DISKUS
Unter Theater-Heft Nr. 10
Sehr geehrter Herr Dr. Gantner!
Im Oktober - „Theater - Heft" des Neuen Frankfurt habe ich zu
meinem Bedauern einen Auflaß aus Ihrer Feder gefunden, der
geeignet ift, dem Theater und insbefondere der Oper in ihrer
heutigen, fchwierigen wirtlchaftlichen Situation empfindlich zu (cha-
den. Sie lehnen ftaatliche und ftädtifche Subventionen für das
Theater ab. Was wäre die Folge? Künftlerilche Privattheater? Sie
irren. Ich glaube: lediglich Getchäfts-Stagionen, aufgebaut auf
einige Stars mit fonft minderwertigem Perfonal und noch minder-
wertigeren Prinzipien, belonders in der Oper infolge ihres um-
fangreichen Apparates. Die künftlerifch geleitete Oper wäre für
den Privatgefchäffsmann alles eher als rentabel. Eine künftlerifch
geleitete Oper ohne Subventionen hat es bisher noch nie gege-
ben. Denken Sie an die hohen Subventionen der ruffifchen Theater
und fpeziell der Opern, die allein die Durchfeßung künftlerifcher
und fozialer Ziele ermöglichen, obgleich auch in Rußland die
ftaatlichen großen Opern noch keineswegs als in höchftem Sinne
moderne Inftitute anzufehen find. Dies habe ich im Vorjahre bei
dem Vortrag in Ihrer Vereinigung nach eigenen Eindrücken in
Moskau und Leningrad ausgeführt. Ich kenne Ihre perfönlichen
Intereffen an den Beftrebungen der Theater und im fpeziellen
Falle der Oper für neue Arbeit, dem „Neuen Frankfurt" ent-
fprechend. Sie werden diele Einteilung wohl auch für Ihren Artikel
vorausgefeßt haben. DerLeferlhresAuffaßesjedoch muß durch Ihre
Formulierung zu ganz anderen, für das Theater höchft negativen
Schlüffen gelangen, und das ift in dem Augenblick gefährlich, wo
wir in Gefahr kommen, Werte zu zerftören, ftatt Werte durch För-
derung zu neuen Zielen aufzubauen.
Zufammengefaßt: ich weif), daß Sie, fehr geehrter Herr Dr. Gant-
ner!, über die zukünftigen (oziologifchen und künftlerifchen Auf-
gaben der Oper mit mir übereinftimmen. Der wirtfchaftspolitifche
Weg ift jedoch nach Ihren Ausführungen mißverftändlich und in
der heutigen fchwierigen Situation der Oper gerade für jene po-
(itive Weiterentwicklung gefährlich, die wir lebten Endes doch
gemeinfam wünfchen.
Nicht Schließung der Oper durch Entzug der öffentlichen Mittel
müßte die Forderung (ein, fondern im Gegenteil: (teilt für das
Theater und insbefondere für die Oper, die durch ihren Apparat
darauf angewiefen ift, ftaatliche und ftädti fche Subventionen; aber
gebt fie zum Zwecke jener inneren Umgeftaltung der Oper, die
aus der alten gefellfchaftlichen Grundform das neue aktive mufi-
kalifche Theater fchafft.
Mit beiten Grüßen, Ihr
gez. Dr. Herbert Graf, Oberfpielleiter der Oper.
S I O N E N
Sehr geehrter Herr Dr. Graf!
Ihr Brief gibt mir die erwünfchfe Gelegenheit, noch einmal auf
das Theater-Heft zurückzukommen, deffen Sinn und Inhalt offenbar
in Frankfurt mißverftanden worden ift. Ich habe weder im Text
noch in den Bildern auf eine beftimmte Stadt Bezug genommen
mit einziger Ausnahme desHinweifesauf die damals bevorftehende
Frankfurter Aufführung von „Mahagonny" —, fondern ich wollte,
wie das im „Neuen Frankfurt" ja fchon oft gefchehen ift und noch
oft gefchehen wird, hinweifen auf prinzipiell wichtige Bemühungen
künftlerifcher Art zu einer Aktualifierung des modernen Theaters
(nicht nur der Oper), von welcher allein eine wirkliche Gefundung
erhoffl werden kann. Die Lefer des „Neuen Frankfurt" in der ganzen
Welt wiffen aus unferen zahlreichen Äußerungen zu diefem Thema,
daß wenige Zeitfchriften fo pofitiv bejahend zu einem modernen,
fozialen Theater (tehen wie wir. Daß aber diefes foziale Theater
noch gefchaffen werden muß, daß insbefondere, wie ich ausführte,
das dichterifche Material zu diefem außerordentlich fchweren Neu-
Aufbau noch nicht entfernt ausreicht ich glaube, das werden
gerade Sie, die Sie fo erfolgreich an der Modernifierung unterer
Oper arbeiten, am eheften zugeben.
Bleibt noch die Frage der Finanzierung. Die Verfchärfung der
wirtlchaftlichen Not feit dem Erfcheinen des Theaterheftes würde
mir die Antwort leicht machen. Allein auch ohne diele für alle
Gemeinden fo fchreckliche Lage - ich bin feit überzeugt, daß
das Theater in der allernächsten Zukunft, genau fo wie jedes
andere auf einfeitig bürgerlicher Bildung beruhende Kultur-Inftitut,
(ich langfam innerlich umbauen, vielleicht fogar, wenn die künft-
lerifchen Mittel nicht ausreichen, langfam abbauen muß. Die un-
geheuren Opfer des Staates und der Gemeinden für die Er-
haltung der Theater find etwas Großartiges, allein es find Opfer
aus allgemeinen Mitteln, nach deren Berechtigung zu fragen keiner
ehrlichen Kritik verwehrt werden darf. Schließlich macht auch der
opulentefteZufchußnoch keingutesTheater. Sondern: entfcheidend
wird für alle Zeiten der Zufammenklang des Künftlerifchen mit
dem Sozialen fein, und der fehlt im heutigen Theater bis auf
wenige Ausnahmen faft ganz. Ift er einmal da, vermag das Theater
einmal an das ganze Volk zu appellieren, dann wird jeder Zu-
fchuß aus allgemeinen Mitteln, Io wie heute in Rußland, berechtigt
fein. Ob er dann noch gebraucht wird, ob in gleicher Form und
Höhe wie heute, das wiffen wir nicht.
Jedenfalls aber: untere Bemühungen um die Wiederherftellung
diefes Zufammenklanges find gerade mit Bezug auf das Theater-
heft andern Ortes durchaus als folche verbanden worden — z. B.
Nr. 6 der „Blätter des Breslauer Stadttheaters", S. 95 —, und wenn
ich fchließlich die Überzeugung ausfpreche, daß Ihre fehr große
und untere befcheidene Arbeit an der Begründung eines wirklich
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Unter Theater-Heft Nr. 10
Sehr geehrter Herr Dr. Gantner!
Im Oktober - „Theater - Heft" des Neuen Frankfurt habe ich zu
meinem Bedauern einen Auflaß aus Ihrer Feder gefunden, der
geeignet ift, dem Theater und insbefondere der Oper in ihrer
heutigen, fchwierigen wirtlchaftlichen Situation empfindlich zu (cha-
den. Sie lehnen ftaatliche und ftädtifche Subventionen für das
Theater ab. Was wäre die Folge? Künftlerilche Privattheater? Sie
irren. Ich glaube: lediglich Getchäfts-Stagionen, aufgebaut auf
einige Stars mit fonft minderwertigem Perfonal und noch minder-
wertigeren Prinzipien, belonders in der Oper infolge ihres um-
fangreichen Apparates. Die künftlerifch geleitete Oper wäre für
den Privatgefchäffsmann alles eher als rentabel. Eine künftlerifch
geleitete Oper ohne Subventionen hat es bisher noch nie gege-
ben. Denken Sie an die hohen Subventionen der ruffifchen Theater
und fpeziell der Opern, die allein die Durchfeßung künftlerifcher
und fozialer Ziele ermöglichen, obgleich auch in Rußland die
ftaatlichen großen Opern noch keineswegs als in höchftem Sinne
moderne Inftitute anzufehen find. Dies habe ich im Vorjahre bei
dem Vortrag in Ihrer Vereinigung nach eigenen Eindrücken in
Moskau und Leningrad ausgeführt. Ich kenne Ihre perfönlichen
Intereffen an den Beftrebungen der Theater und im fpeziellen
Falle der Oper für neue Arbeit, dem „Neuen Frankfurt" ent-
fprechend. Sie werden diele Einteilung wohl auch für Ihren Artikel
vorausgefeßt haben. DerLeferlhresAuffaßesjedoch muß durch Ihre
Formulierung zu ganz anderen, für das Theater höchft negativen
Schlüffen gelangen, und das ift in dem Augenblick gefährlich, wo
wir in Gefahr kommen, Werte zu zerftören, ftatt Werte durch För-
derung zu neuen Zielen aufzubauen.
Zufammengefaßt: ich weif), daß Sie, fehr geehrter Herr Dr. Gant-
ner!, über die zukünftigen (oziologifchen und künftlerifchen Auf-
gaben der Oper mit mir übereinftimmen. Der wirtfchaftspolitifche
Weg ift jedoch nach Ihren Ausführungen mißverftändlich und in
der heutigen fchwierigen Situation der Oper gerade für jene po-
(itive Weiterentwicklung gefährlich, die wir lebten Endes doch
gemeinfam wünfchen.
Nicht Schließung der Oper durch Entzug der öffentlichen Mittel
müßte die Forderung (ein, fondern im Gegenteil: (teilt für das
Theater und insbefondere für die Oper, die durch ihren Apparat
darauf angewiefen ift, ftaatliche und ftädti fche Subventionen; aber
gebt fie zum Zwecke jener inneren Umgeftaltung der Oper, die
aus der alten gefellfchaftlichen Grundform das neue aktive mufi-
kalifche Theater fchafft.
Mit beiten Grüßen, Ihr
gez. Dr. Herbert Graf, Oberfpielleiter der Oper.
S I O N E N
Sehr geehrter Herr Dr. Graf!
Ihr Brief gibt mir die erwünfchfe Gelegenheit, noch einmal auf
das Theater-Heft zurückzukommen, deffen Sinn und Inhalt offenbar
in Frankfurt mißverftanden worden ift. Ich habe weder im Text
noch in den Bildern auf eine beftimmte Stadt Bezug genommen
mit einziger Ausnahme desHinweifesauf die damals bevorftehende
Frankfurter Aufführung von „Mahagonny" —, fondern ich wollte,
wie das im „Neuen Frankfurt" ja fchon oft gefchehen ift und noch
oft gefchehen wird, hinweifen auf prinzipiell wichtige Bemühungen
künftlerifcher Art zu einer Aktualifierung des modernen Theaters
(nicht nur der Oper), von welcher allein eine wirkliche Gefundung
erhoffl werden kann. Die Lefer des „Neuen Frankfurt" in der ganzen
Welt wiffen aus unferen zahlreichen Äußerungen zu diefem Thema,
daß wenige Zeitfchriften fo pofitiv bejahend zu einem modernen,
fozialen Theater (tehen wie wir. Daß aber diefes foziale Theater
noch gefchaffen werden muß, daß insbefondere, wie ich ausführte,
das dichterifche Material zu diefem außerordentlich fchweren Neu-
Aufbau noch nicht entfernt ausreicht ich glaube, das werden
gerade Sie, die Sie fo erfolgreich an der Modernifierung unterer
Oper arbeiten, am eheften zugeben.
Bleibt noch die Frage der Finanzierung. Die Verfchärfung der
wirtlchaftlichen Not feit dem Erfcheinen des Theaterheftes würde
mir die Antwort leicht machen. Allein auch ohne diele für alle
Gemeinden fo fchreckliche Lage - ich bin feit überzeugt, daß
das Theater in der allernächsten Zukunft, genau fo wie jedes
andere auf einfeitig bürgerlicher Bildung beruhende Kultur-Inftitut,
(ich langfam innerlich umbauen, vielleicht fogar, wenn die künft-
lerifchen Mittel nicht ausreichen, langfam abbauen muß. Die un-
geheuren Opfer des Staates und der Gemeinden für die Er-
haltung der Theater find etwas Großartiges, allein es find Opfer
aus allgemeinen Mitteln, nach deren Berechtigung zu fragen keiner
ehrlichen Kritik verwehrt werden darf. Schließlich macht auch der
opulentefteZufchußnoch keingutesTheater. Sondern: entfcheidend
wird für alle Zeiten der Zufammenklang des Künftlerifchen mit
dem Sozialen fein, und der fehlt im heutigen Theater bis auf
wenige Ausnahmen faft ganz. Ift er einmal da, vermag das Theater
einmal an das ganze Volk zu appellieren, dann wird jeder Zu-
fchuß aus allgemeinen Mitteln, Io wie heute in Rußland, berechtigt
fein. Ob er dann noch gebraucht wird, ob in gleicher Form und
Höhe wie heute, das wiffen wir nicht.
Jedenfalls aber: untere Bemühungen um die Wiederherftellung
diefes Zufammenklanges find gerade mit Bezug auf das Theater-
heft andern Ortes durchaus als folche verbanden worden — z. B.
Nr. 6 der „Blätter des Breslauer Stadttheaters", S. 95 —, und wenn
ich fchließlich die Überzeugung ausfpreche, daß Ihre fehr große
und untere befcheidene Arbeit an der Begründung eines wirklich
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