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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1919)
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Avenarius, Ferdinand: Rembrandt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0091

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Mann. Nach fünfzehn Iahren des Schwankens, Stützens, Ausbesserns
bricht sein äußeres Glück zusammen. Für die Gläubiger wird seine Samm-
lung versteigert, sein Haus verkauft.

Am wenigstens zu retten, was erst entstehen soll, gründen die brade
Hendrickje Stoffels, die als seine Haussrau gilt, und sein Sohn Titus ein
Kunstgeschäft, dem des Baters Bilder gehören und das sie vertreibt. Man
zieht von Wohnung zu Wohnung, auch im Wirtshaus muß Rembrandt
zeitweilig leben. In zahlreichen Selbstbildnissen malt er währenddem uner-
bittlich selbst Zeugnisse seines wirtschastlichen und körperlichen Berfalls.
Seine Kunst aber zeugt nur von ermattenden Sinnes-Organen, und selbst
das nur zeitweise, die seelische Gestaltung in seinen Werken ist so groß,
wie je. Allmählich zwar merkt man ein Altern doch. Plötzlich aber reckt
er sich wieder auf zu einer Schöpfung, die schlechterdings vollkommen ist,
zu den „Stahlmeistern". Das ist im Iahre s662. Kurz darauf stirbt
Hendrickje. And nach weiteren vier Iahren stirbt Titus. Der tief Ver-
einsamte ist dem Erblinden nahe, er malt nicht mehr. Ein Iahr noch,
dann schließt auch er die Augen. Immerhin nur dreiundsechzig Iahre
nach seiner Geburt. Aber man weiß nichts mehr von ihm. „Dienstag,
8. Oktober 1669, Rembrandt van Rijn, Maler, auf der Roosegraft gegenüber
dem Doolhof." Die Begräbnisabrechnung der Westerkirche ist der gesamte
Nachweis über den Heimgang des verarmten Alten, den die späteren
Iahrhunderte als das größte germanische Genie der Malerei feiern sollten,
das je gelebt hat. . .

Was ist es, das uns heut ganz natürlich scheinen läßt, Rembrandt so
zu nennen?

Es kann ja nie gelingen, Eindrücke in Worte zu fassen, die eng mit An-
schauungen verwobene Gefühle sind. Auch im Falle Rembrandts fühlen
wir seine Größe eben angesichts seines Werks, unsre Begriffe geben nur
einen Reflex und eine Abstraktion. Wollen wir aber doch mit dem Ber-
stande dem nachtasten, was unser Fühlen vor Rembrandt genossen hat,
so wird uns wohl als Führer aller andern Gedanken der an seine Nnab -
hängigkeit kommen. Man hat vor seinen Altersbildntssen von dem
Ausdruck einer „defensiven Energie" gesprochen. Greisengesichter zeigen
ja nur als Frucht, was in der Blüte vorgebildet war: Rembrandt war
sein ganzes Leben lang im Verteidigen seines tiefsten Ichs so zähe und
fest, wie er darin geräuschlos war. Nicht etwa, daß er sich Neuem mit
Trotz und Eigensinn verschlossen hätte. Wir sehen ihn höchst bereit nach
sehr Verschiedenem greifen,- er freut sich daran, sieht eine Weile zu, was
er damit anfangen kann, wenn's aber seinem Wesen fremd ist, so legt er's
wieder beiseite. So den Prunk an Waffen und Kleidern, der ihn jetzt sreüt
und bald nicht mehr; so das Kavalier- und Zechbruder-Spielen, das wie zu
den andern auch zu ihm kommt; so aber auch die italienische Kunst, diei
ihn wohl äußerlich einmal zu einer Komposition anregt, ihn aber nie eine
fremde Art des Sehens erstreben läßt, während sie die andern zu Italien-
fahrern macht. Er bleibt daheim, denn wo diese andern nichts mehr zu
pflückeu finden, sieht er eine Fülle für sich. Eine solche Äberfülle, daß er>
unter jener Schar noch heute mit allem Recht bewunderter Porträtisten,
Genremaler, Landschafter, Interieurmaler, religöser Maler sich zu dem
einzigen erhebt, der alle Gebiete seiner Kunst beherrscht und ihnen allen
Neuland erobert. Er bleibt, wo er wurzelt, und so wird seine Kunst keine
transportable Prachtstaude im Blumentopf, die leider nur wachsen kann,
 
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