Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0171

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZU HERMANN VISCHERS D. J. AUFNAHMEN ITALIENISCHER BAUTEN
von Wolfgang Lotz
Zu den 1515 und 1516 datierten, seit langem Hermann Vischer d. J. zugeschriebenen Federzeichnungen
im Louvre gehört eine Reihe von Aufnahmen italienischer Bauten, die eigentümlicherweise von der
Literatur über die Baukunst der Renaissance kaum beachtet worden ist1. Der Zeichner ist einer der
vielen nordischen Künstler, die die Ruinen des alten und das Entstehen des neuen Rom im Bilde fest-
gehalten haben. Seine Blätter können sich als Kunstwerke nicht mit den Veduten Heemskercks, als
Urkunden nicht mit den Stichen Duperacs messen; aber sie bilden die frühesten Zeugnisse für die Begeg-
nung eines Ultramontano mit jenem durch die Hochrenaissance verwandelten Rom, dem die Stiftung der
Bibliotheca Hertziana gilt und von dem es im schönsten Viaggio di Roma heißt, daß ,,nicht allein, was
zweitausend Jahre vernichten sollten, vor unseren Augen lag, sondern zugleich, was eine gesteigerte
Bildung wieder hervorzubringen vermag“.
Die Aufnahmen sollen im folgenden auf das befragt werden, was sie über das Verhältnis des Zeichners zu
den dargestellten Bauten und über die Geschichte der betreffenden Denkmäler aussagen. Daß der
Zeichner aus Nürnberg kam, darf vorausgesetzt werden; die Frage, ob es sich um Hermann oder Peter
Vischer d. J. handelt, mag hier unerörtert bleiben2. Das Itinerar des Zeichners läßt sich zwanglos rekon-
struieren, wenn man die Entstehung der Aufnahmen in situ voraussetzt; seine Darstellungen von S. Andrea
in Mantua und einer Kapelle in Siena sind 1515, die römischen Aufnahmen 1515 und 1516 datiert; die
letztgenannte Jahreszahl findet sich auch auf den zugehörigen Entwürfen für das Sebaldusgrab und den
Dom zu Bamberg.
Die gleichzeitigen italienischen Architekturzeichnungen geben - abgesehen von Detailaufnahmen - in
der überwiegenden Mehrzahl Grundrisse wieder; Aufrisse und besonders Fassadendarstellungen begegnen
nur selten3. Dagegen ist unter unseren Blättern nur ein reiner Grundriß; viermal wird der sorgfältig
gezeichnete Aufriß durch eine flüchtige Grundrißskizze erläutert; im übrigen handelt es sich um reine
Aufrisse. Ein Zufall der Erhaltung ist hier wenig wahrscheinlich. Für einen Zeichner, der aus dem Norden
kam, verstand es sich wohl im Gegensatz zu den Italienern von selbst, daß er zunächst die Fassaden
aufnahm4: so verdanken wir diesem Zeichner neben der einzigen Darstellung der Fassade von S. Andrea
in Mantua (Abb. 124), die sich aus der Renaissance erhalten hat, auch die früheste bekannte Abbildung
der Farnesina (Abb. 118).
Die Orthogonalprojektion, die unser Zeichner benutzt, deutet gleichfalls auf seine Herkunft aus dem
Norden. Italienische Aufnahmen dieser Zeit geben Fassaden perspektivisch wieder5. Vergleicht man
etwa Vischers Kolosseum-Ansicht mit der Abbildung der gleichen drei Achsen im sogenannten Codex
Coner (Abb. 116 und 117)&, so tritt der Unterschied zwischen nordischem Riß und italienischem Schau-
bild klar hervor. Der Italiener nimmt die perspektivische Verzerrung von Rund- in Korbbögen und die
1 Der Verf. ist Direktor Dr. P. Halm in München zu aufrichtigem Dank verpflichtet für die Überlassung von Photographien nach
den Pariser Aufnahmen.
Ein Katalog der Blätter und eine Übersicht über die ausgedehnte Literatur zu den Zeichnungen finden sich bei L. Demonts,
Musee du Louvre: Inventaire General des Dessins des Ecoles du Nord. Ecoles allemande et suisse, tome II, Paris 1938, p. 71 ff.
Ebenda Abbildungen fast aller Blätter und Transskriptionen der Lemmata. Vgl. ferner F. T. Schulz, in: Thieme-Becker XXXIV,
1940, S. 409, und zuletzt H. Stafski, Die Vischer-Werkstatt und ihre Probleme, Zeitschr. f. Kunstgesch. XXI, 1958, S. Iff.
2 Die herkömmliche Zuschreibung an Hermann d. J. ist nicht ohne weiteres mit der Urkunde vom 2. Januar 1516 zu vereinbaren,
die einen Hauskauf Hermanns in Nürnberg bezeugt (Neudörfer, Nachrichten usf., hg. von G. Lochner, 1875, S. 32; die Urkunde
scheint allerdings nicht unbedingt die Anwesenheit Hermanns in Nürnberg vorauszusetzen, wie S. Meller, Peter Vischer d. Ä.
und seine Werkstatt, 1925, S. 153, annimmt). H. Weizsäcker und nach ihm K. Simon haben auf „schlagende Analogien“ zwischen
den Pariser Blättern und der Weimarer Zeichnung Peter Vischers d. J. hingewiesen (K. Simon, Der Meister von 1515 = Hermann
Vischer?, Schubring-Festschrift, 1929, S. 130). Für Peter d. J. ist „zwischen 1512 und 1514 eine Italienreise anzunehmen“
(F. T. Schulz, a. a. O., S. 410).
3 Vgl. hierüber J. S. Ackerman, Journal Society Architectural Historians XIII, 1954, Heft 4, S. 8f.
4 Gewiß ist es kein Zufall, daß B. Grimschitz in seinem Buch über Hanns Puchsbaum (Wien 1947) aus dem reichen Planmaterial
der Hütte von St. Stephan 23 Aufrisse, 11 Grundrisse und zwei kombinierte Grund- und Aufrisse abbildet.
5 Vgl. Lotz, Mitteilungen des Kunsthistor. Instituts in Florenz, VII, 1956, S. 214, Anm. 55.
6 Th. Ashby, Papers of the British School at Rome, II, 1904, Tf. 41; zur Datierung des Codex Coner siehe neuerdings B. Lowry,
Art Bulletin XXXIX, 1957, p. 164;nach Lowry sind Aufnahmen wie die des Kolosseums kurz vor oder nach dem Tode Bramantes,
d. h. etwa 1512-1515, entstanden.
 
Annotationen