BEMERKUNGEN
Kritifches zur Wiener Werkbundausltellung
Die Ausheilung des öfterreichifchen Werkbundes, die anläßlich
der Tagung des Deutlchen Werkbundes in Wien im „öfterreichi-
Ichen Mufeum" veranftaltet wurde, will nach ihrem Programm alle
jene öffentlichen Lokale zeigen, die „zu den täglichen Erlebnilfen
des Menlchen moderner Zivilifation" gehören. Ein ausgezeichneter,
wirklich lebendiger Gedanke. Man erwartet dem Programm nach
alfo jene von jedermann betretenen Räume, vom Poftamt bis zum
Innern vom Straßenbahnwagen und Omnibus, vom Kino bis zum
Verlammlungsraum, typifche Läden, Schulräume, öffentliche Sport-
lokale ulw.
Von alledem findet man in der Ausheilung nichts. Als öffentliche
Lokale (ind hier nur die einer befchränkten Oberfchicht zugäng-
lichen Luxuslokale verbanden, vom Schönheitslalon bis zum Vor-
führraum des großen Modehaufes, von der Likörttube bis zur Bar
mit Reptilienhaus. Es ift bezeichnend, daß felbft das volkstümliche
Lokal einer Expreß-Kaffeeftube in der Geftaltung zur Luxusbar
wird, daß an Läden eben nicht typifche Mufterläden als Vorbild
für normale Ladengefchäfte ausgewählt find, fondern BeiTpiele
eleganter Luxusläden, die notwendig eine ganz individuelle Ge-
ltaltung erfahren müffen und fomit für eine breitere Auswirkung,
wie fie gerade eine folche Ausheilung vermitteln könnte, über-
haupt nicht in Frage kommen. Daß der riefige, zeltartig geftaltete
Hauptraum einer rein äfthetifchen Wirkung vorbehalfen blieb,
geht in der gleichen Richtung. Er enthält nichts als einige fchmale
Mode-Vitrinen, die vom „Herrn am Morgen" bis zur „Dame am
Abend" die Requifiten des Exterieurs der guten Gefellfchaft zei-
gen, ein arbeitslofes Dafein vorgaukeln, das nur den „Herrn beim
Golffport" und die „Dame beim Spaziergang" kennt. Warum dies
theaterhafte Ideal der Diva und des Nichtstuers, anftatt die Aus-
wirkung der neuen knappen, präzifen Form in der Mode auf die
Breite des Volkes anzuzeigen? Daß die Erzeugniffe der großen
Modehäufer äfthetifchen Anfprüchen genügen, ift eine Selbffver-
ftändlichkeit, dagegen aus dem jedermann erfchwinglichen An-
gebot der Konfektion das herauszugreifen, was man als gut und
heutiger Lebensform entfprechend bejahen kann, wäre eine Tat
gewefen.
Nicht anders ift es mit dem Verfuch, eine überficht über Induftrie-
Erzeugniffe von einwandfreier Formgebung zu vermiheln. Man
hat offenbar den Fehler gemacht, (ich bei den Werkbund-Mit-
gliedern zu befcheiden, anftatt wählend aus der getarnten Pro-
duktion das Gute herauszugreifen.
So erfcheinen die induftriellen Serienerzeugnihe, wie die Krupp-
fchen Chromftahlgefäße, die Töpfe der Alumetag, die Hebeherde
ufw., nur um ihres Materialreizes zwilchen die mehr oder weniger
individuell geformten Luxuserzeugniffe eines hochwertigen Hand-
werks eingeftreut, das mit Stahlrohr nicht anders wie mit edlen
Hölzern und Gläfern fein unverbindliches Spiel zu treiben weiß.
An eine fyftematifcheüberficht überdas induffrielleSerienerzeugnis
vom Meffer bis zum Glas und Koffer ift gar nicht gedacht. Die
Stärke der Ausffellung ift das Kunftgewerbe alter Art und Form,
vom Edelglas bis zum handgetriebenen Tifchfilber und dem Luxus-
koffer aus Büffelhauf, Erzeugniffe, die nur für einen afoterifchen
Kreis in Frage kommen und vielfach an einer romantifchen Über-
wertung des Handwerks und der willkürlich individuellen Form
leiden. Für den allgemeinen Bedarf haben einzig die Thonet-
Möbel und einige Möbel der von Prof. Frank geleiteten Firma
„Haus und Garten" Bedeutung. Uns fcheint, daß troß der fühl-
baren Oppofition des öfterreichifchen Werkbundes gegen die
Berliner Werkbundgruppe um Gropius, Mies van der Rohe ufw.,
die ihr Ziel in der Erfaffung der getarnten induftriellen Produktion
und der formfchöpferifchen Auswertung der Totalität heutiger
wirtfchaftlicher und fozialerGegebenheiten fieht, der öfterreichifche
Werkbund bei (einer Programm wähl mitjnduftriehalle" und „öffent-
lichen Lokalen" doch nach Berlin gefchielt hat, anftatt dasjenige zum
Programm zu erheben, was öfterreich bei (einen beengten wirt-
(chaftlichen Bedingungen eigentümlich ift, und fo wie Hartlaub
„Das ewige Handwerk" zu zeigen. Zum Schluffe fei angemerkt,
daß der Eindruck der Wiener Werkbund-Ausftellung ausge-
glichenerwäre, wenn die kunftgewerbliche, zudem vielfach theater-
hafte, auf ein fnobiftifches Ausftellungs-Publikum eingeftellte Schau
im öfterreichifchen Mufeum durch die geplante, auf Bedürfniffe
breiterer Schichten zugefchnittene Einfamilien-Kleinhaus-Siedlung
ergänzt worden wäre, die aber leider er ft im nächften Jahre zur
Ausführung kommen (oll. Juftus Bier
und zur Berliner Bauausftellung!
55
Drei Bildchen aus dem Programmheft der großen Berliner Bauausftellung 1931 I
214
Kritifches zur Wiener Werkbundausltellung
Die Ausheilung des öfterreichifchen Werkbundes, die anläßlich
der Tagung des Deutlchen Werkbundes in Wien im „öfterreichi-
Ichen Mufeum" veranftaltet wurde, will nach ihrem Programm alle
jene öffentlichen Lokale zeigen, die „zu den täglichen Erlebnilfen
des Menlchen moderner Zivilifation" gehören. Ein ausgezeichneter,
wirklich lebendiger Gedanke. Man erwartet dem Programm nach
alfo jene von jedermann betretenen Räume, vom Poftamt bis zum
Innern vom Straßenbahnwagen und Omnibus, vom Kino bis zum
Verlammlungsraum, typifche Läden, Schulräume, öffentliche Sport-
lokale ulw.
Von alledem findet man in der Ausheilung nichts. Als öffentliche
Lokale (ind hier nur die einer befchränkten Oberfchicht zugäng-
lichen Luxuslokale verbanden, vom Schönheitslalon bis zum Vor-
führraum des großen Modehaufes, von der Likörttube bis zur Bar
mit Reptilienhaus. Es ift bezeichnend, daß felbft das volkstümliche
Lokal einer Expreß-Kaffeeftube in der Geftaltung zur Luxusbar
wird, daß an Läden eben nicht typifche Mufterläden als Vorbild
für normale Ladengefchäfte ausgewählt find, fondern BeiTpiele
eleganter Luxusläden, die notwendig eine ganz individuelle Ge-
ltaltung erfahren müffen und fomit für eine breitere Auswirkung,
wie fie gerade eine folche Ausheilung vermitteln könnte, über-
haupt nicht in Frage kommen. Daß der riefige, zeltartig geftaltete
Hauptraum einer rein äfthetifchen Wirkung vorbehalfen blieb,
geht in der gleichen Richtung. Er enthält nichts als einige fchmale
Mode-Vitrinen, die vom „Herrn am Morgen" bis zur „Dame am
Abend" die Requifiten des Exterieurs der guten Gefellfchaft zei-
gen, ein arbeitslofes Dafein vorgaukeln, das nur den „Herrn beim
Golffport" und die „Dame beim Spaziergang" kennt. Warum dies
theaterhafte Ideal der Diva und des Nichtstuers, anftatt die Aus-
wirkung der neuen knappen, präzifen Form in der Mode auf die
Breite des Volkes anzuzeigen? Daß die Erzeugniffe der großen
Modehäufer äfthetifchen Anfprüchen genügen, ift eine Selbffver-
ftändlichkeit, dagegen aus dem jedermann erfchwinglichen An-
gebot der Konfektion das herauszugreifen, was man als gut und
heutiger Lebensform entfprechend bejahen kann, wäre eine Tat
gewefen.
Nicht anders ift es mit dem Verfuch, eine überficht über Induftrie-
Erzeugniffe von einwandfreier Formgebung zu vermiheln. Man
hat offenbar den Fehler gemacht, (ich bei den Werkbund-Mit-
gliedern zu befcheiden, anftatt wählend aus der getarnten Pro-
duktion das Gute herauszugreifen.
So erfcheinen die induftriellen Serienerzeugnihe, wie die Krupp-
fchen Chromftahlgefäße, die Töpfe der Alumetag, die Hebeherde
ufw., nur um ihres Materialreizes zwilchen die mehr oder weniger
individuell geformten Luxuserzeugniffe eines hochwertigen Hand-
werks eingeftreut, das mit Stahlrohr nicht anders wie mit edlen
Hölzern und Gläfern fein unverbindliches Spiel zu treiben weiß.
An eine fyftematifcheüberficht überdas induffrielleSerienerzeugnis
vom Meffer bis zum Glas und Koffer ift gar nicht gedacht. Die
Stärke der Ausffellung ift das Kunftgewerbe alter Art und Form,
vom Edelglas bis zum handgetriebenen Tifchfilber und dem Luxus-
koffer aus Büffelhauf, Erzeugniffe, die nur für einen afoterifchen
Kreis in Frage kommen und vielfach an einer romantifchen Über-
wertung des Handwerks und der willkürlich individuellen Form
leiden. Für den allgemeinen Bedarf haben einzig die Thonet-
Möbel und einige Möbel der von Prof. Frank geleiteten Firma
„Haus und Garten" Bedeutung. Uns fcheint, daß troß der fühl-
baren Oppofition des öfterreichifchen Werkbundes gegen die
Berliner Werkbundgruppe um Gropius, Mies van der Rohe ufw.,
die ihr Ziel in der Erfaffung der getarnten induftriellen Produktion
und der formfchöpferifchen Auswertung der Totalität heutiger
wirtfchaftlicher und fozialerGegebenheiten fieht, der öfterreichifche
Werkbund bei (einer Programm wähl mitjnduftriehalle" und „öffent-
lichen Lokalen" doch nach Berlin gefchielt hat, anftatt dasjenige zum
Programm zu erheben, was öfterreich bei (einen beengten wirt-
(chaftlichen Bedingungen eigentümlich ift, und fo wie Hartlaub
„Das ewige Handwerk" zu zeigen. Zum Schluffe fei angemerkt,
daß der Eindruck der Wiener Werkbund-Ausftellung ausge-
glichenerwäre, wenn die kunftgewerbliche, zudem vielfach theater-
hafte, auf ein fnobiftifches Ausftellungs-Publikum eingeftellte Schau
im öfterreichifchen Mufeum durch die geplante, auf Bedürfniffe
breiterer Schichten zugefchnittene Einfamilien-Kleinhaus-Siedlung
ergänzt worden wäre, die aber leider er ft im nächften Jahre zur
Ausführung kommen (oll. Juftus Bier
und zur Berliner Bauausftellung!
55
Drei Bildchen aus dem Programmheft der großen Berliner Bauausftellung 1931 I
214