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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Voigtländer, Emmy: Die Münchener Feuerbach-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0140

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259

Die Münchener Feuerbach-Ausstellung

260

Alles in allem ist dieses Bild, wenn auch nicht
alles darin ganz ausgeglichen ist, doch bemerkenswert
als einer jener Versuche zu rein malerischer Dar-
stellungsweise im großen, wie sie sporadisch im Werk
Feuerbachs auftauchen, als Zeugnisse einer unter-
drückten Komponente seines Künstlertums.1)

Ganz auffallende Schwankungen, sowohl in der
Qualität, wie in den künstlerischen Absichten zeigten
die Bilder der Frühzeit, auf denen neben den Porträts
der Schwerpunkt der Ausstellung ruhte. Bei dem
großen Bild »Amoretten den Pan entführend« muß
man über die starke Rubensnachahmung in den
Figuren und die Unselbständigkeit der an Rottmann
erinnernden Landschaft hinwegsehen, um den Rhythmus
der nach rechts sich auflösenden Kindergruppe zu
genießen, wie es auch als Vorläufer der späteren
großen Kindergruppen betrachten. Der »Mönch
mit Hund« wie der »Männliche Kopf« könnten gut
im Werke Feuerbachs fehlen, auch der männliche
Rückenakt wirkte durch die übertrieben starke Model-
lierung etwas absichtlich interessant. Dagegen waren
einige kleine Bilder zu sehen, die zu dem Persön-
lichsten und unmittelbar Ausdrucksvollsten gehören,
was Feuerbach geschaffen hat, vielleicht gerade, weil
sie skizzenhaft geblieben sind. Da ist das zur Zeit
des Todes seines Vaters entstandene »italienische Be-
gräbnis«, in dem der schwere Rhythmus des Marcia
Funebre so wirksam unterstützt wird durch das
düstere, nur aus trübem Gelb-weiß und Schwarz-
grau gestimmte Kolorit. Einen eigentümlich visionären
Charakter trägt auch das »Sommernachtstraum« ge-
nannte Bild von 1853, das, obwohl sachlich nicht zu
erklären, persönlich doch eine starke Bedeutung haben
muß. Vor dunkelblauem Nachthimmel schwebt ein
Dämon zu der schlafend am Boden kauernden weib-
lichen Gestalt herab, wobei die ausdrucksvoll inein-
andergefügte Silhouette des Genius und der steil an-
steigenden Berglinie mit dem trüben Rot der Körper
sich zu eigentümlichem Stimmungsreiz verbindet. Am
stärksten ist dieser impulsiv leidenschaftlich dramatische
Ausdruck in der Skizze zum fünften Gesang der
Göttlichen Komödie gesteigert, die zu einem Entwurf
gleichen Gegenstandes, der von der Jahrhundert-Aus-
stellung her bekannt ist, hinzutritt und ihn in ungleich
wirkungsvollerer Weise behandelt. An Landschaft ist
nichts gegeben, als die niedrige, die Vorstellung einer
unendlichen Tiefe erweckenden Horizontlinie mit
fernen Baummassen, und der dunkel bewölkte Himmel
mit fern verschwindenden Gestalten. Aber vorn am
Boden baut sich die Silhouette der in eine dunkle
Masse zusammengeballten Körper Dantes und seines
Begleiters auf. Dieser stützt den von der Gewalt der
Gesichte Niedergeworfenen, von dem nur das zurück-
gebeugte Haupt deutlicher sichtbar wird. Aus der
Tiefe des Himmels kommen Paolo und Francesca
hervorgeschwebt. Neben dem dunklen Körper des
Mannes erscheint die helle Gestalt der Frau, beide
von dunklem Gewand umflattert, in traumhaftem,
in sich versunkenem Schweben und doch mit dem

1) Vgl. dazu meine Schrift »Anselm Feuerbach«. Ver-
such einer Stil-Analyse. Leipzig 1912.

Ausdruck unendlicher Tragik. Diese trotz des kleinen
Formats so großartige Darstellung aus dem fünften
Gesang Dantes ist Skizze geblieben und hat vielleicht
nur dadurch diese leidenschaftliche Gewalt behalten.
Die Ausführung des Themas bringt viel später erst
das bekannte Bild der Schack-Galerie, in einem anderen
Moment der Erzählung und mit ungleich zurück-
gehaltenerem, nur andeutendem Ausdruck.

Wenn man einen Zusammenhang des »Erlebnisses
und der Dichtung« annehmen darf, so würde dieser,
da alle diese »Versuchungs«bilder aus dem Anfang
der fünfziger Jahre stammen, vielleicht auf jenes Pariser
Erlebnis zurückführen, von dem Allgeyer in seiner Bio-
graphie nach Feuerbachs eigener Erzählung einige An-
deutungen gibt1), und den künstlerischen Nachhall sowie
zugleich die menschliche Befreiung davon bedeuten.

Leichtere Töne werden angeschlagen in einigen
Bildern badender und musizierender Frauen, gleich-
falls aus diesen Jahren datiert. Es wird auch in ihnen
sehr stark mit der Farbe und mit rein malerischen
Mitteln gearbeitet, wie in der »venezianischen Szene«,
in der durch die helle, scharf von rechts einfallende
Beleuchtung, die Lichter auf den glänzend hellgelben
und rötlichen Seidengewändern der Damen rechts auf-
sprühen, während links der Sänger, zu dessen Kopf
noch einmal das Modell aus dem großen Bild der
Pariser Zeit »Hafis vor der Schenke« benutzt ist,
etwas im Dunkeln sitzt, aber wie auch rechts der
kleine Mohr durch Rot in der Kleidung die Farbigkeit
steigert. In der Mitte öffnet sich der Blick auf das
blaue Meer. Von ähnlicher, sehr heller, aparter, wenn
auch dem subjektiven Geschmack nicht recht zusagender
Farbigkeit ist das Bildnis einer Dame im Ballkostüm,
das wohl kaum als Porträt zu rechnen ist, in der
Zusammenstellung eines scharfen Rosa im Kleid und
Grünblau im Vorhang vor weißlich-gelbem Sessel.
Dazu kommen, um den Eindruck der Unruhe zu
steigern, die starken Richtungskontraste in der Haltung,
die fleckige zuckende Pinselführung, die scharfen
Gewandfalten. Alles dies macht das Bild zwar inter-
essant, aber nicht sehr angenehm, und entfernt es weit
von der Vorstellung, die sonst bei dem Namen Feuer-
bach aufsteigt. Etwas gedämpfter und ruhiger sind
die »Musizierenden Frauen« behandelt, und das Bild
»Badende Frauen« erweckt gar einen an Corot er-
innernden Eindruck in der Zartheit und Duftigkeit,
mit der die kleinen hellen Figürchen in das leichte
Braun und Blau der Waldlandschaft gesetzt sind, die
sie ganz umschließt.

Diese Gruppe von Bildern gewinnt ihren Zusammen-
hang im Werke Feuerbachs, wenn man sie an die
beiden großen Bilder jener Jahre, den »Tod des
Aretino« und den »Hafis vor der Schenke«, anschließt,
in denen die gegensätzlichen Strebungen, welche diese
kleinen Bilder repräsentieren, wie in zwei Polen nach
ihrer dramatisch-unruhigen, wie heiter-malerischen
Seite gesammelt sind. In all jenen Werken war ein
anderer Feuerbach zu sehen, als der, an dem sich
der Begriff seiner Kunst gebildet hat. In ihrer Aus-

1) Bd. I, S. 221.
 
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