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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1.1887

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Nr. 3
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Grützner, Eduard von: Ein Kleeblatt: Gemälde
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Firle, Walter: Morgenandacht in einem Holländischen Weisenhause
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von Schennis, F.: Abend im Park
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https://doi.org/10.11588/diglit.48045#0040

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MODERNE KUNST.

11

^uge seiner Erscheinung, seinem Blick, seiner Stellung, seiner Hand- und
k ingerbewegung veranschaulicht. In der Schärfe und Lebendigkeit der
Charakteristik stehen die beiden andern Genossen, die so glücklich sind,
mehr vertragen zu können als er, nicht gegen ihn zurück. Aber trotz
alledem möchte man dem Maler des Bildes dringend raten, auf die Schil-
derungen der Schnapstrunkenheit lieber zu verzichten. Man kann sich der
Komik nicht rein erfreuen, wenn man hinter derselben die wüste Gemein-
heit und das triste Elend lauern sieht.

XXL

MOR G E NANDAOIIT
IN EINEM
Holländischen waisenhause
. VON
WALTHER FIRLE.

Was für die Künstler der klassischen wie
der romantischen Schule, einst Italien, — das
alte, mehr und mehr aus der Wirklichkeit ver-
schwundene, — war, das ist für eine grosse Zahl
moderner Maler Holland geworden. Das Vater-
land des Rembrandt und der grossen Realisten
des 17. Jahrhunderts bietet ihnen nicht nur in
seinen öffentlichen und seinen Privatgalerieen
die , erlesensten und köstlichsten Werke der
Meister nach ihrem Herzen als Vorbilder, um
danach zu studiren und von ihnen zu lernen,
^lehr noch, so behaupten sie, werde ihr malerischer Sinn durch die Natur
des Landes und die Erscheinunng seiner alten Städte, durch die Feinheit
der Töne der von Feuchtigkeit erfüllten Luft, der grossen Weideflächen,
der gesammten Vegetation, der Meeresufer, der Backsteinhäuser hinter den
^aumreihen an den Grachten zu den Seiten der von Fahrzeugen aller Art
belebten Kanäle angeregt, verfeinert und veredelt. Paul Meyerheim, Fr. v. Uhde,
Liebermann, Claus Meyer, F. Skarbina, Herrmann, P. Höcker, Walther
Lirle sind hier unter diesen malenden deutschen „Hollandgängern“ vor Allem
Zü nennen. Sie danken ihrem Studienaufenthalt daselbst die stärkste und
Mächtigste Einwirkung auf ihre malerische Bildung, die Richtung ihres
Schaffens, die Entwicklung ihres Könnens. Auch an Motiven zu Gemälden
Laben ihnen das Land und verschiedene Klassen seiner Bevölkerung reiche
Ausbeute gewährt. Am wenigsten sind diese für Holland enthusiasmirten
Modernen deutschen Künstler seltsamerweise durch den gewaltigsten der
^niederländischen Meister, durch Rembrandt, beeinflusst worden. Gemein-
sam ist den Genannten, mit Ausnahme Paul Meyerheims, dessen Anfänge
lllld holländische Studien in eine viel weiter zurückliegende Zeit fallen, die
Neigung zu den hellsten, lichtesten Tonstimmungen, der kühle Silberton in
Liren Bildern. Die Gegenstände entweder im Freien, allseitig vom Tages-
licht umflossen, oder in ganz hellen, frei davon durchströmten Räumen genau
der Wirklichkeit entsprechend darzustellen, — darauf ist ihr malerisches
Streben vorzugsweise gerichtet. Das Original unsers Holzschnittes ist ein
Sehr bezeichnendes Beispiel dieser Tendenz der betreffenden Künstlergruppe,
ir blicken in das weite lichte, schmucklose Versammlungszimmer eines
^er grossen Mädchen-Waisenhäuser, welche die Menschenliebe und der
f
’onime Sinn der Gemeinden und der reichen Bürger in Amsterdam und
a,idern holländischen Städten seit Jahrhunderten so zahlreich ins Leben
Prüfen und so stattlich dotirt hat. Die bereits herangewachsenen Mädchen
schlanke Gestalten, in die einfache saubere Uniform der Zöglinge: schwarze
Köcke, weisse Häubchen, Schultertücher und Schürzen, gekleidet, — singen,
1111 Halbkreise nebeneinander stehend, von den Notenblättern in ihren Händen

Walther Firle.


ein frommes Morgenlied. Die alte Oberin im hohen Lehnstuhl, das Haupt
auf die Brust gesenkt, die Hände im Schooss gefaltet, scheint bei den
Klängen des von diesen jungen frischen Mädchenstimmen gesungenen Liedes
nicht nur zur Andacht gestimmt. Die tiefe Schwermut und Trauer des
hoffnungslosen Alters, der nie erlöschende Schmerz um alles unwieder-
bringlich verlorene Glück der Jugend hat sich ihrer Seele bemächtigt und
spricht ergreifend aus den Zügen und dem Blick des greisen Antlitzes.
Ganz und aufrichtig der Andacht hingegeben, steht hinter dem Tisch die
eine dienende Schulschwester des Hauses, die mit einem Pack Weisszeug
über dem Arm in das Zimmer getreten ist, mit gefalteten Händen, dem
Gesänge lauschend, da. Das helle Morgenlicht strömt durch die breiten
Schiebefenster in der Hintergrundwand in den Raum ein. Durch die Scheiben
erkennt man jenseits der Gasse die Häuser der dortigen Reihe mit ihren
teils rötlichen, teils steingrauen Wänden, ihren kleinrautigen Fenstern und
ihren mattroten Ziegeldächern. Das Licht säumt die Gestalten und Gegen-
stände mit hellen Kanten, und der Reflex des beleuchteten Dielenbodens
löst die Schatten der den Fenstern abgekehrten Partieen in silbriges klares
Helldunkel auf. Wenn das Studium und die höchst gewissenhafte Durch-
führung dieser interessanten Lichtwirkung in dem Bilde warme Anerkennung
verdient, so dankt das schöne Werk seinen grossen allgemeinen Erfolg
doch mehr noch der Liebenswürdigkeit und Feinheit, der Charakteristik der
Gestalten wie der Schilderung des einfachen Vorganges. Diese Mädchen
sind an Gesicht und Gestalt keine versüsslichten, ins Engelhafte gesteigerten
Idealwesen. Aber über-alle-ist eine schlichte, rührende Anmut, ein Hauch
der Unschuld und Lauterkeit des keuschen unberührten, halb kindlichen
Herzens ausgegossen, in welchem die Leidenschaften noch knospenhaft ge-
bunden schlafen-, die schlechten und bösen aber keinen Platz zu haben
scheinen. Mit den einfachsten Mitteln ist hier ein grosser und innig wohl-
thuender Gemütseindruck, und mit fast farblosen Tönen, —• Weiss, Schwarz,
Grau, Braungrün und wenigem mattgedämpftem Rot — eine koloristische
Wirkung von feinem Reiz erzeugt.
Dies Bild war das erste, welches (Anfang d. J. 1885) seines Malers
Namen in weiten Kreisen bekannt und geschätzt machte. Walther Firle
ist 1859 zu Breslau geboren. Ursprünglich zum Kaufmann bestimmt, ge-
lang es ihm doch bereits im 20. Jahre, diesen Beruf mit dem des Malers
zu vertauschen. Er begann sein künstlerisches Studium an der Akademie
zu München und im Atelier des Prof. Löfftz, besuchte dann Venedig und
Holland und erwarb sich so jene Reife der malerischen Anschauung und
des Könnens, für welche dies Bild einen glänzenden Beweis gibt.

XXII.
ABEND IM PARK
VON
von SCHENNIS.
Hans Emanuel Friedrich von Schennis
stammt aus einer Schweizer Familie. Er wurde
geboren am 17. Juni 1852 zu Elberfeld. Luxus
und Wohlleben umgaben ihn von Kindheit auf;
sein lebhafter Geist empfing eine freie, feine
Bildung, welche seine vielseitige Beanlagung
zum Verstehen und Geniessen alles Künstleri-
schen bald auch zu schöpferischer Bethätigung
anregte. Er wandte sich der Malerei zu und
besuchte zunächst das nahe Düsseldorf, ging
dann, seinem Lehrer Theodor Hagen, dem
Landschafter folgend, nach Weimar. Seine stark ausgeprägte Individualität
fand aber erst ihren eigenartigen Ausdruck, nachdem längere und wieder-
holte Reisen nach Italien und besonders nach Paris ihn ganz äusser
Zusammenhang mit aller Schule gebracht hatten. Von direktem Einfluss

F.

F. von Schennis.
 
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