Ie(en, ihre Bilder zu betrachten. Mendelfohn hat dem (einigen
zwei Texte von Vorträgen vorausgefchickt. Sie find in den Jahren
1919 und 1923 in Berlin und Amfterdam gehalten worden, alfo in
den Jahren der Blüte des Expreffionismus, und das merkt man
ihnen an. Le Corbusier gibt als Einleitung einen kurzen perfönlich
gefärbten Text und wiederholt dabei einige der fundamentalen
Säße [einer Bücher. Beide aber begleiten ihre wichtigften Bauten
mit Skizzen, und da erweift lieh nun fchlagend, welches künftle-
rifche Element ihnen zu Gebote fteht. Mendelfohn ift der Meifter
der fog. „dynamifchen" Skizze, die die Gefamtform des Baues
rifch-rafch umreist und oft genug mit den Namen mufikalifcher
Spannungen belaftet wird. Strawinsky feßt fich ihm in ein Hoch-
haus um, ein Brückenkopf wird zur Bach-Fuge. Wir glauben heute
nicht mehr fo recht an diefe Affoziationen. Sie kommen uns kunft-
gewerblich vor, und der merkwürdig betonte Konfektionscharakter
von Mendelfohns Bauten (etwa der verfchiedenen Schocken-
Häufer) gibt diefer Meinung Recht. Dagegen find Le Corbusiers
Skizzen ausgefprochen konftruktiv. Sie packen den Bau in (einen
wirklichen architektonifchen Hauptelementen und machen Raum
und Körper unmittelbar lebendig. Hier liegt ohne Zweifel die be-
deutendere Kraft. „Architecturer", fagt Le Corbusier, „signifie pour
moi, agir par construction spirituelle".
Prolefarifches Theater — Zeitgemäße Oper!
Der Rechenfchaftsbericht, den Erwin Piscator unter dem Titel
,,Das politifche Theater” (im Verlag Adalbert Schulß, Berlin)
herausgegeben hat, ift zweifellos eines der intereffanteften Doku-
mente der Gegenwart und füllte von allen denen gelefen werden,
die heute Io faffungslos vor den nicht mehr aufzuhaltenden Pleiten
der ftaatlichen und kommunalen Bühnen ftehen. Piscator ift gegen
(ich felbft und andere (chonungslos. Er zieht die Bilanz und prüft
die Urfachen ihres negativen Ausfalls. Sein Refultat lautet wenig
hoffnungsvoll: „Ein prolefarifches Theater innerhalb unterer heu-
tigen Gefellfchaftsform aufzubauen, erweift fich als Unmöglichkeit.
Das prolefarifche Theater feßt voraus, daß das Proletariat auch über
die materiellen Mittel zum Unterhalt diefes Theaters verfügt, feßt
alfo voraus, daß das Proletariat (ich politifch und wirtfchaftlich als
herrfchende Macht konftituiert. Bis dahin kann untere Bühne nichts
anderes fein als ein r e v o I u t i o n ä r e s Theater, das feine Mittel
einfeßt zur ideologifchen Befreiung des Proletariats. ..." In hoc
signo wird die Arbeit weitergehen.
Inzwifchen ift der Prozeß der Aktualifierung der Bühne rapide
fortgefchritten. Das „Zeittheater", wie man es vorfichtig nennt,
bringt volle Kaffen und feiert Triumphe. Die Paftoren zetern. Selbft
die Oper, auf den Tod krank und von den Ärzten fchon heim-
lich aufgegeben, greift noch einmal nach der Medizin der fog.
„aktuellen" Stoffe. Man bringt „Leben von heute” auf die Bühne,
man läfjt Itatt Orpheus einen kleinen Bürger die beträchtlich mo-
dernifierte Arie fingen und hofft durch Verwendung riefiger Chöre
die Oper dort populär zu machen, wo (ie es noch nie war: unter
dem Volk, dem die freiwilligen Choriften angehören.
Man wird auf diefem Wege keinen Schritt weiter kommen. Eine
Kunftform, einft gefchaffen zum Amufement einer in jeder Hinficht
privilegierten Gefellfchaft, läfjt (ich nicht mit kleinen formalen Re-
tufchen auf eine im Politifchen wie im Sozialen völlig anders ge-
wordene Welt übertragen. Gibt es überhaupt einen Ausweg aus
diefem für die ftaatlichen und kommunalen Kaffen (o (chme-rzlichen
Dilemma, dann gewifj nur auf dem Wege, den Weill und Brecht
mit der „Dreigrofchen-Oper” und mit „Mahagonny” befchritten
haben. Es könnte fein, dafj die von (o viel Unruhe begleitete Ur-
aufführung von „Mahagonny” (Leipzig, 9. März 1930) für die Oper
wirklich zu einem Wendepunkt wird. Was da entfteht, ift allerdings
nicht mehr Oper im alten Sinne, es ift eine Art Singfpiel mit groß-
artigen Potenzierungen durch die Mufik. Und vor allem: Diefes
neue Spiel verläßt die splendid isolation der alten Oper und nimmt
klipp und klar Partei in den politifchen und (ozialen Kämpfen
unterer Zeit.
Bemerkungen zu Büchern
Reihenhäufer oder ,, Faffaden"? Um dem „häufigen Be-
gehren des Büchermarktes nach einem Faffaden-Werk nachzu-
kommen", hat Werner Hegemann mit dem unerfchöpflichen
Klifchee-Vorrat des Verlages ErnltWasmuth AG., Berlin
einen Band „Reihenhaus-Faffaden" zufammengeftellt.
Aber der Titel deckt (ich weder mit dem Untertitel „Gefchäfts- und
Wohnhäufer aus alter und neuer Zeit", noch, was fchlimmer ift,
mit dem Inhalt der 500 Abbildungen, und die kurze Einleitung
Hegemanns ift flau und müde. Wirklich wertvoll ift das Buch nur
dort, wo es die hervorragenden Reihenhaus-Faffaden des eng-
lifchen und deutfehen Klaffizismus zeigt. Alle neueren Beifpiele
aber find zum größten Teil gar keine Reihenhaus-Faffaden - was
hat etwa der völlig alleinftehende Hamburger „Sprinkenhof" mit
Reihenhäufern zu tun? — und die wirklichen Reihenhäufer aus
deutfehen Siedlungen find faft gar nicht vertreten; wahrfcheinlich
haben (ie nach Hegemann eben keine Faffaden! Und das iFt
gewiß kein Unglück.
Bei diefer Gelegenheit: Mit Beginn des neuen Jahres hat Hege-
mann (eine beiden Zeitfchriften „Wasmuths Monatshefte für Bau-
kunft" und „Städtebau" miteinander vereinigt.
Das I n d u f tr i e b i I d — eine neue K un It? So argumentiert
Agnes Waldftein in einem Bändchen des Furche-Verlags
Berlin. An knüpfend an eine Ausheilung des Folkwang-Mufeums
Elfen publiziert fie ein paar gute Malereien mit Fabriken, Hoch-
öfen, Arbeitern als Sujets, von Menzels „Eifenwalzwerk" bis zu
Heinrich Kley und Karl Großberg. Eine neue Kunft aber entfteht
aus diefer Erweiterung des Themas höchftens dann, wenn fich eine
wirklich (tarke Perfönlichkeit der Sache bemächtigt. Die Induftrie
allein tut es nicht. Gantner
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zwei Texte von Vorträgen vorausgefchickt. Sie find in den Jahren
1919 und 1923 in Berlin und Amfterdam gehalten worden, alfo in
den Jahren der Blüte des Expreffionismus, und das merkt man
ihnen an. Le Corbusier gibt als Einleitung einen kurzen perfönlich
gefärbten Text und wiederholt dabei einige der fundamentalen
Säße [einer Bücher. Beide aber begleiten ihre wichtigften Bauten
mit Skizzen, und da erweift lieh nun fchlagend, welches künftle-
rifche Element ihnen zu Gebote fteht. Mendelfohn ift der Meifter
der fog. „dynamifchen" Skizze, die die Gefamtform des Baues
rifch-rafch umreist und oft genug mit den Namen mufikalifcher
Spannungen belaftet wird. Strawinsky feßt fich ihm in ein Hoch-
haus um, ein Brückenkopf wird zur Bach-Fuge. Wir glauben heute
nicht mehr fo recht an diefe Affoziationen. Sie kommen uns kunft-
gewerblich vor, und der merkwürdig betonte Konfektionscharakter
von Mendelfohns Bauten (etwa der verfchiedenen Schocken-
Häufer) gibt diefer Meinung Recht. Dagegen find Le Corbusiers
Skizzen ausgefprochen konftruktiv. Sie packen den Bau in (einen
wirklichen architektonifchen Hauptelementen und machen Raum
und Körper unmittelbar lebendig. Hier liegt ohne Zweifel die be-
deutendere Kraft. „Architecturer", fagt Le Corbusier, „signifie pour
moi, agir par construction spirituelle".
Prolefarifches Theater — Zeitgemäße Oper!
Der Rechenfchaftsbericht, den Erwin Piscator unter dem Titel
,,Das politifche Theater” (im Verlag Adalbert Schulß, Berlin)
herausgegeben hat, ift zweifellos eines der intereffanteften Doku-
mente der Gegenwart und füllte von allen denen gelefen werden,
die heute Io faffungslos vor den nicht mehr aufzuhaltenden Pleiten
der ftaatlichen und kommunalen Bühnen ftehen. Piscator ift gegen
(ich felbft und andere (chonungslos. Er zieht die Bilanz und prüft
die Urfachen ihres negativen Ausfalls. Sein Refultat lautet wenig
hoffnungsvoll: „Ein prolefarifches Theater innerhalb unterer heu-
tigen Gefellfchaftsform aufzubauen, erweift fich als Unmöglichkeit.
Das prolefarifche Theater feßt voraus, daß das Proletariat auch über
die materiellen Mittel zum Unterhalt diefes Theaters verfügt, feßt
alfo voraus, daß das Proletariat (ich politifch und wirtfchaftlich als
herrfchende Macht konftituiert. Bis dahin kann untere Bühne nichts
anderes fein als ein r e v o I u t i o n ä r e s Theater, das feine Mittel
einfeßt zur ideologifchen Befreiung des Proletariats. ..." In hoc
signo wird die Arbeit weitergehen.
Inzwifchen ift der Prozeß der Aktualifierung der Bühne rapide
fortgefchritten. Das „Zeittheater", wie man es vorfichtig nennt,
bringt volle Kaffen und feiert Triumphe. Die Paftoren zetern. Selbft
die Oper, auf den Tod krank und von den Ärzten fchon heim-
lich aufgegeben, greift noch einmal nach der Medizin der fog.
„aktuellen" Stoffe. Man bringt „Leben von heute” auf die Bühne,
man läfjt Itatt Orpheus einen kleinen Bürger die beträchtlich mo-
dernifierte Arie fingen und hofft durch Verwendung riefiger Chöre
die Oper dort populär zu machen, wo (ie es noch nie war: unter
dem Volk, dem die freiwilligen Choriften angehören.
Man wird auf diefem Wege keinen Schritt weiter kommen. Eine
Kunftform, einft gefchaffen zum Amufement einer in jeder Hinficht
privilegierten Gefellfchaft, läfjt (ich nicht mit kleinen formalen Re-
tufchen auf eine im Politifchen wie im Sozialen völlig anders ge-
wordene Welt übertragen. Gibt es überhaupt einen Ausweg aus
diefem für die ftaatlichen und kommunalen Kaffen (o (chme-rzlichen
Dilemma, dann gewifj nur auf dem Wege, den Weill und Brecht
mit der „Dreigrofchen-Oper” und mit „Mahagonny” befchritten
haben. Es könnte fein, dafj die von (o viel Unruhe begleitete Ur-
aufführung von „Mahagonny” (Leipzig, 9. März 1930) für die Oper
wirklich zu einem Wendepunkt wird. Was da entfteht, ift allerdings
nicht mehr Oper im alten Sinne, es ift eine Art Singfpiel mit groß-
artigen Potenzierungen durch die Mufik. Und vor allem: Diefes
neue Spiel verläßt die splendid isolation der alten Oper und nimmt
klipp und klar Partei in den politifchen und (ozialen Kämpfen
unterer Zeit.
Bemerkungen zu Büchern
Reihenhäufer oder ,, Faffaden"? Um dem „häufigen Be-
gehren des Büchermarktes nach einem Faffaden-Werk nachzu-
kommen", hat Werner Hegemann mit dem unerfchöpflichen
Klifchee-Vorrat des Verlages ErnltWasmuth AG., Berlin
einen Band „Reihenhaus-Faffaden" zufammengeftellt.
Aber der Titel deckt (ich weder mit dem Untertitel „Gefchäfts- und
Wohnhäufer aus alter und neuer Zeit", noch, was fchlimmer ift,
mit dem Inhalt der 500 Abbildungen, und die kurze Einleitung
Hegemanns ift flau und müde. Wirklich wertvoll ift das Buch nur
dort, wo es die hervorragenden Reihenhaus-Faffaden des eng-
lifchen und deutfehen Klaffizismus zeigt. Alle neueren Beifpiele
aber find zum größten Teil gar keine Reihenhaus-Faffaden - was
hat etwa der völlig alleinftehende Hamburger „Sprinkenhof" mit
Reihenhäufern zu tun? — und die wirklichen Reihenhäufer aus
deutfehen Siedlungen find faft gar nicht vertreten; wahrfcheinlich
haben (ie nach Hegemann eben keine Faffaden! Und das iFt
gewiß kein Unglück.
Bei diefer Gelegenheit: Mit Beginn des neuen Jahres hat Hege-
mann (eine beiden Zeitfchriften „Wasmuths Monatshefte für Bau-
kunft" und „Städtebau" miteinander vereinigt.
Das I n d u f tr i e b i I d — eine neue K un It? So argumentiert
Agnes Waldftein in einem Bändchen des Furche-Verlags
Berlin. An knüpfend an eine Ausheilung des Folkwang-Mufeums
Elfen publiziert fie ein paar gute Malereien mit Fabriken, Hoch-
öfen, Arbeitern als Sujets, von Menzels „Eifenwalzwerk" bis zu
Heinrich Kley und Karl Großberg. Eine neue Kunft aber entfteht
aus diefer Erweiterung des Themas höchftens dann, wenn fich eine
wirklich (tarke Perfönlichkeit der Sache bemächtigt. Die Induftrie
allein tut es nicht. Gantner
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