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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Ausstellungen

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den erhabensten Träumen des menschlichen Geistes gleich,
er wird geprügelt und verspottet, aber niemals sinkt er zur
Niedrigkeit des täglichen Lebensschmutzes herab, stets be-
wahrt er sich die reine, in der schönsten Idealwelt schwe-
bende Seele. So hat Oandara ihn gemalt, häßlich, mager,
zerrissen, zerbläut, mit eingefallenen Wangen, schielendem
Auge und dabei jeder Zoll ein Ritter ohne Furcht und
Tadel, das Prototyp des Idealisten, dem keine Verleumdung,
kein Spott, keine Feindseligkeit etwas anhaben kann. Wahr-
scheinlich konnte nur ein Spanier diese wunderbare Ver-
körperung des spanischen oder vielmehr des kastilischen
Volkes so erschöpfend darstellen, wie es Antonio de la Gan-
dara gelungen ist, aber auch die Spanier —und Gott weiß,
wie oft sie es versucht haben! — sind niemals dem scharf-
sinnigen Edlen von der Mancha so auf Herz und Nieren
gegangen wie Gandara. Wenn seine Porträts und Land-
schaften alle vergessen sind, wird dieser Don Quijote den
Namen seines Malers auf die Nachwelt bringen.

Vielleicht aus rein persönlichen Gründen (denn wenn
man mir alle Bücher wegnähme und nur den Don Quijote
ließe, würde ich nicht sehr klagen) hat mir diese Arbeit
Gandaras so sehr gefallen, und vielleicht sind es auch per-
sönliche Gründe, die mich vor den venezianischen Ansichten
von J. J. Gabriel festhielten. Venedig wird erschrecklich viel
gemalt. Es gibt keine Ausstellung von hundert Nummern,
wo Venedig nicht wenigstens fünf- oder sechsmal vertreten
wäre. Aber es geht damit wie mit Don Quijote oder wie
mit Beethoven, der auch erschrecklich oft das Opfer der bil-
denden Künstler ist. Nur äußerst selten dringt ein Künstler
bis auf das innerste Wesendes Themas ein, nur sehrvereinzelt
zeigt man uns ein Venedig, das wirklich das Venedig ist, das
wir in der Erinnerung aus der Lagunenstadt mit uns weg-
genommen haben. Gabriel ist einer der seltenen Maler,
dem der Griff gelungen ist, vor dessen Bildern man Heim-
weh nach den Kanälen und ihren Palästen bekommt und
aufs neue von dem Zauber umsponnen wird, der nun schon
so gänzlich abgeleiert und banalisiert scheint, aber nicht
ist; so wenig wie das Thema Dantes, Don Quijotes oder
Beethovens ausgeleiert ist, weil tausend schlechte und mittel-
mäßige Maler und Bildhauer uns mit ihren Auslegungen
die Ohren vollgesungen haben.

Roll hat einen großen, etwas leer wirkenden Plafond
ausgestellt, den er Apotheose nennt. Man erblickt dar-
auf eine Freiheitsgöttin oder eine Republik, begleitet von
blumenstreuenden Mädchen in einem wolkigen Himmel,
während an den Seiten Dichter, Künstler, Arbeiter, Erfinder
sich regen, um den Preis aus den Händen der Göttin zu
empfangen. Boldini zeigt die üblichen virtuosen und des
Körpers wie der Seele gleichermaßen entbehrenden Bild-
nisse von Herren und Damen aus der Gesellschaft; die
Bilder von Gaston Latouche bewegen sich ebenfalls in
den altbekannten Geleisen: moderne Damen und Faune in
einem Rokoko-Interieur; die alte rauschende Farbenpracht
ist geblieben, aber wir sind schon zu sehr an sie gewöhnt,
um uns wie früher von ihr bezaubern zu lassen; Adolphe
Willette will absolut der Maler großer monumentaler Bilder
werden, auf denen philosophiert wird; anstatt uns mit seinen
entzückenden Zeichnungen zu erfreuen, in denen es ihm
kein Zeitgenosse gleichtut, malt er große Bilder, die uns
von keiner Seite gefallen wollen; in diesem Jahre hat er
eine Art von Kulturgeschichte des Tanzes gemalt: in der
Mitte ein Apachenpaar, ringsum ein Paar aus Murgers
Boheme, aus der Zeit von Dumas' Musketieren, Pierrot
und Pierrette, ein elegantes modernes Paar aus irgend
einem vornehmen Gesellschaftskreise und als philosophischer
Abschluß ein mittelalterliches Paar, das vom Tode abge-
holt wird; letzten Endes also eine Art von Totentanz, wo-
bei am hübschesten, weil der Eigenart des Künstlers am

besten entsprechend, ein modernes Kleeblatt, Trottin,
Chasseur eines Restaurants und Zuckerbäckerjunge, ge-
lungen ist; in der Farbe ist das Bild, wie fast alle Öl-
malereien Willettes, wenig erfreulich.

Ein weiteres Durchwandern der Räume und die Wieder-
holung der Bemerkungen in meinem Kataloge wäre kaum
lohnend. Aman-Jean ist unverändert, Albert Besnards Bild-
nis des Journalisten Dubar gehört nicht zu den besten
Arbeiten des Malers, Carolus-Duran, soeben von Rom nach
Paris zurückgekehrt, stellt zwei recht schwache Bilder aus,
Claudio Castelucho zeigt ein ausgezeichnetes Damenbildnis
in Weiß, Cottet und Simon sind gut wie immer, aber wenn
man alle hier ausgestellten Arbeiten nennen wollte, die gut
und tüchtig sind, ohne hervorragend zu sein, könnte man
Seiten auf Seiten vollschreiben.

Auch in der Skulptur ist nichts Hinreißendes, denn der
aus dem roh behauenen Marmorblock herausschauende
Puvis de Chavannes, das von Rodin geschaffene Denkmal
für den großen Maler, und die gleich einem Torso zer-
schlagene, gewaltsam gewundene weibliche Gestalt von
dem nämlichen Bildhauer gehen nicht aus den Absonder-
lichkeiten heraus, die wir an Rodin schon gewöhnt sind,
und zeigen uns auch das Talent ihres Urhebers von keiner
neuen Seite, — und Arnold Rechberg, der sich gewaltige
Mühe gibt, damit die Zeitungen seinen Namen nennen
und seine Werke loben, zeigt in seiner prätentiösen Büste
einer spanischen Prinzessin und in seinem noch viel an-
spruchsvolleren Denkmal eines englischen Offiziers so ge-
ringes künstlerisches Empfinden und Können, daß ich mich
genieren würde, seinen Namen zu nennen, wenn er nicht in
allen Pariser Reklamespalten zu lesen wäre.

Kurl Eugen Schmidt, Paris.
Königsberg i. Pr. In der neu erbauten Kunsthalle
wurde im April die 47. Kunstausstellung eröffnet. Mit
Schaffung dieses guten Ausstellungslokals ist die Grund-
lage für die Fortentwickelung des hiesigen Kunstlebens
gesichert. Die Ausstellung ist recht zahlreich von heimischen
und auswärtigen Künstlern beschickt worden. Wie Kunst-
vereinsausstellungen im allgemeinen, vertritt auch diese
kein ausgesprochenes Programm, sie will ihren Mit-
gliedern möglichst viel bieten, huldigt jedoch fortschrittlichen
Tendenzen. Die Jury hat alles Unzulängliche fern gehalten
und es ist ein guter Durchschnitt zu konstatieren. Von
Königsberger Künstlern tut sich besonders Ludwig Dettmann
hervor. Sein großes Trachtenbild »Mädchen auf Föhr« weist
malerische Vorzüge bei guter Betonung des Charakteristi-
schen des eigenartigen Friesenstammes auf. Als geschickten
impressionistischen Landschafter zeigt er sich in dem »Wind-
stoß« und dem Aquarell mit den blühenden Mandelbäumen.
Am köstlichsten wirkt jedoch ein Interieur aus »St. Marien
in Danzig«, das von einer wundervollen Farbenwirkung ist.
Der Zahl nach am meisten vertreten ist Carl Albrecht,
dieser etwas unzeitgemäße Stilleben- und Interieurmaler,
der in sorgfältiger, mehr bunter als farbiger Weise seine
Blumenstücke und zarten Landschaften malt. Mit beiden
Füßen fest in der Natur stehen die Landschaften Olof
Jernbergs, sie geben die farbige Pracht ostpreußischer See-
und Waldlandschaften wieder. Ein gutes Interieur hat
Carl Storch gemalt und Otto Heichert ein Porträt seines
Töchterchens. Von jüngeren Künstlern ist noch Domscheit,
Grau, Anderson, Eisenblätter und Wedel mit guten Land-
schaften und der Graphiker Heinrich Wolff mit mehreren
technisch gelungenen Porträts und mit einer Serie für ihn
sehr charakteristischer Silhouetten zu erwähnen. Die Ost-
preußen, die in Berlin leben, haben sich auch zahlreich
eingefunden. So sind gute Arbeiten von Lovis Corinth,
Bischoff-Culm, von Brockhusen, Waldemar Rösler, Degner,
Partikel u. a. vertreten. Von den übrigen Berlinern hat
 
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