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Bibliotheca Hertziana [Editor]; Bruhns, Leo [Honoree]; Wolff Metternich, Franz [Honoree]; Schudt, Ludwig [Honoree]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0062

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ZUM JUVENIANUS-CODEX DER BIBLIOTECA VALLICELLIANA

von Wilhelm Messerer
Die Bilder im Juvenianus-Codex der Biblioteca Vallicelliana1 gehören nicht zu den Meisterwerken der
Buchmalerei. Aber sie können uns helfen, ein Stück vom Anfang unserer abendländischen Kunst deut-
licher zu sehen.
Der Codex ist bisher nur von paläographischer Seite und durch sein Widmungsbild näher bestimmt
worden2: er konnte als italienisches Werk des 9. Jahrhunderts bezeichnet werden, wobei die Widmung
an den hl. Laurentius Rom oder Tivoli als Bestimmungsort vermuten ließ. Im folgenden soll er nach
kunsthistorischen Gesichtspunkten in den römischen Kunstkreis der Karolingerzeit eingeordnet werden.
I
Mit seiner ausladenden Geste - die freilich als solche kaum wirksam wird - ruft der auf fol. 1 v zwischen
den stehenden Erzengeln Michael und Gabriel über der Schar der Apostel thronende Christus (Abb. 31)
altchristliche Werke des 4. bis 6. Jahrhunderts in Erinnerung3. Am nächsten kommt er in seinen figuralen
Motiven dem Christus vom Apsismosaik in S. Pudenziana4. Die weit abgestreckte Segenshand, die leichte
Wendung nach links hin, das aufgeschlagene Buch in der Linken mit dem Knick nach oben, wohl auch
der über die linke Schulter fallende Mantel und der zwischen die Kniee gezogene Tuchstreifen weisen auf
einen Zusammenhang, der der abweichenden ikonographischen Züge wegen - namentlich des kurzen
Barts und der verhüllten Linken - nicht unbedingt von indirekter Art sein muß. Die Figur und zum Teil
auch der Thron auf der Miniatur lassen sich aus der Grundkonzeption des Christus vom Mosaik verstehen,
wenn man die stilistischen Veränderungen der Vereinfachung, der flächigen anorganischen Zerlegung,
der Versteilung und Verengung und der Einordnung in vorgegebene Bildkompartimente berücksichtigt.
So kann man hier wohl von einem Rückgriff auf die Zeugen frühchristlicher und zugleich römisch-
antiker Größe sprechen und gleichartige Fälle in römisch-karolingischer Architektur5 und Mosaikkunst6
danebenstellen - falls sich die Zuordnung des Codex an den römisch-karolingischen Kunstkreis vom Stil
her bestätigt.
II
Den Weg der ,,Abstraktion“ im Sinne römisch-frühmittelalterlicher Kunst sind diese Miniaturen ganz
zu Ende gegangen wie sonst nur die Mosaiken aus der Zeit Paschalis’ I. Es handelt sich nicht mehr um
die letzte Verdünnung, Verflächigung von im Kern statuarisch konzipierten und mit ,,malerischer“,
passiver Optik gesehenen Figuren wie in den Mosaiken von S. Agnese oder des Oratoriums von S. Ve-
nanzio aus dem 7. Jahrhundert, sondern um ein Gestalten aus zeichenhaften Formeln. Dabei fehlt den
Figuren die scheibenhafte Abrundung und untersetzte Festigkeit, mit der sich in den Figuren um die
Mitte des 8. Jahrhunderts (Malereien in der linken Kapelle von S. Maria Antiqua unter Papst Zacharias,
741-752)7 das römische Mittelalter zuerst konstituiert hatte und die noch um die Wende zum 9. Jahr-
hundert nachwirkt (Triumphbogenmosaik von SS. Nereo e Achilleo, unter Leo III., 795-816). Von der
1 Ms. B. 252. Actus apostolorum, Epistolae catholicae, Apocalypsis; Beda, Expositio Apocalypsis (Lib. I). Fol. 101, 313 X230mm.
Unzialschrift des 8.-9. Jhs.
2 Siehe E. A. Lowe, Codices latini antiquiores, Part IV, Oxford 1947, S. 8, Nr. 430. ,,It was apparently used in or near the Bene-
ventan zone, to judge by the added punctuation.“ Mit älterer Lit. — Katalog der Ausstellung ,,Tresors des bibliotheques d’Italie,
IVe-XVIe“, Paris 1950, Nr. 9. — B. Degenhart, Autonome Zeichnungen bei mittelalterlichen Künstlern, Münchner Jb. d. B. K.,
3. F., Bd. 1, 1950, S. 93ff., hier S. 137f. - Katalog der „Mostra storica nazionale della miniatura“ (Rom 1953-1954), Florenz
1953, Nr. 48.
3 Z. B. Rom, S. Costanza, linke Absidiole, Traditio legis; Mailand, S. Lorenzo, Kapelle von S. Aquilino, Christus mit den Aposteln;
Neapel, Dombaptisterium, Kuppelmosaik; Rom, SS. Cosma e Damiano, Mosaik der Hauptapsis. Abb. J. Wilpert, Die römischen
Mosaiken und Malereien . . . , Freiburg 1917, 3. Bd., T. 4, 40, 32, 102ff.
1 Abb. Wilpert ebd., 3. Bd., T. 42-44.
5 Besonders S. Prassede. R. Krautheimer, The Carolingian Revival of Early Christian Architecture, The Art Bulletin 24,
1942, S. Iff., hier bes. S. 17ff.
6 Siehe M. Dvorak, Die kunstgeschichtliche Bedeutung der Mosaiken in der Markuskirche zu Rom, in: Gesammelte Aufsätze zur
Kunstgeschichte, München 1929, S. 19ff. 7 Abb. Wilpert, a. Anm. 3 a. O., 4. Bd., T. 179ff.
 
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