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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Die Sommerausstellung der Berliner Sezession
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461

Die Sommerausstellung

der Berliner Sezession

462

Corinth-Ausstellung an derselben Stelle sah, sind diese
Dinge eine Enttäuschung. Noch weniger behagt mir
das neue Riesenbild von Max Beckmann, das nichts
geringeres als den Untergang der »Titanic« schildern
möchte. Sehr richtig meinte ein witziger Kopf im
Hinblick auf das frühere Bild Beckmanns vom Erd-
beben zu Messina, man werde dem jungen Künstler
bald die Frage vorlegen, mit der einst Moritz von
Schwind Piloty neckte: »Exzellenz, was malen's denn
heuer für ein Malheur?« Beckmann möchte sich
durch die Schilderung menschlicher Tragödien von
solcher Furchtbarkeit mit den unbegreiflichen Mächten
auseinandersetzen, die unser Leben beherrschen, aber'
er gleitet dabei immer tiefer ins Literarische, Illustrative,
wenn auch ein breiter, eigenwilliger Vortrag darüber
hinwegzutäuschen sucht. Sein neues Bild, das außer-
dem einen für dieses Thema besonders überraschenden
Mangel an Temperament aufweist, hinterläßt gar keinen
tieferen Eindruck. Dagegen betätigt Beckmann im
Oruppenporträt einer sechsköpfigen Familie aufs neue
sein außerordentliches Talent für solche Aufgaben, an
denen sich die meisten heute die Zähne ausbeißen.
Es ist außerordentlich, wie er ein halbes Dutzend
Personen malerisch und geistig porträtmäßig auf einer
Leinwand unterbringt. Auch Waldemar Rösler
zeigt, daß ihm die natürliche Fortentwicklung seiner
Gaben besser steht als ein gewaltsamer Sprung in die
modische »große Komposition«. Seine neuen Land-
schaften fesseln den Blick; aber eine offenbar von
Beckmann angeregte Szene »Liebespaar und Tod« ist
recht böse. Die Meister des 15. Jahrhunderts wußten
sehr wohl, warum sie dies literarisch-didaktische Thema
dem Kupferstich vorbehielten und nicht der Malerei
anvertrauten. Auch Baluschek hat neben einigen
kleineren Bildern seiner Art, die wieder eine malerische
Vertiefung aufweisen, das viel zu große Bild einer
realistischen Proletarier-Razzia geschickt, dessen Format
zu der Betonung des Thematisch-Illustrativen in un-
richtigem Verhältnis steht. Da ist Otto Hettner in
der interessanten Komposition seiner »Niobiden«, die
lebhafte Bewegung durch strenge Stilprinzipien regu-
liert, sinnvoller vorgegangen. Auch Benno Berneis,
der einen großen »Reiter am Meer« ganz dekorativ
zu halten suchte. Daran seien zwei Arbeiten jüngerer
Künstler angereiht: der »Kampf um den Leichnam
des Patroklus« von Magnus Zeller, der die heroische
Szene etwa in der Art französischer Romantiker vor-
trägt, und das eigenwillige »Revolutions«-Bild von
Klaus Richter, das mit malerisch amüsanten Ideen das
Pathos inhaltlich fesselnder Schilderungen originell
persifliert.

Die übrigen Angehörigen der Mittelgruppe seien
schneller überblickt. Man sieht neue Werke von
Ulrich Hübner, der, von Cezanne beeinflußt, dabei
ist, seinen Vortrag zu revidieren und zu bereichern.
Kleinere Weltreisedinge von Orlik. Geschmackvolle
Stücke E. R. Weiß (doch ein großer »Herakles in der
Unterwelt« scheint mir weniger gelungen). Kräftige
märkische Landschaften von Brockhusen (die man
aber nicht neben van Gogh hängen darf, der ihr
Anreger ist). Von Kardorff ein solides Porträt des

Philologen Diels. Vom Grafen Kalckreuth ein (etwas
trocken und photographisch geratenes) ungeheuer ähn-
liches Bildnis Lichtwarks. Weiter sehr zart und duftig
gemalte französische Landschaftsszenerien von Walter
Bondy. Blumenstücke von Mosson. Phantastisches
von Martin Brandenburg, der sich wesentlich konzen-
trierter und malerisch gründlicher zeigt als im Vor-
jahre (hauptsächlich wohl wieder, weil er sich an
kleinere Formate hält).

Dann aber kommt in breiten Scharen die Jugend
angerückt. Sie hat wahrlich noch nicht lauter Ge-
reiftes und Geklärtes vorzusetzen. Aber nach allen
Seiten hin lugt sie nach neuen Möglichkeiten aus,
strebt sie zum festen Mauerwerk eines Stils, der trotz-
dem nur die malerische Idee der Wirklichkeitserschei-
nungen zu bannen trachtet, strebt sie andererseits
nach Formen farbiger Spiele, die dem Auge wie der
Empfindung bisher ungekannte Sensationen vermitteln.
Einige Franzosen sollen die jungen Deutschen dabei
stützen, ohne tatsächlich dies Amt zu versehen. Na-
mentlich ein großes Bild von Henri Matisse, »Der
Tanz«, ein Reigen nackter Frauen auf einer riesigen
Leinwand mit blauem Fond, erscheint mir recht leer
und nichtssagend. Ein Motiv, das eben für eine
Zeichnung langt, ist zu einem dekorativen Panneau
ausgereckt, daß ihm der Atem vergangen ist. Manguin,
Marquet, van Dongen, Friesz und Vlaminck, Derain
und Bonnard sind besser vertreten, aber auch nicht
»überwältigend«. Ich finde, von dem deutschen Nach-
wuchs, wenn er auch im Geschmacklichen oft hinter
den Franzosen zurückbleibt, geht ein stärkerer Strom
des Lebens aus. Immer noch hält Pech stein sich an
der Spitze, der mit drei Werken, einem interessanten,
ganz einfach gehaltenen Damenporträt und zwei Still-
leben von außerordentlicher Energie der saftigen Farbe,
vertreten ist. Daneben steht Erbslöh mit zwei un-
gemein fesselnden Frauenakten, von denen freilich der
eine gar zu toll ins Metallische geht. Nun kommen
weniger bekannte, zum Teil ganz neue Namen, von
denen hier einige angeführt seien, doch ohne jede
Prätension einer »Rangordnung«. Da ist Reinhold
Ewald aus Hanau mit dem bemerkenswerten Bilde
dreier Frauen. Der sehr begabte Prager Willi Nowak
mit der feinen Impression eines »Spaziergangs« von
zartem Frühlingsklang der Luft. Der Berliner Herbert
Fiedler mit dem noch unausgeglichenen Versuch, eine
Reihe von Gestalten, »Ruhende«, auf einem Viereck
zu gruppieren. Sehr apart sind zwei kleine, von
modernem Leben erfüllte Bildchen von Ernst Matthes.
Mit kräftigen Lokalfarben arbeitet K. F. von Freyhold
(Freiburg i. B.). Interessant im koloristischen Ausdruck
wie in der Komposition sind auch die Versuche von
Heinrich Heuser, der biblische Szenen in volkstümlich
buntes Mosaikspiel auflöst, und Hans Steiner, der
die Motive verschlungener Körper mit eigenem Ge-
schmack meistert; ferner die kecken Schwabinger Aus-
schnitte von Ernst Ascher. Franz Heckendorf und
Rudolf Großmann, die sich einen eigenen Stil für die
»Landschaft« der Berliner Peripherie gebildet haben,
sind uns schon vertrauter. Eine andere Gruppe kennen
wir von der inzwischen selig entschlafenen Neuen
 
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