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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1.1887

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Nr. 12
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Loustauneau, A.: Zwei Leidensgenossinnen: zu den Bildern: "Eine Vernunftheirat" und "eine Konvenienzheirat"
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Wagner, Paul: Morgengebet
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https://doi.org/10.11588/diglit.48045#0139

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MODERNE KUNST.

Der „interessante Dritte“, auf den Du anspielst, zeigt mir zu meiner
lebhaften Freude, dass Du im Grunde doch einer optimistischeren Welt-
anschauung huldigst, als der sonstige Ton Deiner Zeilen annehmen lässt.
Du glaubst also im Ernste, dass ein weibliches Wesen von unsrer Art
innerhalb der heutigen Pariser Männerwelt auch nur von fern etwas finden
könne, was ihm Ersatz für unerfüllte Wünsche böte? Man merkt es wohl,
dass Dir das hiesige Leben nie eigentlich vertraut geworden! Ich bitte
Dich, besuche nur zwei Wochen lang diese Salons, versuche es, an diesen
Herren der Schöpfung etwas anderes zu entdecken als Fadheit, Blasirtheit
und Interesselosigkeit für Alles, was über Schauspielerinnen und Courtisanen,
über Handicap, Hürdenrennen und Steeple-chase hinausgeht oder über Börsen-
fragen, politische Skandale und ähnliche Dinge, die sich natürlich besser
im Rauchzimmer als in Gegenwart von Damen behandeln lassen! Nein,
meine liebe Lucie, täuschen wir uns nicht über die traurige Wahrheit, dass
in Frankreich kein Feld mehr für interessante Erlebnisse und nun gar für
das, was Du unverbesserliche Schwärmerin als „Liebe“ bezeichnest!
Doch es sei ferne von mir, Deinen rührenden Glauben zu erschüttern,
so sehr ich auch fürchte, für Frankreich existiren Deine Ideale nur noch
in Romanen, und, um sie verkörpert zu sehen, muss man anderswo ge-
boren sein, etwa jenseits des Rheins, wo dem Vernehmen nach noch heute
neben Vernunft- und Konvenienzheiraten thatsächlich Ehen aus Neigung zu
Stande kommen sollen. Bestätigen es doch selbst Französinnen, die damals
vor 15 Jahren sich ebenfalls den nordischen Siegern ergaben und in Berlin,
Dresden u. s. w. gefunden haben, was wir umsonst ersehnen. Wie wäre
es, liebe Lucie, wenn Du für alle Fälle die verhasste Sprache der Prussiens
erlerntest ? Du hast ja Chancen ungleich aussichtsvollerer Art als
Deine arme Florence.

LXXXV.
MORGENGEBET.
VON
PAUL WAGNER.

Lieber Gott, mach’ mich fromm,
Dass ich in den Himmel komm“.

Täglich bet' ich so mit dir,
Und ich bin noch immer hier,
Sehe Mond und Sternenschein,
Doch er nimmt mich nicht hinein,
Und du, liebe Grossmama,
Bist ja selber noch nicht da. —

In den Himmel, liebes Kind,
Kommt man auch nicht so geschwind.
Erst das liebe lange Leben,
Sollst in vielen Sorgen schweben,
Bis zuletzt der bittre Tod
Dich befreit von aller Not.
Dann erst zieht er dich herfür
Durch die goldne Himmelsthür,
Führt dich zu der Englein Schar,
Die ihn preisen immerdar. —
Muss ich erst gestorben sein,
Will ich lieber gar nicht ’nein,
Grossmama, da bet’ ich eben
Um ein schönes langes Leben. —s.


Paul Wagner.
1881 arbeitete. Nachdem

Der Schöpfer unseres Bildes, Paul
Wagner, geboren am i. Januar 1852 zu
Rothenburg in Schlesien, war, ehe er
sich der höheren Kunst zuwandte, als
Glasmaler zu Schreiberhau im Riesen-
gebirge thätig; 1874 siedelte er nach
München über, um sich zunächst in der
dortigen Kunstgewerbschule und vom
Frühjahr 1875 an im Antikensaal der
kgl. Akademie für die künstlerische I.auf-
bahn vorzubilden; später studirte er
bei den Professoren Löfftz und Linden-
schmit, in dessen Komponirschule er bis
er sodann eine Studienreise nach Venedig unter¬

nommen, gründete er in München sich seinen Herd und schuf nunmehr eine

ansehnliche Reihe beifällig aufgenommener Genrebilder, die wie das von uns
reproduzirte Gemälde meist dem Kinderleben entlehnt sind und sich durch
frische, gemütvolle Auffassung wie gediegene Technik auszeichnen. Als die
hervorragendsten verdienen „Mutterglück“, „Andacht“, „Hans und Gretl“ (1882),
„Links oder rechts?“ „Frisch gewaschen“ (1883), „Die Schmeichler“, „Stets
Appetit“ (1884), „Die geduldige Grossmutter" „Libelle“ (1885), „Frühlings-
idylle“ (1886), „Liebe Grossmutter“, „Der wissbegierige Enkel“ und „Siesta"
(1887) genannt zu werden. Ausserdem schuf Wagner u. a. 1883 für den
neuen Saal des Münchener Börsenbazars zwei grössere Wandgemälde, das
venezianische Leben im 16. Jahrhundert behandelnd, ein Deckengemälde in
Augsburg, ein kleineres Wandbild mit Amoretten für Bremen, sämtlich
nach Keimschem Verfahren ausgeführt, und beteiligte sich ferner an der
Neumalung mehrerer Monumentalwerke, wie der „Schlacht bei Sendling"
an der Kirche dieses Ortes und des von Neherschen Wandgemäldes am
Isarthor, welches den Einzug Ludwigs des Baiern in München darstellt. d.
 
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