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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1.1887

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Nr. 2
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Kiesel, Konrad: Atelierbesuch
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Kleinmichel, Julius: Eifriges Studium
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Schlittgen, Hermann: Abgeblitzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.48045#0024

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6

MODERNE KUNST.

doch noch mehr auf die Malerei als auf die Bildhauerkunst hinwiese. Rasch
entschlossen, entsagte er der letzteren, und kehrte in seine Vaterstadt zu-
rück, um dort noch einmal den Unterricht eines Meisters zu suchen und
als Lehrling der dritten der Kunst in dessen Atelier zu arbeiten. Er
wählte Wilhelm Sohn, den glänzenden Techniker, und hat in dessen
Schule sein schönes Talent zur Malerei bald genug zur Reife entwickelt.
Schon seine ersten Arbeiten lenkten die Aufmerksamkeit auf ihn. Der
Erfolg ist ihm treu geblieben bis diesen Tag. Er dankt ihn vor allem
seinen weiblichen Bildnissen, seinen einzelnen Phantasiegestalten schöner
Frauen in malerischen, frei erfundenen Trachten und Umgebungen, und
solchen Genrebildern, auf welchen Gruppen reizender Wesen, die bald der
modernen, eleganten Gesellschaft, bald einer der malerischeren Nationen-
und Racen-, bald einer holden Fabelwelt zu entstammen scheinen, in
irgend einer heitern, der vollen Entfaltung ihrer Reize besonders günstigen
Situation oder (müheloser) Aktion, Tracht und Umgebung dargestellt er-
scheinen. Conrad Kiesel ist seit fast zwei Jahren in Berlin ansässig, wo
gerade die seine Bilder auszeichnenden und charakterisirenden Eigenschaften
völlig nach Gebühr gewürdigt werden und ihm einen allgemein anerkannten,
hervorragenden Rang unter den Genossen erworben haben.

XI.


J. KLEINMICHEL.

J. Kleinmichel.


Der Maler unseres Bildes „Eifriges Stu-
dium“ hat sich als Illustrator und Genremaler
einen geachteten Namen erworben. Geboren
im Jahre 1846 zu Rodzonne bei Graudenz als
der Sohn des Oberförsters Kleinmichel, kam
er früh zu Verwandten nach Königsberg, welche
ihn erziehen liessen und zum Techniker be-
stimmten. Der Jüngling wünschte aber nichts
sehnlicher, als die Künstlerlaufbahn einzu-
schlagen, und setzte es auch schliesslich durch,
dass er die Königsberger Kunstakademie be-
suchen durfte. Nachdem er seine ersten

Genrebilder (Grossvaters Frack u. a.) gemalt, ging er nach dem Tode
seiner Pflegeeltern im Jahre 1870 nach Berlin. Auf einer Studienreise nach
der Insel Rügen schloss er Freundschaft mit mehreren in Düsseldorf lebenden
Malern, welche ihn bewogen, nach dorthin überzusiedeln. Seine in Düssel-
dorf gemalten Bilder wurden recht günstig aufgenommen und riefen zahl-
reiche Bestellungen herbei, deren Ausführung jedoch durch ein vierjähriges
Beinleiden vereitelt wurde. Von dieser Zeit an datirt Kleinmichels Thätigkeit
als Illustrator. Seine Mitarbeiterschaft an der Kinderzeitschrift „Deutsche

Jugend“ war Veranlassung, dass der Künstler, welcher inzwischen nach
Leipzig übergesiedelt war, sich mehr und mehr dem Kinderfache widmete.
Mit dem Dichter Victor Blüthgen zusammen führte er nach Art der
englischen Kinderbücher von Kate Greenaway das erste Bilderbuch aus:
„Im Flügelkleide“, dem später eine Reihe anderer Werke für verschiedene
Verlagsanstalten folgte.
Für eine amerikanische Firma arbeitete er in jüngster Zeit ein in
burlesker Form gehaltenes Bilderbuch, das jedoch nicht ausschliesslich Kinder-
scenen behandelt, sondern mehr für Erwachsene bestimmt ist. Seit fünf

Jahren lebt Kleinmichel in München, um sich neben dem illustrativen Fach
wieder mehr der Bildermalerei zu befleissigen.
Eine im letzten Winter unternommene Studienreise nach Italien dürfte

in dieser Hinsicht für den strebsamen Künstler von grösster Bedeutung sein.

XII.
ABGEBLITZT
VON
H. SCHLITTGEN.

Die jugendlichen Frauen- und Mädchen-
gestalten, welche in den Bildern und Zeich-
nungen der deutschen Maler und Illustratoren
erschienen, gehörten, abgesehen von den alle-
gorischen und mythologischen Idealwesen, bis
noch zu Ende des vorigen Jahrzehntes fast ohne
Ausnahme entweder zur Gattung der schlicht
bürgerlichen, der naiven „Gretchen,“ oder zu
der der romantisch-sentimentalen und roman-
tisch-phantastischen , märchenhaften, oder zu
den heroinen- und walkürenhaften. Die ele¬
gante Schöne der modernen, guten und vornehmen, wie der — minder
guten Gesellschaft, hatte unter den deutschen Künstlern (falls es sich nicht
um Porträts handelte) kaum einen Darsteller. Seitdem ist ein auffälliger
Umschwung darin eingetreten. In Wien und München zumal hat sich,
unter französischem Einfluss, bei einigen jüngeren Künstlern das vordem
gänzlich vermisste Verständniss dieses wahrhaft modernen Frauentypus
und die Lust und Fähigkeit zu seiner Darstellung im Bilde und in der
Zeichnung mehr und mehr entwickelt. Der Geschmack am „Chic“ ist ihnen
gekommen, der bis dahin eine Eigentümlichkeit der französischen Zeichner
war; ein zweifelhafter Vorzug, den sich die deutschen Kollegen den An-
schein gaben, ihnen nicht zu beneiden. Unter diesen jungen Münchner
Zeichnern erweckte besonders Einer die grösste Aufmerksamkeit durch die
jugendlichen, modernen, weiblichen Gestalten, die eleganten hübschen Mon-
dainen, Cocotten, Schauspielerinnen, aber auch die schmucken Kellnerinnen
und Zofen, in seinen Illustrationen, die er hauptsächlich für die „fliegenden
Blätter“ zeichnete. Von den derartigen Frauenbildern der Pariser Zeichner
unterschieden sie sich sehr wesentlich und vorteilhaft durch die Freiheit
von aller Manierirtheit, durch die unbefangene, an die der besten neueren
englischen Illustratoren erinnernde, scharfe Beobachtung der Natur und des
Lebens, welche sich darin bekundete und den „Chic“ und prickelnden Reiz
doch keineswegs ausschloss. Dieser Zeichner nannte sich H. S c h 1 i 11 g e n.
Er ist, wenn wir recht berichtet sind, um das Jahr 1860 in der Nähe
Leipzigs geboren, der Sohn eines Landmanns. Seine ungewöhnliche Be-
gabung äusserte sich schon sehr früh. Auf der Kunstschule zu Leipzig
empfing er durch Professor Nieper den ersten Zeichenunterricht. Seine
weitere Ausbildung suchte und fand er an der Kunstschule zu Weimar.
Dort aber, wie bald darauf in Berlin, fühlte er sich wenig befriedigt.
Erst in München wurde er wahrhaft heimisch.
Während er dort seiner Militärpflicht genügte, fand er Gelegenheit, die
bayerischen Soldaten und Offiziere so genau zu betrachten und in allen
ihren Lebensarten und Wesensäusserungen so zu studiren, dass er die-
selben in Zeichnungen von unübertrefflicher Wahrheit wiederzuspiegeln
vermochte. Seine Zeichnungen von humoristischen Scenen aus dem Soldaten-
und Offizierleben wetteiferten damals mit denen, in welchen den hübschen
Frauen, Fräuleins, Zofen und Schenkmädchen die Hauptrolle zugewiesen
war, an treffender Charakteristik, Lebendigkeit und Anziehungskraft.
Schlittgens beste damalige Zeichnungen sind, von ihm teils direkt auf dem
Holzstock, teils mit der Feder auf Papier in prächtiger Frische ausgeführt,
in den Münchener „Fliegenden Blättern“ und in den illustrirten Einzel-
ausgaben bereits halb vergessener Hackländerscher Humoresken ausgeführt,
welche nur durch diese Illustrationen zu einer neuen Existenz gleichsam
galvanisirt wurden und in so geschmückter Gestalt wieder zu einem unge-
ahnten Erfolge gelangten.
Im Winter 1885—86 ging Schlittgen für eine Zeitlang nach Paris,
wo er eine breitere, malerischere Manier des Zeichnens annahm. Zurück-
gekehrt von dort, lebte er in Berlin. Hier hat er zahlreiche Illustrationen,

H. Schlittgen.
 
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