Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1.1887

DOI Heft:
Nr. 12
DOI Artikel:
Holmberg, August: In der Klosterbibliothek
DOI Artikel:
Loustauneau, A.: Zwei Leidensgenossinnen: zu den Bildern: "Eine Vernunftheirat" und "eine Konvenienzheirat"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48045#0138

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

47

Altertum entlehnte er die anmutige Gestalt eines jungen Mädchens, das
einem Kätzchen zu seinem Erstaunen einen Handspiegel vorhält. In seiner
eigensten Sphäre aber zeigte den Künstler das von feinstem Humor erfüllte
Bild „Der Patronatsherr“, dem in einer Kirchenbaukonferenz von einem
Mönche durch ein Modell die Notwendigkeit eines Neubaues demonstrirt
wird, während ein hoher kirchlicher Würdenträger offenbar schon durch
seine blosse Anwesenheit den schüchternen Landjunker zu einer zustimmenden
Entschliessung hindrängt. Wesentlich von koloristischen Gesichtspunkten
bestimmt waren mehrere Einzelfiguren, so ein junger Kavalier, der vor
dem Duell nachdenklich auf einer Bank lehnt, ein Bild von überaus feinem,
ins Graue gestimmten Gesammtton, der an die Art eines van der Meer von
Delft erinnerte; auch der „Mandolinenspieler“, der sich vor eleganten Damen
in einem prächtigen Renaissancegemach produzirt, war von bezaubernder
koloristischer Wirkung. Unter den neuesten Werken des Künstlers sind
besonders hervorzuheben eine Schachpartie, an der sich vier Mönche teils
thätig, teils als Zuschauer beteiligen, eine „Vorlesung“, die zwischen zwei
Prälaten in prunkvollem Raume stattfindet, und das verwandte Bild „Alte
Freunde“, zwei greise Geistliche, die in inniger Gemeinschaft der Lektüre
eines Buches obliegen; im Gegensätze zu Grützner und seinen Nachahmern,
die mit Vorliebe die komischen Seiten des katholischen Klerus behandeln,
ist hier die überlegene Geistesbildung und vornehme Haltung, welche die
höheren Vertreter desselben kennzeichnet, mit überzeugender Lebenswahr-
heit zum Ausdruck gebracht. Es begreift sich hiernach leicht, dass Holm-
berg auch im Porträtfache Vorzügliches geleistet hat; wir begnügen uns
mit dem Hinweis auf das meisterhafte Bildniss, welches auf der jüngsten
Berliner Ausstellung den Prinz-Regenten von Baiern in der spanischen
Tracht der Hubertusritter vorführte und allseitiger Anerkennung begegnete.
Erwägt man ferner, dass unser Künstler auch im Stillleben mit den besten
Meistern der Vergangenheit wetteifert und gelegentlich auch die Radirnadel
mit Fertigkeit handhabt, so gewinnt man hohe Achtung vor dieser viel-
seitigen Begabung, die, in beständigem Aufstreben begriffen, noch viele
erfreuliche Schöpfungen in Aussicht stellt. S.

LXXXIII—LXXX1V.
ZWEI LEIDENSGENOSSINNEN.
ZU DEN BILDERN:
„EINE VERNUNFTHEIRAT“ UND „EINE KONVENIENZHEIRAT“
VON
A. LOUSTAUNEAU.
NIZZA, io. September 1885.
Geliebte Florence!
Cjedenkst Du wohl noch bisweilen der schönen Zeiten, als wir im
Pensionat uns in jenen rosigen Zukunftsträumen wiegten, wie sie eben nur
jungen Mädchen möglich, die ohne jede Kenntniss des banalen Weltgetriebes
einer Anzahl alter vertrockneter Lehrerinnen und im übrigen ihrem guten
Stern überlassen sind? Wie haben wir damals geschwärmt und geschwelgt
in goldenen Hoffnungen und Entwürfen! Dem w i r die Hand einst reichen
würden, das musste mindestens ein Mann sein, in dem sich die Ideal-
gestalten der Feuillet und Ohnet und unsrer sonstigen Lieblingsfabulisten
zugleich verkörperten: an Schönheit und Jugendfeuer ein Apoll, ganz Zärt-
lichkeit, Hingabe und Ritterlichkeit, ein Mann von Geist, an dessen Seite
das Leben wie ein entzückendes Schauspiel dahinflösse und alle Wünsche,
die ein unerfahrenes Mädchenherz nährt, sich noch weit über alles Hoffen
verwirklichten!
Eine Reihe von Jahren ist darüber hingeschwunden, lang genug, um
uns über die leidige Wirklichkeit eines Besseren oder richtiger ausgedrückt
des geraden Gegenteils zu belehren, andrerseits aber — ich muss es
wenigstens von mir gestehen — nicht ausreichend, um jene jugendlichen
Wünsche schon ganz zum Schweigen zu bringen, trotz all den traurigen
Erfahrungen, durch welche die Prosa des Lebens unsre, ach, so kindlichen
Phantasmagorieen berichtigte. Ich darf wohl leider, liebe Florence, im

Pluriel reden, da sich kaum hoffen lässt, dass seit unserem flüchtigen Wieder-
sehen im vorigen Jahr ein wesentlicher Umschwung in Deiner Lage ein-
getreten. Gleich wohl erscheinst Du mir, wenn ich Vergleiche zwischen
uns ziehe, entschieden als die Begünstigtere oder, wenn Du willst, als die
minder Beklagenswerte von uns beiden: sind doch in Deiner Ehe wenigstens
einige Vorbedingungen erfüllt, die eine leidliche Existenz ermöglichen; Ihr
seid ja doch nach Alter und Vermögen, was man ein „passendes Paar“
nennt, und dass Du Dich in letzterer Beziehung auf ein Plus von einigen
100 000 Francs berufen kannst, ist für die Freiheit Deiner Bewegung gewiss
nicht zu unterschätzen. Ihr seid Euch innerlich fremd, Wie Du mir feuchten
Auges klagtest, und werdet es immer bleiben — mein Gott, ein Loos, das
Du mit Tausenden teilst und über das auch Dich die Zeit trösten wird
und hoffentlich wirksamer noch, wenn es nicht schon der Fall, der interes-
sante Dritte, der ja in Deinem reizenden Heim um so mehr Platz und
Gastrecht hat, als Dein Herr Gemahl Dich oft tagelang zum Strohwittwen-
tum begnadigt.
Um wie viel ungünstiger, meine teure Florence, sind m i r die Würfel
des Schicksals gefallen! Der ehrenvoll verabschiedete alte Oberst, dessen
Tochter ich sein könnte, erschien, Du weisst es, gerade noch rechtzeitig
als Familienfreund auf dem letzten Landgute, das meinem Vater, dem ver-
armten Edelmanne, von der Grossmut seiner Gläubiger noch belassen war,
um den sichern Ruin von uns abzuwenden und sich damit zugleich für sein
podagrageplagtes Alter eine Stütze zu erwerben, für die er in mir die
geeignetste Persönlichkeit gefunden zu haben glaubte. Ich übernahm die
Rolle mit der Resignation des mittellosen Mädchens, dem ausserdem nur
die Wahl blieb, sich selbst früher oder später eine Stelle als Gesell-
schafterin zu suchen, und führe nun seit Jahr und Tag das freudlose
Dasein einer Frau, die ihren Beruf verfehlte, wenn anders George Sand
Recht hat mit dem einst so begeistert von uns nachgesprochenen Worte,
dass die Tugend des Weibes die Liebe ....
Die Liebe, teuerste Florence, die Liebe! Wie oft sehne ich mich
danach, sie noch kosten zu dürfen, nur einmal im kurzen Leben! Oft
könnt’ ich ihn hassen, den alten Mann, der mein Gatte heisst und der
mich unter der Maske des edlen Retters um meine Jugend betrogen hat!
Was hab’ ich von der Welt, vom Leben, gefesselt an diesen Greis, der
mit Allem abgeschlossen, mir nichts zu bieten vermag als die fragwürdige
Unterhaltung, die beim Vorlesen der Zeitungen abfällt oder beim unvermeid-
lichen Schachspiel, das sich in fürchterlichen Pausen halbe Tage hindurch-
dehnt, bis endlich auch durch den Stand der Figuren das „Matt“ konstatirt
ist! Beneidenswerte Florence, die Du doch unter Menschen kommst, während
ich, von Argusaugen bewacht, zu klösterlicher Abgeschiedenheit verdammt bin.
Lass mich doch wieder häufiger von Dir hören, liebe Freundin! Du
hast ja jedenfalls neben soviel anderen Vorteilen auch den vor mir voraus,
dass Du als Gattin weit weniger engagirt bist als
Deine vielgeprüfte Lucie.
PARIS, 8. Oktbr. 1885.
Meine teure Lucie!
So bist Du also noch immer die Alte, die das eigne Geschick in den
schwärzesten Farben sieht und Andre glücklich preist, die ihrerseits wahr-
lich allen Grund hätten, sich an Deine Stelle zu wünschen! Dein Herr
Gemahl ist ja fürwahr das Muster eines Ehemannes, ein maitre de plaisir
verglichen mit dem meinigen! Soeben ist er fortgegangen, nachdem wir
zusammen gefrühstückt — will sagen in einem Zimmer, an einem Tische,
aber nicht anders als zwei wildfremde Reisende in einem Bahnhofsrestaurant,
j kaum zwei gleichgültige Phrasen mit einander wechselnd, er während des
Essens die neuesten Sportereignisse studirend, ich meinen Gedanken nach-
hängend, im Hintergründe der aufwartende Diener — dasselbe trostlose
1 Stillleben, das sich stets wiederholt, wenn mein Mann es nicht vorzieht,
j im Klub die Unterhaltung zu suchen, die eben nur die „Kameraden“ ihm
zu bieten vermögen. Wenn ich mir ausmale, dass dies zeitlebens so
weitergehen soll — beste Lucie, man schreibt nicht Alles, was man denkt,
denn auch Briefe haben ihre Schicksale, doch der Vergleich zwischen
unsrer beiderseitigen Lage fällt so sehr zu Deinen Gunsten aus, dass es
mir ebenso überflüssig wie gewagt erscheint, das Thema eingehender
zu erörtern.
 
Annotationen