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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 4.1930

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M I T T E I

WAS BRINGT 1930?

Tanz

Noch vor kurzer Zeit (chien der Gegenfatj zwifchen den deutfchen
und franzöfifchen (emigrantenruffifchen) Arbeiten auf dem Gebiet
des Tanzes unüberbrückbar. Als Laban den erlten Verfuch einer
Annäherung machte, fand er auf Seiten des deutfchen Tanzes ftren-
ge Ablehnung. In Frankreich wurde die moderne Richtung des
Tanzes durch Diaghileff repräfentiert, deffen unerhörter Spürffnn
gerade in ftililtifchen Dingen das Ballett immer in vorderlter Kampf-
front hielt. In Deutfchland vermochte fich Laban nicht die finan-
ziellen Mittel zu verlchaffen, um feine künftlerifchen Ideen verwirk-
lichen zu können. Was auftrat, zeigte zumeift noch das Gelicht des
Expreffionismus. Nun hat es den Anfchein, daf) das neue Jahr hier
eine bedeutende Wendung bringen wird. Mary Wigman zeigte be-
reits in ihrem diesjährigen neuen Programm eine augenfällige
Wandlung. In Berlin foll Kurf Joof), einer der klügften modernen
Tanzregifleure das Ruder in die Hand bekommen, in Wien verlucht
man Bronislava Nijinska, die befähigfte Choreographin Diaghileffs
zu gewinnen. OskarSchlemmerarbeitet in Breslau an der Verwirk-
lichung feinesTanzftudios, Laban in Effen am Ausbau der Folkwang-
(chulen. Diele Konftellation gibt die Hoffnung, daf) die merkliche
Inflation des Tanzes endlich mit Erfolg bekämpft wird, daf) die
fchon lange gefuchfe Synthefe zwifchen Ballettechnik und neuem
Tanz ihre endgültige Form findet und dafj damit der Tanz in
Deutfchland feinen national begrenzten epilodenhaften Charakter
verliert. In Frankreich iff feit Diaghileffs Tod nichts zu erwarten,
Rußland hat fein Schwergewicht auf das politifche Theater gelegt,
andere Länder haben kaum Bedeutendes aufzuweifen. So kann
und muf) [ich die entfcheidende Entwicklung in Deutfchland voll-
ziehen, die fich in dem bereits eingelegten Stilwandel erfreulich
angekündigt hat. Schlee

BEMERKUNGEN

Neue „Ringe"

In Nürnberg hat (ich ein „Ring der Freunde neuer Kunft"
gebildet, in der Schweiz eine „Vereinigung der Freunde des
neuen Bauens", die gleich mit mehreren Ortsgruppen auf den
Plan treten konnte. Diele Gründungen wollen jede in ihrem Um-
kreis das tun, was eigentlich Aufgabe der Behörden wäre: die
Befchäftigung mit den brennendften Fragen der heutigen Kunft
und des neuen Bauens in der Öffentlichkeit intenfivieren, die Klä-
rung diefer Fragen vorbereiten, durch Vorträge, Ausheilungen
und Diskuffionen mithelfen an der großen Neubildung aller öffent-

SCHRIFTLEITUNG: DR. J. GANTNER, NEUE MAINZERSTRASSE

liehen Dinge, die fich jef)t vollzieht. Es find alfo in gewiffem Sinne
Neuauflagen jenes „Freien Bundes", den Wiehert fchon vor dem
Kriege in Mannheim gefchaffen hatte, und der heute noch blüht.
Nur geht man weiter in der Tendenz: Das Bekenntnis zu den
Leitungen der eigenen Zeit, die Arbeit an der Zukunft ift das A
und O der Bemühung. Wir wollen hoffen, daf) [ich bald über ganz
Europa ein Net) folcher entfehiedener Mithelfer ausbreite.

Foto^Auge

Die Bemerkung in Heft 12 zu der Diskuffion über neue Fotografie
fei hier ergänzt durch einen Hinweis auf das Buch „Foto-Auge",
das Franz Roh und Jan T f ch i ch o I d (im Verlag Dr. Franz
Wedekind, Stuttgart) foeben herausgebracht haben. 76 lehr gut
gewählte Fotos, faft lauter Anwendungen der Fotografie als
eines Hilfsmittels für beftimmte Zwecke. Leider ift Heartfield
zu fchwach vertreten, auch die Fliegeraufnahmen follten zahlreicher
fein, und die äußere Form und Aufmachung des Buches ift etwas
opulent. Sonft aber: eine ausgezeichnete Zufammenfaffung, mit
einem fehr klugen Texte von Franz Roh.

Stille in Genf!

Am 10. Januar 1930 hat der Völkerbund mit bemerkenswerter Laut-
lofigkeit das Feft (einer zehnjährigen Exiftenz gefeiert, über die
politifche Bilanz diefer typifchen Schöpfung einer ratlofen Diplo-
matie ift hier nicht zu reden, dagegen ift gerade in den Tagen des
Jubiläums das fchöne Buch über Le Corbusier und Pierre
Jeanneret erfchienen (von O. Stonorov und W. Boesiger, Ver-
lag Dr. Girsberger, Zürich), in welchem man, Bild neben Bild,
nachprüfen kann, wie die vom Völkerbund erwählten lieben Palaft-
architekten ihr eigenes Projekt, das felbft den Weifen des Völker-
bundes unbrauchbar vorkam, Schritt für Schritt mit den Ideen
Corbusiers ausgeftattet und umgemodelt haben. Zu dem mit dielen
fremden Federn gefchmückten Werk ift nun bekanntlich fchon let)tes
Jahr der Grundftein gelegt worden, und wir wollen nur hoffen,
daf) der Völkerbund noch am Leben ift, wenn fein Palaft endlich
eingeweiht werden kann. Das erwähnte Buch publiziert auch den
wenig bekannten zweiten Völkerbundsentwurf von Le Corbusier,
der nach der Verlegung des Bauplanes ausgearbeitet wurde und
den preisgekrönten erften an Klarheit übertrifft. Gfr.

DIE MITARBEITER DIESES HEFTES

Ernft Kallai, Kaiferftrafye 25, Berlin-Lichtenfelde

Afja Lacis, z. Z. Hardenbergftraf)e 1 a, Berlin-Charlottenburg

Alfred Schlee, Franzensring 27, Baden b. Wien

37, TELEFON RATHAUS 485 oder 857, FRANKFURT AM MAIN

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