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Münchener Brief
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gegenüber, das einstweilen noch unter der Bezeich-
nung Cosimo Tura (?) geht, von dem Kustos an der
alten Pinakothek Dr. W. Graeff aber dem Baldassare
d'Este zugeschrieben wird1). Das Werk macht einen
zweifellos großen Eindruck, der vornehmlich durch
das Monumentale, Lapidare in der Zusammenstellung
der drei Halbfiguren hervorgerufen wird, weniger durch
die Behandlung der Personen im einzelnen, die sich,
was Sicherheit des Zeichnens, Empfindung für Form
und Linie betrifft, mit einem entwickelten Mantegna
nicht messen können. Als Ganzes, in seiner Grup-
pierung aber, die den Dargestellten, Uberto Sacrati
vor einem dunkelgrünen Vorhang, streng im Profil
nach links zeigt, auf der linken Hand einen Falken,
die rechte auf die Achsel seiner Gemahlin gelegt, die
annähernd im 8/4 Profil nach links gegeben, ihre Hände
auf den Schultern des in gleicher Richtung vor ihr
stehenden Söhnchens Thomas ruhen hat, ist das Bild
ein Unikum, dem ein ähnlich komponiertes Werk
nach unseren bisherigen Erfahrungen kaum an die
Seite zu setzen sein dürfte. Wenn der Ankauf des
Gemäldes trotz dieser Vorzüge in Münchener Kunst-
historiker- und Künstlerkreisen mit ziemlich gemischten
Gefühlen aufgenommen wurde, so hat das seinen
Grund darin, daß man den Preis von 320000 Mark
für ein Werk eines Quattrocentomeisters zweiten
Ranges, das noch dazu sehr schlecht erhalten ist, für
viel zu hoch hält, selbst wenn die Summe von Privat-
leuten zur Verfügung gestellt wird. Und die Erhal-
tung des Bildes läßt wirklich recht zu wünschen übrig.
Am Kleid des Knaben, am Kleid und an der Brust
der Frau, ebenso am Rock und Ärmel des Mannes
sind größere Partien der Farbe herausgebrochen und
die Leinwand zum Teil, soweit sich das durch das
Glas erkennen läßt, scheinbar mit Tempera wieder
leicht übergangen. An manchen Stellen ist die Farbe
bis auf die Leinwand abgerieben (besonders bei dem
Falken und dem Handschuh des Mannes), an andern
sind doch zum mindesten die oberen Schichten
der Farbe nicht mehr vorhanden, wie z. B. bei der
Halskette der Frau, wo die Farbe sonst noch ziem-
lich dick sitzt. Am Haar des Mannes scheint ein
Stück übermalt. Außerdem weist das Bild eine An-
zahl Sprünge und Verletzungen auf, die nicht von
Veränderungen des Materials herrühren, sondern auf
mechanische Einwirkungen von außen durch Stöße
und dergleichen zurückzuführen sind, z. B. am Hals
und Oberkleid des Mannes, desgleichen unter der Nase
bis zum Backenknochen. Auch im Gesicht der Frau
scheint unter der Nase einmal ein Riß gewesen zu sein,
der dann mangelhaft geflickt wurde, so daß der schief-
laufende Faden noch durch die Übermalung hindurch
bemerkbar ist. Abgesehen von diesen Schäden, deren
Aufzählung durchaus nicht vollständig ist, sind
auch andere, wie das starke Verblassen des Rots im
Ärmel der Frau, anzuführen. Es ist natürlich, daß
der farbige Eindruck des Bildes in seinen feinen,
1) Vgl. den Bericht über die Sitzung der Kunstwissen-
schaftlichen Oesellschaft vom 3. März in Nr. 27 dieser Zeit-
schrift Spalte 388. Das Bild wird von Graeff in dem nächstens
erscheinenden Münchener Jahrbuch ausführlich besprochen.
matten, gebrochenen Tönen heute ein ganz anderer
ist wie ehedem, und vielleicht mag gerade dieser nicht
originale, gedämpfte Gobelinton mit Ursache gewesen
sein, daß sich Herr von Kaulbach für den Ankauf des
Werkes so ins Zeug gelegt hat.
Noch ein weiteres.neues Bild bergen die Kabinette
zurzeit, von dem allerdings nicht bekannt, ob es
angekauft ist oder werden soll, eine sehr interessante,
in den Farben kräftige Kopie nach der Rubensschen
Eberjagd in Dresden von E. Delacroix, die seit einigen
Wochen in dem ersten Rubenskabinett an Stelle der
dafür ausgeschiedenen Grablegung Christi (Nr. 758)
hängt. Man darf wohl annehmen, daß das Werk nur
vorübergehend hier ausgestellt ist, denn man würde
der gegenwärtigen Leitung der Pinakothek sicher un-
recht tun, wenn man ihr zutraute, daß sie ein Ori-
ginal des Rubens ausschlösse, um für die Kopie eines
neueren Meisters, und sei er noch so ersten Ranges,
Platz zu schaffen.
Unter den Veränderungen iii den übrigen kleineren
Räumen ist zuerst die Zusammenstellung eines Brueghel-
kabinetts zu erwähnen, die schon im vergangenen
Sommer stattgefunden hatte, infolge langer Abwesen-
heit des Verfassers von München im letzten Münchener
Brief aber nicht mehr besprochen werden konnte.
Von den bei der ersten Neuordnung Tschudis ins Depot
verbrachten Werken Jan Brueghels d. Ä. hat Dr. Braune
verschiedene, wie den Untergang Sodoms und eine
Landschaft wieder aufgenommen, aus Augsburg eine
Waldlandschaft mit dem hl. Hieronymus (Nr. 434),
aus Schleißheim ein Blumenstilleben (Nr. 990), die
Weissagung desjesaias (Nr. 994) und von P. Bruegheld.J.
die Predigt des Johannes in der Wüste (Nr. 979) ein-
gezogen und das Gesamtbild dann noch durch den
schönen Kopf eines alten Weibes aus dem Germanischen
Museum in Nürnberg von P. Brueghel d. Ä. und eine
alte Kopie nach des gleichen Meisters Bethlehemitischem
Kindermord aus der Würzburger Galerie eingezogen.
Ausgeschieden wurden dafür die Nummern O80, 688
und 690. So gibt das Kabinett im Verein mit den schon
vorhandenen Schätzen einen guten Überblick über die
Kunst der Malerfamilie Brueghel, deren Richtung auch
noch in Meistern wie Valkenburg (Babylonischer Turm-
bau, aus dem Depot) und Paul Bril (Gebirgsland-
schaft, Augsburger Galerie 524) weiter veranschau-
licht ist.
Eine umfangreichere Umhängung fand ferner in
Kabinett XX statt, wo die Madonna des Cima da Co-
negliano (1033) untergebracht wurde, die dem Ferra-
resen in Kabinett XVII hatte weichen müssen. Da
auch die beiden von Tschudi ins Depot verwiesenen
Canalettos wieder aufgenommen wurden, so daß die
vier venetianischen Ansichten des Meisters wieder ver-
einigt sind, ist der Raum nun sehr beschränkt. Um
Platz zu schaffen, hat man zwar den Guardi an eine
Scherwand des Seicentosaales verbracht, trotzdem ist
das Kabinett, das auch Palma Vecchios Selbstbildnis,
die verschiedenen kleineren Bassanos, Paolo Veronese,
Licinio, Feti und anderes enthält, noch zu dicht und
zum Teil auch sonst ungünstig gehängt, da man bei-
spielsweise die subtilen Canalettos in der oberen Reihe
Münchener Brief
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gegenüber, das einstweilen noch unter der Bezeich-
nung Cosimo Tura (?) geht, von dem Kustos an der
alten Pinakothek Dr. W. Graeff aber dem Baldassare
d'Este zugeschrieben wird1). Das Werk macht einen
zweifellos großen Eindruck, der vornehmlich durch
das Monumentale, Lapidare in der Zusammenstellung
der drei Halbfiguren hervorgerufen wird, weniger durch
die Behandlung der Personen im einzelnen, die sich,
was Sicherheit des Zeichnens, Empfindung für Form
und Linie betrifft, mit einem entwickelten Mantegna
nicht messen können. Als Ganzes, in seiner Grup-
pierung aber, die den Dargestellten, Uberto Sacrati
vor einem dunkelgrünen Vorhang, streng im Profil
nach links zeigt, auf der linken Hand einen Falken,
die rechte auf die Achsel seiner Gemahlin gelegt, die
annähernd im 8/4 Profil nach links gegeben, ihre Hände
auf den Schultern des in gleicher Richtung vor ihr
stehenden Söhnchens Thomas ruhen hat, ist das Bild
ein Unikum, dem ein ähnlich komponiertes Werk
nach unseren bisherigen Erfahrungen kaum an die
Seite zu setzen sein dürfte. Wenn der Ankauf des
Gemäldes trotz dieser Vorzüge in Münchener Kunst-
historiker- und Künstlerkreisen mit ziemlich gemischten
Gefühlen aufgenommen wurde, so hat das seinen
Grund darin, daß man den Preis von 320000 Mark
für ein Werk eines Quattrocentomeisters zweiten
Ranges, das noch dazu sehr schlecht erhalten ist, für
viel zu hoch hält, selbst wenn die Summe von Privat-
leuten zur Verfügung gestellt wird. Und die Erhal-
tung des Bildes läßt wirklich recht zu wünschen übrig.
Am Kleid des Knaben, am Kleid und an der Brust
der Frau, ebenso am Rock und Ärmel des Mannes
sind größere Partien der Farbe herausgebrochen und
die Leinwand zum Teil, soweit sich das durch das
Glas erkennen läßt, scheinbar mit Tempera wieder
leicht übergangen. An manchen Stellen ist die Farbe
bis auf die Leinwand abgerieben (besonders bei dem
Falken und dem Handschuh des Mannes), an andern
sind doch zum mindesten die oberen Schichten
der Farbe nicht mehr vorhanden, wie z. B. bei der
Halskette der Frau, wo die Farbe sonst noch ziem-
lich dick sitzt. Am Haar des Mannes scheint ein
Stück übermalt. Außerdem weist das Bild eine An-
zahl Sprünge und Verletzungen auf, die nicht von
Veränderungen des Materials herrühren, sondern auf
mechanische Einwirkungen von außen durch Stöße
und dergleichen zurückzuführen sind, z. B. am Hals
und Oberkleid des Mannes, desgleichen unter der Nase
bis zum Backenknochen. Auch im Gesicht der Frau
scheint unter der Nase einmal ein Riß gewesen zu sein,
der dann mangelhaft geflickt wurde, so daß der schief-
laufende Faden noch durch die Übermalung hindurch
bemerkbar ist. Abgesehen von diesen Schäden, deren
Aufzählung durchaus nicht vollständig ist, sind
auch andere, wie das starke Verblassen des Rots im
Ärmel der Frau, anzuführen. Es ist natürlich, daß
der farbige Eindruck des Bildes in seinen feinen,
1) Vgl. den Bericht über die Sitzung der Kunstwissen-
schaftlichen Oesellschaft vom 3. März in Nr. 27 dieser Zeit-
schrift Spalte 388. Das Bild wird von Graeff in dem nächstens
erscheinenden Münchener Jahrbuch ausführlich besprochen.
matten, gebrochenen Tönen heute ein ganz anderer
ist wie ehedem, und vielleicht mag gerade dieser nicht
originale, gedämpfte Gobelinton mit Ursache gewesen
sein, daß sich Herr von Kaulbach für den Ankauf des
Werkes so ins Zeug gelegt hat.
Noch ein weiteres.neues Bild bergen die Kabinette
zurzeit, von dem allerdings nicht bekannt, ob es
angekauft ist oder werden soll, eine sehr interessante,
in den Farben kräftige Kopie nach der Rubensschen
Eberjagd in Dresden von E. Delacroix, die seit einigen
Wochen in dem ersten Rubenskabinett an Stelle der
dafür ausgeschiedenen Grablegung Christi (Nr. 758)
hängt. Man darf wohl annehmen, daß das Werk nur
vorübergehend hier ausgestellt ist, denn man würde
der gegenwärtigen Leitung der Pinakothek sicher un-
recht tun, wenn man ihr zutraute, daß sie ein Ori-
ginal des Rubens ausschlösse, um für die Kopie eines
neueren Meisters, und sei er noch so ersten Ranges,
Platz zu schaffen.
Unter den Veränderungen iii den übrigen kleineren
Räumen ist zuerst die Zusammenstellung eines Brueghel-
kabinetts zu erwähnen, die schon im vergangenen
Sommer stattgefunden hatte, infolge langer Abwesen-
heit des Verfassers von München im letzten Münchener
Brief aber nicht mehr besprochen werden konnte.
Von den bei der ersten Neuordnung Tschudis ins Depot
verbrachten Werken Jan Brueghels d. Ä. hat Dr. Braune
verschiedene, wie den Untergang Sodoms und eine
Landschaft wieder aufgenommen, aus Augsburg eine
Waldlandschaft mit dem hl. Hieronymus (Nr. 434),
aus Schleißheim ein Blumenstilleben (Nr. 990), die
Weissagung desjesaias (Nr. 994) und von P. Bruegheld.J.
die Predigt des Johannes in der Wüste (Nr. 979) ein-
gezogen und das Gesamtbild dann noch durch den
schönen Kopf eines alten Weibes aus dem Germanischen
Museum in Nürnberg von P. Brueghel d. Ä. und eine
alte Kopie nach des gleichen Meisters Bethlehemitischem
Kindermord aus der Würzburger Galerie eingezogen.
Ausgeschieden wurden dafür die Nummern O80, 688
und 690. So gibt das Kabinett im Verein mit den schon
vorhandenen Schätzen einen guten Überblick über die
Kunst der Malerfamilie Brueghel, deren Richtung auch
noch in Meistern wie Valkenburg (Babylonischer Turm-
bau, aus dem Depot) und Paul Bril (Gebirgsland-
schaft, Augsburger Galerie 524) weiter veranschau-
licht ist.
Eine umfangreichere Umhängung fand ferner in
Kabinett XX statt, wo die Madonna des Cima da Co-
negliano (1033) untergebracht wurde, die dem Ferra-
resen in Kabinett XVII hatte weichen müssen. Da
auch die beiden von Tschudi ins Depot verwiesenen
Canalettos wieder aufgenommen wurden, so daß die
vier venetianischen Ansichten des Meisters wieder ver-
einigt sind, ist der Raum nun sehr beschränkt. Um
Platz zu schaffen, hat man zwar den Guardi an eine
Scherwand des Seicentosaales verbracht, trotzdem ist
das Kabinett, das auch Palma Vecchios Selbstbildnis,
die verschiedenen kleineren Bassanos, Paolo Veronese,
Licinio, Feti und anderes enthält, noch zu dicht und
zum Teil auch sonst ungünstig gehängt, da man bei-
spielsweise die subtilen Canalettos in der oberen Reihe