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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Die Sommerausstellung der Berliner Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0240

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Die Sommerausstellung

der Berliner Sezession

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seits ist gewiß trotz aller Strenge der Jurierung
doch noch eine ganze Reihe von Dingen aufgenommen
worden, die nicht als Werke ersten Ranges gelten
können; die vielleicht oder sogar wahrscheinlich
mindestens nicht wertvoller sind als manches Zurück-
gewiesene. Dann wäre also die Jury nicht zu streng,
sondern eher zu milde gewesen.

Jedenfalls aber hat die Ausstellung auf diese Weise
Charakter bekommen. Ich kenne von dem Refusierten
nichts — die Herren werden aber ihre Sachen dem-
nächst zusammen ausstellen —, und es liegt mir
nichts ferner, als diese Künstler, von denen viele all-
gemeine Sympathien verdienen, zu verletzen. Indes die
Tatsache bleibt bestehen, daß die Ausstellung erheblich
weniger Kompromißstücke und bürgerlich brave, an
sich achtbare, in der Sezession aber deplazierte Ar-
beiten enthält als ihre Vorgängerinnen in den letzten
Jahren, und das kommt ihrem Eindruck erheblich
zugute. Die Sezession ist wirklich, wie es in der von
Hans Baluschek verlesenen Eröffnungsrede des un-
päßlich gewordenen Präsidenten Cassirer hieß, »kein
Heim und kein Asyl; sie ist das offene Feld, das
immer von Lärm und Streit erfüllt sein wird«. Oder,
wie im Katalogvorwort zu lesen ist: sie ist »kein
Ruhepunkt, sie ist ein Weg; sie ist für ihre Mitglieder
keine Existenzsicherung, sondern eine Existenzgefähr-
dung, denn sie macht die Kräfte der Kommenden
immer wieder mobil«. Es ist nicht zu leugnen, daß
hier das Wesen einer Sezession treffend gekennzeichnet
ist. Nur so ist sie möglich, nur so hat sie Sinn.

Als Ergänzung nun zu den vielleicht notwendigen
Zurückweisungen tüchtiger Talente — wobei man, wie
gesagt, weil keine Jury unfehlbar ist, nicht völlig
konsequent vorging — hat man die stürmisch heran-
drängende Jugend weit reichlicher eingelassen, als wir
zu hoffen wagten. Nach der bisherigen Haltung der
Sezession, des Kunstsalons Cassirer und der mit ihnen
in Verbindung stehenden Persönlichkeiten mußten wir
befürchten, daß man nach dieser Richtung hin eine
kühle Reserve wahren werde. Aber man hat ein-
gesehen, daß die Sezession den Ast absägen würde,
auf dem sie selbst sitzt, wenn sie sich gegen die
kühnen, vorwärtsstrebenden Neuerer ablehnend ver-
halten würde. Und ganz anders als im Vorjahre, da
man gleichsam unwirsch und widerwillig, ohne System
eine ungeordnete Kompagnie der radikalen Linken
zuließ, meist Franzosen, hat man diesmal der deutschen
Jugend einen großen Raum freigemacht. Auch das
trägt wesentlich dazu bei, das Bild der jetzigen Ver-
anstaltung sprühend lebendig, interessant und anregend
zu gestalten.

Somit gliedert sich die Ausstellung nunmehr in
drei Gruppen. Zunächst ehrt sie die großen und
guten Traditionen der modernen Kunst. Sodann führt
sie die mittlere Generation vor, die auf diesen Funda-
menten weiterbaut. Und schließlich öffnet sie der
Jugend das Tor. Der Hinweis auf die Grundlagen
und soliden Überlieferungen verbindet sich mit der
unbefangenen Würdigung des Kommenden.

Es ist kein Wunder, daß die Säle, in denen jene
glorreiche Tradition zu Worte kommt, den reinsten

Genuß gewähren. Hier ist nicht nur bebauter Boden,
sondern auch die gefestete Kraft genialer Persönlich-
keiten. Vor allem kommen dabei ein Trübner- und
ein Liebermann-Kabinett, sowie Serien von Leibi,
von Renoir, von Seurat, von Cezanne und van
Gogh in Betracht. Das Trübner-Z immer gibt in
dreißig vorzüglich gewählten Bildern einen Überblick
über das Schaffen dieses Meisters — es wirkt wie ein
mit sorgsamster Überlegung in langen Jahren gebildeter
Museumssaal. Liebermann bringt neben Studien und
Bildern aus seiner Frühzeit, die bis zum Anfang der
siebziger Jahre zurückreichen und seine Entwicklung
erkennen lassen, vor allem eine Reihe der außer-
ordentlichen Porträts, in denen sich der Stil seines
Alters am großartigsten ausprägt; die weniger auf
farbige Deutung ausgehen und dadurch für Lieber-
manns »Malerei« im engeren Sinne keine Offen-
barungen enthalten, aber in der Beschwörung der
Persönlichkeiten Großartiges leisten und die künstle-
rische und geistige Potenz des Meisters in letzter
Reife strahlen lassen. Es sind dabei Bildnisse von
Gerhart Hauptmann, von Professor Nernst und dem
Marburger Philosophen Cohen. Bei den Franzosen
fesselt besonders die Kollektion Georges Seurats, des
schon 1 Sg 1 verstorbenen Neoimpressionisten-Führers,
der zuerst das Monetsche »Komma« in jener eigenen
Weise, teils pedantisch, teils aber auch ergiebig und
interessant, weiterzubilden unternahm. Von Cezanne
sieht man, neben kostbaren Proben seiner reifen Zeit,
einige frühe Stücke von noch ganz dunklem Ton und
schwerer Farbe, darunter ein Bild, »Mord« betitelt,
das fast wie ein Daumier aussieht und nicht durch
die Farbe, sondern durch die mächtige Bewegung
und dämonische Beseelung der Gruppe ins Auge
sticht. Von van Gogh neben unvergleichlich schönen
Landschaften und Stilleben das merkwürdige Bildchen,
das sich »Schweigen im Walde« nennt und das
Böcklinthema souverän in die ganz andere und doch
dem Stilsuchen des Schweizers verwandte Art van
Goghs überträgt, in dem ja auch ein heimlicher Heroiker
schlummerte.

Sodann schließt sich die zweite Gruppe an: die
auf den Fundamenten der großen Vorgänger und
Wegbahner weiterbauen. Es ist die mittlere Gene-
ration der Sezessionsmitglieder, von der nun freilich
durch jene Zurückweisungen viele fehlen. Der Vor-
sitzende der Jury selbst, Max Sievogt, hat sich diesmal
mit einigen kleineren Stücken begnügt, meist Tier-
studien von lebhaftem Geistreichtum des impressio-
nistischen Vortrags. Andere dagegen dokumentieren
aufs neue das Streben zum großen Format und zur
figurenreichen, auch »inhaltlich« ausdrucksvollen Kom-
position, das seit einigen Jahren wieder hervortritt,
ohne allerdings zu sonderlich befriedigenden Resultaten
zu führen. Das zeigt sich auch diesmal. Corinth
stellt eine mythologische Szene zum Thema »Ariadne
auf Naxos« aus, die bei famosen Details nicht recht
»zusammengehen« will, sowie die lebensgroße Gestalt
eines orientalischen Teppichhändlers, die sehr trocken
gemalt ist. Nach den prachtvollen Arbeiten gerade
der jüngsten Zeit, die man erst kürzlich auf der großen
 
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