MODERNE KUNST.
23
XL.
ERHOLUNG
AUF DEM
MONTE PINCIO ZU ROM
VON
EMIL LÖWENTHAL.
Die jugendlichen Priesterzöglinge, die
in den winterlichen Anlagen des Monte
Pincio ihre Mussezeit dem Studium der
edlen Rauchkunst widmen, sind im Jahre
1883 den Besuchern der Internationalen
Kunstausstellung zu München bekannt
geworden. Der Maler des Bildes, Emil
Löwenthal, ward 1835 zu Jarotschin
(Provinz Posen) geboren und kam, ur-
sprünglich für den ärztlichen Beruf be-
stimmt , frühzeitig auf das Gymnasium
in Breslau. Schon hier wurde er durch
einen seiner Lehrer, einen Freund und
Beschreitung der Künstlerlaufbahn ermun-
':erk widmete sich derselben aber erst nach seiner Uebersiedlung an die
berliner Universität unter dem gewaltigen Eindrücke der alten Meister in
der Gemäldegallerie und der Cornelius’schen Kompositionen. Nachdem er
einige Jahre Steffecks Atelier besucht hatte, begab er sich zu Führich
nach Wien, wo er ein Stipendium für eine zweijährige Studienreise nach
Wnedig erhielt. In Berlin ward ihm später der Beer’sche Preis für den
besuch Roms zuerkannt, woselbst er 1861 eintraf und mit Otto Knille
Und Anselm Feuerbach in nähere Beziehung trat. Seine künstlerischen
Erfolge datiren vom Jahre 1863, in dem der New-Yorker Kunstfreund
^teavens drei Bilder von ihm ankaufte und ein Porträt seiner jungen
Gattin bei ihm bestellte, welches ihn zuerst in weiteren Kreisen bekannt
niachte. 1864 stellte er in der Royal Academy zu London ein Porträt
des Bildhauers John Gibson aus, das sich gegenwärtig in der Accademia
San Luca zu Rom befindet. Seine Beziehungen zu England gaben den
Anlass zu einer Reihe von Darstellungen aus der englischen Geschichte,
v°n denen die Scenen aus dem Leben der Jane Grey, der Tod Karls II.
Urid Maria Stuart an der Leiche des Sängers Riccio (Gallerie Raczynski
ln Berlin) genannt seien. Seine letzten Historienbilder, Margaretha und
Llcrezia Borgia, sind nach Amerika gewandert. Unter den Bildnissen
bekannter Persönlichkeiten, die in die letzten Jahre seiner Thätigkeit fallen,
das des Papstes, des Cardinals Ledochowski, des Prinzen G. Doria, des
Veichstagsabgeordneten Ed. Lasker, sowie der Fürstinnen Öttingen, Baratow
Urid Lubanow hervorzuheben.
Emil Löwenthal.
Sammler von Kuoferstichen. zur
XLI.
FREIGESPROCHEN
VON
FERDINAND BRÜTT.
Unter denjenigen neueren Genremalern
Deutschlands, die sich nicht mit Variationen
tausendfach behandelter Motive begnügen,
sondern aus der Mannigfaltigkeit des Lebens,
und zwar des spezifisch modernen und na-
tionalen Lebens wirklich interessante Scenen
herauszugreifen und in eigenartiger Weise
wiederzugeben wissen, hat sich Ferdinand
Brütt in Düsseldorf, von dem das vorliegende
Heft eine treffliche Arbeit neueren Datums
vorführt, trotz seiner verhältnissmässigen
rLlngen.
nach
Ferdinand Brütt.
Am 13. Juli
zurückgelegter Schulzeit zunächst der Lithographie, die jedoch seinem
Jugend bereits einen ehrenvollen Platz er-
1849 zu Hamburg geboren, widmete sich derselbe
auf höhere künstlerische Ziele gerichteten Streben nicht zu genügen ver-
mochte. Seinem eigentlichen Berufe wurde er, nachdem er die Gewerbe-
schule seiner Vaterstadt besucht hatte, erst im Jahre 1870 zugeführt, wo
es ihm ermöglicht wurde, die Kunstschule zu Weimar zu besuchen. Hier
fand er in den Historienmalern Wilhelm Pauwels und Albert Baur, sowie
dem Genremaler Karl Gussow Meister, die den nachhaltigsten Einfluss auf
ihn ausübten. Während seines Weimaraner Aufenthaltes, der sich auf sechs
Jahre erstreckte, bewährte Brütt sein Talent in einer ansehnlichen Zahl
von Bildern, von denen namentlich „Gestörte Ruhe“ und „Eine Bauern-
deputation“ Hervorhebung verdienen. Mit seiner nächsten bedeutenderen
Leistung, „Des Landes Hoffnung", trat der Künstler in Düsseldorf hervor,
wohin er 1876 übergesiedelt war und woselbst er mehrfache Wandlungen
durchmachte, neben den „Heimkehrenden Wallfahrern“ Interieurs aus der
Zopfzeit malte („Eine Audienz auf der Treppe“, „Die Bittstellerin“, „Braut-
zug“ u. s. w.), bis er sich mit Entschiedenheit dem seiner Begabung am
meisten entsprechenden Stoffgebiete, dem modernen Sittenbilde zuwandte.
Durch eingehende Interieurstudien machte er sich innig vertraut mit den
durch Luft und Licht bedingten Tonwirkungen und bewies nach dieser
Seite hin ein bedeutendes Können in seinen neueren, meist ernstere Gegen-
stände behandelnden Kompositionen. Bezeichnend für diese Richtung sind
Bilder wie „Verurteilt" (Düsseldorfer Kunsthalle), „Ein Besuch“ (Hamburger
Gallerie) und „Die Schuldverschreibung“. Ein besonders glücklicher Wurf
gelang" dem Künstler mit dem auf der Münchener Ausstellung 1883 höchst
beifällig aufgenommenen Gemälde „Aus bewegter Zeit“, welches den Ein-
druck der französischen Kriegserklärung 1870 im Konzertsaal einer rheinischen
Stadt mit dramatischer Lebendigkeit schildert.
Wie bereits mehreren früheren Werken Briitts ist auch dem von der
Berliner Jubiläumsausstellung her rühmlich bekannten Gemälde, das unser
Holzschnitt vergegenwärtigt, ein Vorgang aus der modernen Rechtspflege
zu Grunde gelegt. Den Mittelpunkt der Darstellung bildet ein Mann aus
dem Volke, der im Treppenhause eines Gerichtsgebäudfes von Weib und
Kind empfangen wird. Er ist freigesprochen, der Verdacht, der auf ihm
lastete, ist gehoben, sein ehrlicher Name wiederhergestellt — noch aber
wirken in ihm die aufregenden Eindrücke der letzten Tage, in der treuen
Lebensgefährtin die Angst und Sorge zu mächtig nach, als dass die Freude
über den glücklichen Ausgang zum Durchbruch gelangen könnte. Durch
die Nebenfiguren, den alten Verteidiger, der nach erfüllter Pflicht zum
Heimgange gerüstet oben auf der Treppe erscheint, die teilnahmsvoll
beobachtenden Personen des Mittelgrundes und die links unten im Gespräch
befindliche weibliche Gruppe erhält die wahr empfundene Familienscene
eine wirksame Folie.
Liegt der jüngsten Schöpfuug des Künstlers, „Beim Auswanderungs-
agenten“, gleichfalls ein ernstes sociales Thema zu Grunde, so liefern andere
Werke den Beweis, dass auch das Bereich des Humoristischen für sein
Talent ein günstiges Feld bildet. Als Belege dafür dürfen besonders zwei
höchst gelungene Kompositionen gelten, von denen die eine sich „Bauern-
protest“, die andere, von der städtischen Sammlung zu Magdeburg erworbene,
„Schwere Wahl“ betitelt. Während die erstgenannte aristokratische Inter-
essen mit denen des kleinen Mannes in komischem Konflikt zeigt, illustrirt
die andere in Form harmlos liebenswürdiger Satire, die an Stielersche
Dialektdichtungen ähnlichen Inhalts erinnert, durch ein ergötzliches Beispiel
die Konsequenzen des allgemeinen Stimmrechts, indem ein biederes Bäuerlein
am Wahltische zur Belustigung des wohllöblichen Comitees sich nicht klar
werden kann, was mit den draussen ihm in die Hand gespielten Stimm-
zetteln zu beginnen, während die anderen Wähler mit dem Selbstbewusstsein
überzeugungstreuer, „unentwegter" Parteigänger das Lokal betreten. Ein
glücklicher Blick für fesselnde Sujets, verbunden mit voller geistiger Be-
herrschung des jeweiligen Stoffes, die sich in dem sicheren Herausarbeiten
des Wesentlichen kundgiebt, lässt von Brütts Schaffen um so mehr weitere
bedeutende Leistungen erhoffen, als der Künstler, so förderlich seiner Ent-
wickelung Reisen nach Holland, Paris und Öberitalien offenbar gewesen
sind, mit vieler Beschränkung sein schönes: Talent auf die Wiedergabe
des nationalen Lebens der Gegenwart konzentrirt hat, das ohne Frage
trotz mancherlei Schwierigkeiten der künstlerischen Behandlung ebenso
würdig wie fähig ist, wenn anders eine selbständige Kraft die geeigneten
Stoffe aufzufinden und zu gestalten weiss.
23
XL.
ERHOLUNG
AUF DEM
MONTE PINCIO ZU ROM
VON
EMIL LÖWENTHAL.
Die jugendlichen Priesterzöglinge, die
in den winterlichen Anlagen des Monte
Pincio ihre Mussezeit dem Studium der
edlen Rauchkunst widmen, sind im Jahre
1883 den Besuchern der Internationalen
Kunstausstellung zu München bekannt
geworden. Der Maler des Bildes, Emil
Löwenthal, ward 1835 zu Jarotschin
(Provinz Posen) geboren und kam, ur-
sprünglich für den ärztlichen Beruf be-
stimmt , frühzeitig auf das Gymnasium
in Breslau. Schon hier wurde er durch
einen seiner Lehrer, einen Freund und
Beschreitung der Künstlerlaufbahn ermun-
':erk widmete sich derselben aber erst nach seiner Uebersiedlung an die
berliner Universität unter dem gewaltigen Eindrücke der alten Meister in
der Gemäldegallerie und der Cornelius’schen Kompositionen. Nachdem er
einige Jahre Steffecks Atelier besucht hatte, begab er sich zu Führich
nach Wien, wo er ein Stipendium für eine zweijährige Studienreise nach
Wnedig erhielt. In Berlin ward ihm später der Beer’sche Preis für den
besuch Roms zuerkannt, woselbst er 1861 eintraf und mit Otto Knille
Und Anselm Feuerbach in nähere Beziehung trat. Seine künstlerischen
Erfolge datiren vom Jahre 1863, in dem der New-Yorker Kunstfreund
^teavens drei Bilder von ihm ankaufte und ein Porträt seiner jungen
Gattin bei ihm bestellte, welches ihn zuerst in weiteren Kreisen bekannt
niachte. 1864 stellte er in der Royal Academy zu London ein Porträt
des Bildhauers John Gibson aus, das sich gegenwärtig in der Accademia
San Luca zu Rom befindet. Seine Beziehungen zu England gaben den
Anlass zu einer Reihe von Darstellungen aus der englischen Geschichte,
v°n denen die Scenen aus dem Leben der Jane Grey, der Tod Karls II.
Urid Maria Stuart an der Leiche des Sängers Riccio (Gallerie Raczynski
ln Berlin) genannt seien. Seine letzten Historienbilder, Margaretha und
Llcrezia Borgia, sind nach Amerika gewandert. Unter den Bildnissen
bekannter Persönlichkeiten, die in die letzten Jahre seiner Thätigkeit fallen,
das des Papstes, des Cardinals Ledochowski, des Prinzen G. Doria, des
Veichstagsabgeordneten Ed. Lasker, sowie der Fürstinnen Öttingen, Baratow
Urid Lubanow hervorzuheben.
Emil Löwenthal.
Sammler von Kuoferstichen. zur
XLI.
FREIGESPROCHEN
VON
FERDINAND BRÜTT.
Unter denjenigen neueren Genremalern
Deutschlands, die sich nicht mit Variationen
tausendfach behandelter Motive begnügen,
sondern aus der Mannigfaltigkeit des Lebens,
und zwar des spezifisch modernen und na-
tionalen Lebens wirklich interessante Scenen
herauszugreifen und in eigenartiger Weise
wiederzugeben wissen, hat sich Ferdinand
Brütt in Düsseldorf, von dem das vorliegende
Heft eine treffliche Arbeit neueren Datums
vorführt, trotz seiner verhältnissmässigen
rLlngen.
nach
Ferdinand Brütt.
Am 13. Juli
zurückgelegter Schulzeit zunächst der Lithographie, die jedoch seinem
Jugend bereits einen ehrenvollen Platz er-
1849 zu Hamburg geboren, widmete sich derselbe
auf höhere künstlerische Ziele gerichteten Streben nicht zu genügen ver-
mochte. Seinem eigentlichen Berufe wurde er, nachdem er die Gewerbe-
schule seiner Vaterstadt besucht hatte, erst im Jahre 1870 zugeführt, wo
es ihm ermöglicht wurde, die Kunstschule zu Weimar zu besuchen. Hier
fand er in den Historienmalern Wilhelm Pauwels und Albert Baur, sowie
dem Genremaler Karl Gussow Meister, die den nachhaltigsten Einfluss auf
ihn ausübten. Während seines Weimaraner Aufenthaltes, der sich auf sechs
Jahre erstreckte, bewährte Brütt sein Talent in einer ansehnlichen Zahl
von Bildern, von denen namentlich „Gestörte Ruhe“ und „Eine Bauern-
deputation“ Hervorhebung verdienen. Mit seiner nächsten bedeutenderen
Leistung, „Des Landes Hoffnung", trat der Künstler in Düsseldorf hervor,
wohin er 1876 übergesiedelt war und woselbst er mehrfache Wandlungen
durchmachte, neben den „Heimkehrenden Wallfahrern“ Interieurs aus der
Zopfzeit malte („Eine Audienz auf der Treppe“, „Die Bittstellerin“, „Braut-
zug“ u. s. w.), bis er sich mit Entschiedenheit dem seiner Begabung am
meisten entsprechenden Stoffgebiete, dem modernen Sittenbilde zuwandte.
Durch eingehende Interieurstudien machte er sich innig vertraut mit den
durch Luft und Licht bedingten Tonwirkungen und bewies nach dieser
Seite hin ein bedeutendes Können in seinen neueren, meist ernstere Gegen-
stände behandelnden Kompositionen. Bezeichnend für diese Richtung sind
Bilder wie „Verurteilt" (Düsseldorfer Kunsthalle), „Ein Besuch“ (Hamburger
Gallerie) und „Die Schuldverschreibung“. Ein besonders glücklicher Wurf
gelang" dem Künstler mit dem auf der Münchener Ausstellung 1883 höchst
beifällig aufgenommenen Gemälde „Aus bewegter Zeit“, welches den Ein-
druck der französischen Kriegserklärung 1870 im Konzertsaal einer rheinischen
Stadt mit dramatischer Lebendigkeit schildert.
Wie bereits mehreren früheren Werken Briitts ist auch dem von der
Berliner Jubiläumsausstellung her rühmlich bekannten Gemälde, das unser
Holzschnitt vergegenwärtigt, ein Vorgang aus der modernen Rechtspflege
zu Grunde gelegt. Den Mittelpunkt der Darstellung bildet ein Mann aus
dem Volke, der im Treppenhause eines Gerichtsgebäudfes von Weib und
Kind empfangen wird. Er ist freigesprochen, der Verdacht, der auf ihm
lastete, ist gehoben, sein ehrlicher Name wiederhergestellt — noch aber
wirken in ihm die aufregenden Eindrücke der letzten Tage, in der treuen
Lebensgefährtin die Angst und Sorge zu mächtig nach, als dass die Freude
über den glücklichen Ausgang zum Durchbruch gelangen könnte. Durch
die Nebenfiguren, den alten Verteidiger, der nach erfüllter Pflicht zum
Heimgange gerüstet oben auf der Treppe erscheint, die teilnahmsvoll
beobachtenden Personen des Mittelgrundes und die links unten im Gespräch
befindliche weibliche Gruppe erhält die wahr empfundene Familienscene
eine wirksame Folie.
Liegt der jüngsten Schöpfuug des Künstlers, „Beim Auswanderungs-
agenten“, gleichfalls ein ernstes sociales Thema zu Grunde, so liefern andere
Werke den Beweis, dass auch das Bereich des Humoristischen für sein
Talent ein günstiges Feld bildet. Als Belege dafür dürfen besonders zwei
höchst gelungene Kompositionen gelten, von denen die eine sich „Bauern-
protest“, die andere, von der städtischen Sammlung zu Magdeburg erworbene,
„Schwere Wahl“ betitelt. Während die erstgenannte aristokratische Inter-
essen mit denen des kleinen Mannes in komischem Konflikt zeigt, illustrirt
die andere in Form harmlos liebenswürdiger Satire, die an Stielersche
Dialektdichtungen ähnlichen Inhalts erinnert, durch ein ergötzliches Beispiel
die Konsequenzen des allgemeinen Stimmrechts, indem ein biederes Bäuerlein
am Wahltische zur Belustigung des wohllöblichen Comitees sich nicht klar
werden kann, was mit den draussen ihm in die Hand gespielten Stimm-
zetteln zu beginnen, während die anderen Wähler mit dem Selbstbewusstsein
überzeugungstreuer, „unentwegter" Parteigänger das Lokal betreten. Ein
glücklicher Blick für fesselnde Sujets, verbunden mit voller geistiger Be-
herrschung des jeweiligen Stoffes, die sich in dem sicheren Herausarbeiten
des Wesentlichen kundgiebt, lässt von Brütts Schaffen um so mehr weitere
bedeutende Leistungen erhoffen, als der Künstler, so förderlich seiner Ent-
wickelung Reisen nach Holland, Paris und Öberitalien offenbar gewesen
sind, mit vieler Beschränkung sein schönes: Talent auf die Wiedergabe
des nationalen Lebens der Gegenwart konzentrirt hat, das ohne Frage
trotz mancherlei Schwierigkeiten der künstlerischen Behandlung ebenso
würdig wie fähig ist, wenn anders eine selbständige Kraft die geeigneten
Stoffe aufzufinden und zu gestalten weiss.