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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1919)
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Fuchs, Emil: Friede auf Erden!
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0288

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alles neu werden wrll, da müßten nun die, welche erb-- und eigentümllch
die Vertreter der großen Menschheitskräfte sein wollen, mit wundervoller
Kraft und Einheitlichkeit nichts mehr kennen, nichts mehr künden, als ihre
große Botschaft: „Nun muß es werden — nun!" Ach, die Kirchen haben
so viel Zu sorgen und zu kümmern, daß ihnen ihr Besitz nicht verloren
geht, ihre rechtlichen und finanziellen Grundlagen nicht zerstört werden,
den Massen, die noch zu ihnen halten, auch ihre äußerliche Stellung verteidi-
gen zu helfen. Eingestellt ist das Wirken der Kirchen auf den Klang: Nur
nicht zu viel ändern! Nur nicht zu viel umstürzen! Ist es eigentlich eine
Frage der Frömmigkeit, wie viel vom äußern Leben und Behagsn bleibt
oder stürzt, ob der evangelische Oberkirchenrat oder der Papst alte, gute,
geordnete, finanzielle Verhältnisse unter sich haben oder nicht? Zwar ist
sicherlich alles das sehr wichtig. Aber wie wichtig ist es im Vergleich mit
dem Rufe: „Frieden auf Erden"? Wir fragen zu Weihnachten: Wo sind
die Gedanken unserer Kirchen und ihrer Führer jetzt? Bei den rechtlichen
und finanziellen Verhältnissen der Kirchen, bei dem Aufsteigen und Sinken
ihres Ansehens, bei der Macht der ihnen nahestehenden Kreise oder aber: bei
jenem, was vom Himmel auf die Erde schallt und alles Irdische vergessen lehrt?

Ihr deutschen Kirchen — ist es bei euch Weihnachten?

las in diesen Tagen Las Wort eines unserer Führer: „Hütet euch

Ovor der Verständigung mit denen in England und Amerika, die dazu
bereit sind, hütet euch vor all der Hilfe, all dein guten Willen, der von
drüben kommt. Dahinter steckt ja immer und immer das selbstverständliche
Bewußtsein, daß sie die Weltherrschaft haben müssen, und das mächtige
Streben, uns hineinzuziehen in ihre geistige Art!"

Muß immer wieder das Mißtrauen stärker sein, als die Sehnsucht zur
Menschengemeinschaft hin? Das ist die dritte Frage zu Weihnachten an
euch, ihr Arbeiter, ihr Nnternehmer, ihr miteinander kämpfenden Stände
und Parteien und Politiker: Sollte es nicht möglich sein, daß überall
>n den besten Herzen ein Gefühl sür Menschenwert und Menschenrecht
ist und eine Sehnsucht zu jenem Frieden, der auch euer Glück ist? — Soll
nns alle das Mißtrauen zersplittern, daß es in der Menschheit keine Ver-
bündung geben kann aller der „Menschen, die guten Willens sind"?

Mißtrauen ist Schwäche. Wer als Deutscher so redet, wie ich das an°
sührte, der glaubt, daß deutsche Eigenart und innere Kraft vor angelsäch-
sischem Wesen kapitulieren müsse, wenn sie ihnr zu nahe kommt. Dier Ar-
beiter fürchtet die Gemeinschaft mit dem Nnternehmer, der sich nicht zutraut,
seine Meinung und sein Recht ihm gegenüber von Angesicht zu Angesicht
aufrecht zu erhalten. Der dlnternehmer fürchtet die Gemeinschaft mit dem
Arbeiter, der fühlt, daß er eigentlich gar kein Führer ist, sondern auf einem
Posten steht, der ihm geistig nicht gebührt.

Laßt uns „guten Willens" sein. Hast du das sichere Bewußtsein, daß
bu ein Notwendiges den andern leistest, so vertraue dem. Bist du überhaupt
davon überzeugt, daß um der Gerechtigkeit willen deine Lage anders werdeu
muß — so vertraue dem. Stehe fest, stark und still an deinem Werk und
schaue danach, wie du „Frieden" schaffen kannst in dir gegen Mißtrauen
und Bitterkeit, und um dich unter den Mitarbeitern und den Menschen,
die dir nahe sind. Dunkel ist bei uns das Mißtrauen, wie die dunkelste
Nacht — wird auch durch sie Weihnachtsglanz leuchten? Sind wir die
Menschen, die guten Willens sind?
 
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