Leiterin eines Ateliers, worin zehn oder zwölf junge Mädchen
von vierzehn bis sechzehn Jahren Entwürfe für Vorhänge,
Teppiche, Kissenüberzüge und sogar Möbel schaffen. Auch
hier erinnert alles an die Farbenklecksereien kleiner Kinder
und großer Neger. Indessen macht man die überraschende
Entdeckung, daß diese Vorlagen, die im Modell überaus
grell, bunt und letzten Endes abscheulich aussehen, nachher
in der Ausführung garnicht schlecht wirken: wenn das grelle
und laute Muster zwanzigmal wiederholt wird, wie es sich
bei einer Tapete oder bei einem Vorhang gehört, so wird
die Sache eben durch die Wiederholung harmonisch.
Daß aber auf diese Art das französische Kunsthand-
werk in den Stand gesetzt werden könnte, in vier oder fünf
oder zwanzig Jahren dem deutschen Kunstgewerbe die Spitze
zu bieten, mag immerhin stark bezweifelt werden. In-
dessen wäre es doch gar nicht unmöglich oder auch nur
unwahrscheinlich, daß diese malerische und farbige Be-
wegung im Kunstgewerbe auch angenehme Blüten zeitigte.
Man sieht die Anfänge davon schon in den Einrichtungen
von Paul Follot, der in einem Speisesaal das weißgelbe
Ahornholz seiner Möbel mit den grünvioletten Teppichen
und Tapeten sehr angenehm zusammenklingen läßt. Es
wäre immerhin möglich, daß ein wirklich genialer Farben-
musiker erschiene und mit seinen Kompositionen die fran-
zösische Zimmereinrichtung wieder einmal zur Mode brächte.
Aber eine wirkliche Renaissance des Kunsthandwerkes muß
doch auf anderen, viel solideren Grundlagen beruhen, und
diese Grundlagen würden in Frankreich fehlen, solange man
die Bourgeoisie, also die besitzenden Klassen, nicht von
ihrem Vorurteil abgebracht hat, wonach der Gipfel des
Geschmackes und der praktischen Brauchbarkeit, das non
plus ultra aller Zimmereinrichtungen von den Stilen, die
jeder französische Möbelhändler auf Lager hat, erreicht
worden ist und niemals auf einem anderen Wege erreicht
werden kann. Solange die französische Bourgeoisie an
diesem Aberglauben festhält, werden alle Mühen der fran-
zösischen Kunstgewerbler nicht viel mehr als Danaiden-
arbeiten sein. Es ist also nicht die Schuld der franzö-
sischen Künstler, daß sie auf diesem Gebiete ins Hinter-
treffen geraten sind, und es wird nicht ihre Schuld sein,
wenn sie in ihrer untergeordneten Stellung verharren müssen.
K. E. Schmidt, Paris.
SAMMLUNGEN
Köln. Das Wallraf-Richartz-Museum erwarb mit
Hilfe des Vorsterschen Vermächtnisses, von dem seinerzeit
hier berichtet wurde, das berühmte kleine Kreuzigungsbild
der Sammlung Clemens in Aachen. Es ist besonders durch
die Kunsthistorische Ausstellung in Düsseldorf 1904, wo
es als Werk des kölnischen Meisters Wilhelm ausgestellt
war, allgemein bekannt geworden. Läßt auch die Er-
haltung der Tafel an einigen Stellen zu wünschen übrig,
so ist doch diese Erwerbung als eine besonders glückliche
zu rühmen. Der Kreis des »Meisters der hl. Veronika«
gewinnt damit eine wünschenswerte Erweiterung durch
ein eigenhändiges Bild des Künstlers von unangezweifelter
Qualität. Der Kauf erfolgte durch Vermittelung des Aachener
Kunsthändlers Hans Creutzer.
Die Züricher Galerie wird durch die Weltl-Aktion
der Kunstgesellschaft um eins der wichtigsten Werke des
Künstlers bereichert: der »Geizteufel« ist aus Münchner
Privatbesitz für Zürich erworben worden und wird das
Welti-Kabinett vervollständigen, das außer einer Anzahl
kleinerer Arbeiten Weltis, die künftighin den Künstler von
verschiedenen Seiten seiner reichen Tätigkeit repräsentieren
werden, und abgesehen von einigen höchst erwünschten
Leihgaben von Besitzern Weltischer Werke, das schöne
Doppelporträt der Eltern des Künstlers aufweist.
Der ägyptischen Abteilung der Berliner Museen ist
es Dank einer Unterstützung von Dr. James Simon ge-
lungen, aus der Sammlung H. Martyn Kennard eine Reihe
von hervorragenden Altertümern zu erwerben. Kennard
hatte, als die ägyptische Kleinarchäologie in systematischen