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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0389

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GESCHICHTE EINER ROM-VEDUTE

von Wolfgang Krönig*
Giovanni Battista Piranesi hat in der Folge seiner „Vedute Romane“ auch eine berühmte Ansicht der
Ewigen Stadt gültig gestaltet: die Ansicht von Engelsbrücke und Engelsburg mit der Peterskuppel, die
majestätisch über dem Fluß und den Brückenbogen thront1. Unter den zahlreichen Ansichten bedeuten-
der und geschichtsmächtiger Bauten Roms beansprucht diese doch einen besonderen Rang aus ver-
schiedenen Gründen. Einmal handelt es sich hier in Engelsburg und Peterskirche um zwei der groß-
artigsten erhaltenen Bauwerke überhaupt. Das Grabmal des Kaisers Hadrian erscheint als gewaltiger
Zeuge des antiken, des kaiserlichen Rom; die Peterskuppel als Herrschaftszeichen des christlichen, des
päpstlichen Rom. Sodann aber handelt es sich nicht nur um diese Einzelmonumente, sondern um ihre
Verbindung zu dem Ganzen einer Stadtansicht, die mit Fluß und Brücke zugleich nah und doch so weit
entfernt ist, daß sie als ein gemeinsames „Bild“ angeschaut werden kann. Dieses Bild ist, von gewissen
Änderungen abgesehen, noch heute vorhanden und kann jeden Empfänglichen erfreuen. Es ist eine
Wirklichkeit, die von Piranesi im Bild nachgestaltet und dabei in eine andere Wirklichkeit über-
setzt worden ist. Indem wir uns über die künstlerischen Mittel dieses bedeutenden graphischen Blat-
tes Rechenschaft geben, werden wir zugleich der Schönheit und Bedeutung dieser Stadtansicht selber
gewahr, und die Grenzen zwischen beiden künstlerischen Wirklichkeiten gehen dabei unmerklich inein-
ander über (Abb. 286).
Bestimmend ist die gelagerte Breite des Bildes, das in seiner Mitte von den runden Bögen der Brücke
horizontal durchschritten wird, noch verstärkt durch das im Wasser sich verdoppelnde Spiegelbild der
Brücke mit ihren Bögen und ihrer Horizontale. An beiden Seiten des Flusses, an beiden Ufern, welche die
Brücke verbindet, und zugleich auf den beiden Seiten des Bildes drängen sich die Architekturkomplexe
zusammen, doch so, daß dem mächtigen Komplex der Engelsburg auf der rechten Seite ein entschiedenes
Übergewicht zukommt. Oberhalb des Wassers und der Brücke und in weiter zurückliegendem Abstand
schließt sich das architektonische Bild einer Stadtansicht mit den beiden seitlichen, im Vordergrund
gelegenen Baukomplexen zu einer Einheit zusammen. Im Vordergrund des Bildes wird von links her ein
Uferstreifen sichtbar, der sich mit Figuren und Booten bis an den rechten Bildrand heranzieht und mit
seinen spitzigen, kleinteiligen Formen unten die majestätische Größe und Klarheit der architektonischen
Formen oben um so stärker zur Wirkung bringt. Beherrschend steht in der Mitte des Ganzen die Front
und die Kuppel der Peterskirche, begleitet von den beiden Nebenkuppeln. So steht alles im Bild in Har-
monie und Gleichgewicht und ist doch lebensvoll, kontrastreich und bewegt.
Piranesis „Veduta del ponte e castello Sant’Angelo“ will, wie eben diese Titelunterschrift sowie die ihr
beigefügten weiteren Bezeichnungen der wichtigsten Bauten im Bild besagen, als Wiedergabe einer
bestimmten topographischen Situation gewertet werden. Sie will Fernes im Bilde nahe und gegenwärtig
machen und ist daher für uns jederzeit auch ein topographisches Dokument, das über das Aussehen und
den Zustand der in ihm dargestellten Monumente im Zeitpunkt der Entstehung des Bildes befragt
werden kann. Diese Rom-Vedute besitzt nun selbst ihre Geschichte, das heißt sie ist schon vor Piranesi
und auch nach ihm im Bild gestaltet worden. Eine Betrachtung der verschiedenen Gestaltungen dieser
Rom-Vedute, eine Sammlung also der wichtigsten Beispiele dieses Themas, verspricht Aufschlüsse in
mehrfacher Hinsicht. Erstens erhalten wir Dokumente der sich wandelnden topographischen Situation,
der einzelnen baulichen Veränderungen im Bild der Stadt; sodann aber, und dies dürfte die wichtigere
Seite sein, erhalten wir Einblicke in die Geschichte des künstlerischen „Sehens“ selbst, ablesbar an der
Geschichte eines konkreten und - was methodisch besonders wichtig ist - gleichbleibenden bildlichen
* Der Verfasser hat mannigfache freundliche Unterstützung bei seinen Studien in Rom erfahren und nennt in Dankbarkeit vor
allem Giovanna Principe, Biblioteca Nazionale; Lidia Bianchi, Gabinetto delle Stampe; Deoclecio Redig de Campos, Musei
Vaticani; Ernest Nash, American Academy; C. E. Rappaport und — last not least -—- die Bibliotheca Hertziana und ihren
Bibliothekar Ludwig Schudt. Die vorliegende Arbeit möchte zugleich ein Ausdruck des Dankes sein, mit dem sich der Verfasser
dieser idealen wissenschaftlichen Arbeitsstätte und der Stadt Rom verbunden fühlt.
Die Maße in Zentimetern geben bei graphischen Blättern stets die Bildgröße, nicht die Plattengröße; Höhe vor Breite.
1 Arthur M. Hind, Giovanni Battista Piranesi. A critical study (London 1922); Nr. 29 unterscheidet 6 Zustände unserer Vedute.
Die Abb. 286 ist eine Wiedergabe von Zustand 5.

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