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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1.1887

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Nr. 7
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Keller, Albert von: Kaiserin Faustina im Junotempel zu Praeneste
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Henner, Jean-Jacques: Die Waise: Gemäde
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https://doi.org/10.11588/diglit.48045#0085

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28

MODERNE KUNST.

XLIX.

KAISERIN FAUSTINA

JM JUNOTEMPEL ZU PRAENESTE

ALBERT KELLER.

Albert Keller.


Der Vorgang Alma Tademas, der in sei-
nen bekannten Gemälden die mannigfaltigsten
Scenen aus der Geschichte und dem Privat-
leben des Altertums zur Darstellung brachte,
wobei im Einklänge mit der Richtung unserer
exakten Zeit das Hauptgewicht auf eine
möglichst getreue Wiedergabe des Archäo-
logischen, der antiken Architekturen, Kostüme
und Gerätschaften zu fallen pflegt, hat auch
unter der jüngeren Künstlergeneration bereits
manches tüchtige Talent zur Nacheiferung

angeregt. Zu denjenigen, die sich mit besonderem Glück innerhalb dieses
Stofifkreises bewegen, gehört in vorderster Reihe Albert Keller, der

Schöpfer der in dieser Lieferung enthaltenen umfangreichen Komposition,
zu welcher eine Episode der römischen Kaiserzeit das Motiv geliehen hat.
Der historischen Ueberlieferung nach war die ältere Faustina, Gemahlin
des Antonius Pius, in Liebe zu einem Gladiator entbrannt, die sie ihrem kaiser-

lichen Gatten eingestanden hatte. Im Junotempel der im Sabinergebirge
gelegenen alten latinischen Stadt Praeneste — des heutigen Palestrina —
harrt sie, wie unser Bild es vergegenwärtigt, auf den Bescheid des Orakels,
das sie zur Hilfe angerufen und das in der Cella des Tempels zu Füssen
des Götterbildes erteilt wird. Dasselbe lautete dahin, dass der Gladiator

zu tödten sei und die Kaiserin sich in dessen Blute zu waschen habe. Nach¬

dem diese Weisung erfüllt, kehrte Faustina in Liebe zu ihrem Gemahl
zurück, der, als sie ihm im Jahre 141 nach nur dreijähriger Ehe durch den
Tod entrissen ward, den noch heute erhaltenen Tempel am römischen Forum
ihrem Gedächtniss weihte. *,
Unter den übrigen Arbeiten, zu denen Albert Keller durch das Studium
des klassischen Altertums angeregt wurde, verdienen namentlich Hervor-
hebung eine „Römische Villa“ mit zwei anmutigen Mädchengestalten, ferner
ein „Römisches Bad“, ausgezeichnet durch zauberhafte Licht- und Farben-
wirkung, und ein „Römischer Tempel“ mit umfangreicher figürlicher Staffage.
Wie bereits angedeutet, ist das altrömische Genre keineswegs die einzige
Sphäre unseres Künstlers, der, 1845 zu Gais im Kanton Appenzell geboren,
nach dem Tode seines Vaters mit der Mutter nach München übergesiedelt,
daselbst 'das Gymnasium und die Universität besuchte und sich alsdann
unter der Leitung Lenbachs und von Rambergs in der Malerei ausbildete,
in der er zuerst mit einem Gemälde „Chopin“ und „Audienz bei Ludwig XV“
selbständig auftrat.
In seinen späteren Werken verwertete Keller mit grossem Erfolg die
Anregungen, die er während seines Pariser Aufenthalts (1882—83) aus dem
Studium der neueren französischen Kunst gewonnen hatte. Namentlich
in seinen dem modernen Gesellschaftsleben entlehnten Kompositionen
bewährte er sich als einen der berufensten Mitstrebenden der neueren

französischen Meister, deren Geist er wie wenige erfasst hat und, weit
entfernt von unselbständiger Nachahmung, aufs Innigste mit deutschem
Wesen zu verschmelzen weiss Mit offenem Blicke das ganze weite Gebiet
der künstlerischen Stoffwelt umfassend, findet Keller nicht nur im klassi-
schen Altertum wie im Salon und Boudoir der Gegenwart dankbare Vor-
würfe, sondern hat daneben fast auf allen anderen Gebieten, in der histori-
schen, mythologischen und religiösen Malerei, sowie in der Landschaft und
im Porträt tüchtige, zum Teil hervorragende Leistungen aufzuweisen. Er
ist Ehrenmitglied der Münchener Akademie und wurde auf den Ausstel-
lungen zu München, Wien und Berlin durch goldene Medaillen ausgezeichnet.
—d.

L.

DIE WAISE.


GEMÄLDE
VON
JEAN JAQUES HENNER.

der Umgebung von braunem, tief in die Stirn herein-
gekämmtem Haar, schwarzem Schleiertuch, das zu beiden
Seiten des Hauptes und über die Schultern herniederwallt,
und schwarzem schlichtem Brautkleide, das den zart
knospenden Körper umschliesst, leuchtet aus der dunkeln
Bildtafel hell und in sonniger Wärme das feine, schmale,
noch halb kindliche Mädchenköpfchen und ein kleines,
nicht von jenem hochansteigenden Kleide bedecktes Stück
des Halses nur um so wirksamer hervor. Selbst die
Hände, die in einander gefaltet, auf der vorderen Ober-
kante des Kirchengestühls auf liegen, in welchem die
Kleine zu sitzen scheint, sind mit schwarzen Handschuhen

bekleidet, damit alles Licht ausschliesslich auf jene beiden Stellen konzentrirt
bleibe. Trübe noch vom Weinen und voll traurigen Ernstes blicken die
grossen dunkeln Augen des verwaisten Kindes geradeaus in die unsern.
Die fein gezeichneten Lippen des nun geschlossenen Mundes scheinen noch
leise zu zucken und zu beben, nachdem sie lange vom bitterlichen Schluchzen
bewegt gewesen sind. Nun nimmt sich das arme junge Herz zusammen,
— das kräftige Kinn deutet auf einen energischen Willen in dieser Mädchen-
seele, —• und lässt die Laute des Schmerzes verstummen, ob dieser selbst
auch völlig Besitz von ihr ergriffen habe. Es ist ein Bild von innig rüh-
render Macht des wahrsten Gefühlsausdrucks und von jener Gewalt der
malerischen Wirkung, welche dieser französische Meister noch in jedem seiner
(wenigstens der in den letzten beiden Jahrzehnten geschaffenen) Werke
zu erreichen wusste.

Henners Name weist auf die germanische Abstammung des gefeierten
Pariser Künstlers hin. Er ist zu Bernwiller im Elsass um die Mitte der
dreissiger Jahre geboren. Seine künstlerische Ausbildung hat er in der
Ecole des beaux arts und in den Ateliers zweier heute bereits etwas ver-
blassten älteren Pariser Malergrössen, die damals ihre Glanzzeit gehabt
und treffliche Schüler herangezogen haben: Drollings (1786—1851) und
Picots (1786—1767) gefunden. In der Konkurrenz um den grossen römi-
schen Preis errang er im Jahre 1858 den Sieg. Während des letzten
Vierteljahrhunderts entwickelte er eine, von immer wachsenden Erfolgen
gekrönte, fertige künstlerische Thätigkeit. Henner ist ein Meister von
heiligem Ernst der künstlerischen Gesinnung und des Strebens und von
echt poetischer Anlage. Seine Stärke liegt viel weniger in der Erfindung
und in der Natur-Beobachtung, als in der koloristisch-poetischen Stimmungs-
malerei und in der Kunst des plastischen körperhaften Herausarbeitens
seiner Gestalten mittelst einer ihm eigentümlichen weichen, alle festen Um-
risse hinwegschmelzenden Behandlungsweise.
Zu seinen bekanntesten Bildern gehören: die sich in eine Quelle
verwandelnde Nymphe Biblis, der nach dem Bade entschlafene Jüngling,
Susanna, die Idylle, die Najade, Magdalena in der Wüste, der barmherzige
Samariter, der Leichnam des Heilands, die Nymphe im Grase. Fast alle
diese nackten Gestalten quellen leuchtend wie das Gesicht unserer „Waise“
aus tiefen Dunkelheiten hervor.

Die Art der Behandlung und des Effekts kehrt regelmässig in jedem
neuen Bilde Henners wieder. Sie ist zu seinen persönlichen Manieren ge-
worden und lässt ein Henner’sches Werk unter Tausenden auf weite Ent¬

fernungen hin als solches sofort erkennen. In jedem aber fesselt uns der
Künstler trotzdem doch auch immer wieder durch neue und ihm ebenso eigen-
tümliche Vorgänge, sei es durch die Auffassung des Gegenstandes, die
Kunst der malerischen Durchführung, der fleischigen lebendigen Model-
lirung der hellen Gestalten, oder durch die meist ernste, tiefe, träumerisch-
poetische Stimmung, welche darüber ausgegossen ist. L. P.
 
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