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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0506

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DAS MALERATELIER ALS KULTRAUM IM 19. JAHRHUNDERT
von Franzsepp Würtenberger
Im Zuge der Umwertung und Höherbewertung des künstlerischen Schaffens seit der Romantik am
Anfang des 19. Jahrhunderts bekam selbst der Werkraum des Künstlers, sein Atelier als solches, eine
ungeahnte Weihe. Was hinter dessen Wänden vor sich geht, wird mit einem Schleier von Geheimnissen
umwoben. Es kann so weit gehen, daß nur Eingeweihten, nur Freunden, daß nur in ganz aufgeschlossenen
und innerlich gehobenen Augenblicken Außenstehenden in das persönlichste Heiligtum vom Künstler
Einblick gewährt wird. Sonst soll es verschlossen bleiben.
Über die Schwierigkeit und lange Vorbereitung, bis man unter Umständen in das Atelier eindringen
kann, berichtet Gottfried Keller in seinem Roman „Der Grüne Heinrich“ (Bd. III, Kap. 11), im Kapitel
über „Die Maler“, sehr anschaulich. Es ist eine für die Verfassung der damaligen Künstler sehr charak-
teristische Äußerung, insofern er von dem Niederländer Lyss schreibt: „. . . Noch mehr wunderte ich
mich, daß das Zimmer, in welchem wir uns befanden, keine Spur von Kunstthätigkeit verriet, vielmehr
dem Aufenthalt eines Gelehrten oder Politikers glich. . . . ,Der wundert sich auch4, rief Erikson, ,wo die
Staffeleien und Bilder dieses Kunsttempels seien!4 Nur Geduld, junger Herr Strebsam, der Mann zeigt
sie uns noch, wenn wir schön bitten! Aber wahr ist es, lieber Lyss, bei Ihnen sieht’s aus, wie im Arbeits-
zimmer eines großen Publizisten oder eines Ministers!44
Etwas düster versetzte der Niederländer Lyss, um dessen Malereien es sich handelte, er sei nicht aufgelegt,
seine Arbeiten heute noch zu sehen. Aber schließlich gab er den Bitten seines Freundes doch nach. „Ich
sehe schon44, rief Lyss mit Lachen, „wir müssen doch noch hinübergehen, damit Sie sehen, daß wir
wenigstens noch mit Farben malen!44
Er ging voran und öffnete die Türe zu einer Reihe von Räumen, in welchen je eines seiner Bilder, an
denen er arbeitete, ganz allein und in der besten Beleuchtung aufgestellt war, so daß der Blick durch
nichts anderes abgezogen und zerstreut wurde. Die spätere Nachmittagssonne, die auf den Wolken
draußen, auf der weiten Landschaft und den tempelartigen Gebäuden lag, ließ die an sich schon leuch-
tenden Bilder durch ihren hereinfallenden Reflex noch verklärter erscheinen, so daß sie in der Stille
des Raumes einen seltsam feierlichen Eindruck machten. Das erste war ein Salomo mit der Königin von
Saba . . . Das Bild im nächsten Raume stellte Hamlet den Dänen dar . . . Von diesem Raume ging es
endlich in den letzten hinüber, der schon ein Saal zu nennen war.
Von solcher übersensiblen Verheimlichung des Könnens oder Nichtkönnens berichtete auch Theodor
Storm in seiner Novelle „Psyche44 (18 7 5). Es handelt sich dort um einen Bildhauer, der nicht einmal
seiner Mutter das angefangene Werk „Rettung der Psyche44 zeigte, vor lauter Furcht, sich selbst
dadurch zu sehr zu entäußern. Ähnliches klingt in einer anderen Novelle Storms, in „Aquis submersus“
(1875/76) auf.
Das Gefühl, daß im Atelier Großes und Übergroßes vor sich geht, verdichtete sich dazu, daß der Atelier-
raum selbst, der vorher stets nur als rohe und notwendige Hilfsschale zur Vollbringung der Kunstwerke
bewertet wurde, nun zur Weihestätte und zum selbständigen Heiligtum erhoben werden konnte.
Diese Meinung bereitete sich schon in Ludwig Tiecks Künstlerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“
aus dem Jahre 1797 vor. Dort wird es als eine unstatthafte Erniedrigung empfunden, daß ein Raum,
der schon einmal Atelier war, das heißt dem heiligen Zweck der Kunst gedient hat, nun als eine gewöhn-
liche Taglöhnerwohnung benutzt wird. Ein solches Vorgehen wäre fast so pietätlos, wie wenn man
einen Kirchenraum in einen Pferdestall umwandelte. Dem Atelier werden also Eigenschaften zuge-
billigt, die nur einem Kultraum innewohnen können. Es übernimmt Aufgaben und löst Gedanken aus,
die bisher nur religiösen Räumlichkeiten vorbehalten schienen.
Man brauchte zwar nicht gleich sich in den höchsten Überschwang hineinzusteigern und gewaltige
gotische Dome für seine Kunstzwecke einrichten und benutzen zu wollen. Zum mindesten als Vor-
stellung hat es Philipp Otto Runge gewagt, solches seinem Bruder Daniel gegenüber am 12. Juni 1803
auszusprechen. ,,. . . Donnerstag bin ich vcn Meissen gekommen . . . Die Kirche hat mich ordentlich
wieder zu mir selbst gebracht. Lieber Daniel, wenn man in so einem Gebäude arbeiten könnte und
wohnen! . . ,441 Umgekehrt erfahren wir, daß von nun an in den Ateliers eine das Gemüt erhebende

1 Karl Privat: Philipp Otto Runge. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten. 1942, p. 168.
 
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