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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1.1887

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Nr. 10
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Koehler, Robert: Arbeiterstrike in Belgien
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Ramirez, Manuel: Almosensammlung bei der Beerdigung des Don Alvaro de Luna
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https://doi.org/10.11588/diglit.48045#0114

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38

MODERNE KUNST.

die erregte Haltung, in welcher ihr Wortführer dem Chef entgegentritt,
lassen kaum darüber in Zweifel, dass der ausgebrochene Konflikt bereits
die Bahn einer gütlichen Unterhandlung verlassen hat und bald einen ähn-
lichen Charakter annehmen wird, wie ihn die Vorgänge in den Kohlen-
distrikten von Lüttich, Charleroi u. s. w. zeigten, wo die in Szene gesetzten
Plünderungen und Verheerungen die Versicherungen jener Sozialistenführer
Lügen straften, die so oft betont hatten, dass sie nur auf gesetzlichem
Wege eine Veränderung der gesellschaftlichen Zustände anstrebten. Be-
sonders bedrohlich war die belgische Arbeiterbewegung dadurch, dass die
Strikenden sich nicht damit begnügten, ihr sogenanntes „droit ä la greve“
auszuüben, sondern auch jene Genossen, die nichts davon wissen wollten,
zur Arbeitseinstellung zwangen. Der Sieg, den ihre Kameraden in Decaze-
ville davontrugen, erweckte bei den belgischen Arbeitern eine übertriebene
Vorstellung von ihrer Macht und Stärke, und das Hereinspielen politischer
Lockmittel, deren sich die Agitation der Führer bediente, wirkte noch
besonders anreizend auf die Massen, die in dem allgemeinen Stimmrecht
ein Universalmittel für die Hebung ihrer Lage erblickten, ohne zu erwägen,
dass dasselbe thatsächlich nirgends die bestehenden sozialen Verhältnisse
beseitigt hat. In jedem Falle haben die belgischen Unruhen wieder zu
ernstem Nachdenken über eine hochwichtige Frage angeregt, deren Lösung
voraussichtlich noch geraume Zeit erfordern, doch, wie zu hoffen, sich
schliesslich ebenfalls auf jener humanitären Grundlage vollziehen wird, auf
welcher die moderne Kulturwelt schon so manche scheinbar unbezwingliche
Schwierigkeit überwunden hat. d.

LXIX.

ALMOS ENSAMMLUN G
BEI DER

BEERDIGUNG DES DON ALVARO DE LUNA


VON
MANUEL RAM1REZ.

Nachdem die spanische Malerei, der die grossen Meister des
I 17. Jahrhunderts einen so hervorragenden Rang in der
Kunstgeschichte verschafft hatten, lange Zeit hindurch
einer bedenklichen Ermattung verfallen war, überraschte
es nicht wenig, als in der jüngsten Vergangenheit eine
Reihe: ganz ausserordentlicher Leistungen von dem
energischen Aufschwung Zeugnis ablegte, der jenseits der
Pyrenäen auf dem Gebiete der Malerei stattgefunden.
Namentlich war es die letzte internationale Kunstausstel-
lung zu München, auf welcher die spanische Malerei die
allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog und vielfach
lebhafte Anerkennung hervorrief. Allerdings erstreckte



sich dieselbe fast nur auf die eminente technische Meisterschaft, die in den

bezüglichen Werken zu Tage trat, während das grosse Publikum, dessen
Urteil in erster Linie von dem Gegenständlichen bestimmt zu werden
pflegt, durch den meist abstossenden Inhalt und die brutale Realistik der
Auffassung an einer vollen Würdigung2 dieser Gemälde verhindert ward.
In der That erinnerten Gräuelszenen wie Casados „Glocke von Huesca“, die
Darstellung jener unmenschlichen Rache, welche König Ramiro II. von
Arragonien an den Grossen seines Landes vollzog, Veras „Verteidigung
von Numantia“ u. s. w. nur zu sehr an die bluttriefendsten Kompositionen
eines Giuseppe Ribera, und die durch keinen versöhnenden Zug gemilderte
Grausamkeit drängte sich dermassen hervor, dass man sich unwillkürlich
fragte, wie genial veranlagte Künstler auf derartige Vorwürfe * verfallen
konnten, die wohl dem Geiste der Zeiten eines Torquemada und Peter
Arbuez entsprechen, der Denkweise des neunzehnten Jahrhunderts aber
so sehr zuwiderlaufen, dass man sie, um mit dem Dichter zu reden,
„mit Nacht bedecken sollte“, wenn sie auch leider als historische Thatsachen
nicht aus der Welt zu schaffen sind. Immerhin waren jene Gemälde
interessante volkspsychologische Erscheinungen, die augenfällig genug

bezeugten, dass eine Nation mit der düsteren Vergangenheit der spanischen
die Grenzen des künstlerisch Darstellbaren nach der Seite des Grässlichen
und Nervenaufregenden auch heute noch wesentlich weiter zu ziehen gestattet
als andere, deren ästhetischem Standpunkt es widerstrebt, an Stelle des
Tragischen das rein Pathologische treten zu sehen. Charakteristisch für
die Richtung der neueren spanischen Kunst, die, der gemütvollen Sitten-
schilderung im Sinne der deutschen Malerei abhold, sich fast nur in schroffen
Gegensätzen zu bewegen liebt, waren auch die spanischen Genrebilder der
genannten Ausstellung, die sich mit Vorliebe an die leichtfertige Art eines
Francisco Goya anschlossen.
Zu denjenigen Kompositionen, welche damals in München durch ihr
düsteres Sujet, zugleich aber durch ein hochbedeutendes künstlerisches
Können Aufsehen erregten, gehörte auch das in vorliegender Lieferung
reproduzirte Gemälde des Manuel Ramirez, das in meisterhaft gemalten
lebensgrossen Figuren eine blutige Episode aus der an Gräueln so reichen
spanischen Geschichte veranschaulicht. Das Leben des Don Alvaro de Luna
bildet eine Kette von abenteuerlichen Schicksalen, wie sie die fruchtbarste
Phantasie eines Romanschreibers kaum zu ersinnen vermöchte. Im Jahre
1388 in Arragonien aus einer illegitimen Verbindung entsprossen, erlangte
der begabte Knabe die Gunst des Papstes Benedikts XIII., von dem er
auch den Namen erhielt, unter welchem er nachmals eine so wichtige Rolle
zu spielen bestimmt war. Schon mit zwanzig Jahren kam er an den könig-
lichen Hof und wurde der Genosse und Freund des Kronprinzen und
späteren Regenten Don Juans II. von Kastilien, in dessen Vertrauen er
sich dermassen festzusetzen wusste, dass weder die eifersüchtige Mutter
desselben noch der Neid der Höflinge etwas gegen ihn vermochte. Mit
der Thronbesteigung seines Gönners begann für den ehrgeizigen jungen
Mann die Zeit schnellen Emporsteigens, und schon mit fünfunddreissig Jahren
sah er sich als Konnetabel von Kastilien zu der höchsten Würde erhoben.
Doch nicht zufrieden mit diesem Erfolge, liess er kein Mittel unbenutzt,
um auch im Privatleben des Königs alles nach seinem Sinne zu leiten,
ja er ging so weit, ein Verhältnis mit dessen Gattin anzuknüpfen, die er
ihm wider seinen Willen aufgedrängt. Obwohl dem Fürsten die Ränke
des Treulosen nicht verborgen blieben und er ihn zweimal in die Ver-
bannung sandte, konnte er dennoch den Mann, der sich ihm unentbehrlich
zu machen gewusst, auf die Dauer nicht missen, und zog ihn immer wieder
an seinen Hof, indem er ihn mit neuen Ehren überhäufte. Zum Befehlshaber
der gesamten kastilianischen Armee ernannt und im Besitze unermesslicher
Schätze, die er sich durch schnödeste Bedrückung des Landes erworben,
kannte Don Alvaro dennoch keinen Halt auf der tollen Jagd nach Macht
und Ehre. Seine Vermählung mit einer Fürstentochter, der Infantin Maria
von Portugal, erschöpfte jedoch die Langmut des Königs, dem nunmehr
für die eigene Herrschaft Gefahr drohte; dazu kam, dass in Toledo die
Erpressungen des Konnetabels einen Volksaufstand zur Folge hatten, dem
sogar der Sohn des Königs seine Unterstützung lieh. Mit diesem Ereignis
war der Sturz des Uebermütigen eingeleitet, der mehr als vier Jahrzehnte
lang der Herr seines Gebieters gewesen war. Zwar hielt er selbst es noch
nach seiner Verhaftung nicht für möglich, dass das Glück, mit dem er so
verwegenes Spiel getrieben, ihm seine Gunst entziehen werde, allein die
flehentlichsten Bitten blieben fruchtlos gegenüber seinen zahlreichen Wider-
sachern, die seine Verurteilung zum Tode durchsetzten. Und so endete
der Mann, den das Geschick auf den höchsten Gipfel emporgetragen, im
Jahre 1453 zu Valladolid durch Henkershand, wie die doppelsinnige
Prophezeiung eines Astrologen es ihm verkündet hatte, laut welcher er
im „Cadahalso“ sterben sollte; es war dies der Name eines seiner Güter,
das er von jener Zeit ab sorglich mied, bezeichnet aber zugleich im
Spanischen das Schafott, das thatsächlich zur Endstation seines Lebens
wurde. Der Kopf des Hingerichteten ward an einem Pfahle befestigt, und
auf der Richtstätte ein Becken für die Almosen aufgestellt, welche die
Anwesenden dem Brauche gemäss zur Bestattung des Leichnams dar-
brachten. Noch an diesem zeigte sich, wenn auch in umgekehrter Folge,
der jähe Wechsel des Schicksals, der im Leben Alvaros so grell hervor-
getreten ; nachdem er zuerst auf der Beerdigungsstätte der Verbrecher ein-
gescharrt worden, ward er nach einigen Tagen in die Kathedrale zu Toledo
übergeführt, wo sich der stolze Konnetabel auf der Höhe seines Glückes
eine prachtvolle Grabkapelle hatte erbauen lassen. d.
 
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