DAS NEUE
FRANKFURT
Internationale Monatsfchrift für die Probleme kultureller Neugeftaltung
Herausgegeben von Ernft May und Frih Wiehert
Schriftleitung: Dr. Jofeph Gantner
Im Verlag Englert und Schloffer in Frankfurt am Main
4. Jahrgang/Oktober 1930/Heft 10
i
Der Komponift ALBAN BERG. Porträt von Lilly Stei-
ner ■ The composer ALBAN BERG. Portrait by
Lilly Steiner • Portrait, par Lilly Steiner, de M.
ALBAN BERG, compositeur.
„Als vollgültiges Relultat eines neuen mufikalilchen
Formwillens in der Oper ift bisher nur Alban Bergs
„Wozzeck" anzutehen, ein Meifterwerk allerhöch-
ften Ranges." H. H. Stuckenfchmidt im „Kunftblatt"
Augult 1930.
WAS WIRD AUS DEM THEATER? Von J. Gantner
Wir ftehen wieder einmal am Beginn eines Theater-Winters. Wieder einmal
hat der ungeheure Apparat der Bühnen zu fpielen begonnen, wieder fließen
phantaftifche Summen aus den ftaatlichen und kommunalen Kaffen hinüber
in die Kaffen der Theater, und doch glaubt im Grunde niemand mehr fo recht
daran, dafj fie dort die Situation retten, und dal} fie dort anders wirken wer-
den, als wie die ftimulierenden Mittel zur Verlängerung einer Agonie. Einige
wenige Theater find inzwifchen eingegangen, andere haben fich zufammen-
gelegt, vielen find die Zufchüffe gekürzt worden, feitdem die Wohlfahrts-
unterftütjungen in die Kaffen der Gemeinden fo unheimliche Brefchen fchla-
gen_So wird weiter gefpielt und weiter darüber diskutiert, ob noch weiter
gefpielt werden foll, und da eine langfam abbröckelnde Schicht von wohl-
habenden und gebildeten Menfchen das Theater um allen Preis haben will,
fo wird es weiter beftehen und weiter vom Staate finanziert werden.
Wir wollen hier nicht die billigen Ratfehläge vermehren, die feit dem Beginn
der Krife zur Rettung einer faft hoffnungslos erfcheinenden Situation gegeben
worden find. Kaum einer von uns vermag noch einzufehen, aus welchen
Gründen das Theater fo ungeheure öffentliche Zufchüffe beanfpruchen darf,
während die Film-Bühne und auch fo manches Privat-Theater ohne diefe
goldene Krücke auskommen müffen und dabei meift noch Gefchäfte machen.
Man verteidigt diefen Anachronismus gerne mit dem Hinweis auf die Not-
wendigkeit künftlerifcher Experimente, die nur in der Luft der ftaatlich fub-
ventionierten Unabhängigkeit gedeihen könnten — ein Argument, das früher
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FRANKFURT
Internationale Monatsfchrift für die Probleme kultureller Neugeftaltung
Herausgegeben von Ernft May und Frih Wiehert
Schriftleitung: Dr. Jofeph Gantner
Im Verlag Englert und Schloffer in Frankfurt am Main
4. Jahrgang/Oktober 1930/Heft 10
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Der Komponift ALBAN BERG. Porträt von Lilly Stei-
ner ■ The composer ALBAN BERG. Portrait by
Lilly Steiner • Portrait, par Lilly Steiner, de M.
ALBAN BERG, compositeur.
„Als vollgültiges Relultat eines neuen mufikalilchen
Formwillens in der Oper ift bisher nur Alban Bergs
„Wozzeck" anzutehen, ein Meifterwerk allerhöch-
ften Ranges." H. H. Stuckenfchmidt im „Kunftblatt"
Augult 1930.
WAS WIRD AUS DEM THEATER? Von J. Gantner
Wir ftehen wieder einmal am Beginn eines Theater-Winters. Wieder einmal
hat der ungeheure Apparat der Bühnen zu fpielen begonnen, wieder fließen
phantaftifche Summen aus den ftaatlichen und kommunalen Kaffen hinüber
in die Kaffen der Theater, und doch glaubt im Grunde niemand mehr fo recht
daran, dafj fie dort die Situation retten, und dal} fie dort anders wirken wer-
den, als wie die ftimulierenden Mittel zur Verlängerung einer Agonie. Einige
wenige Theater find inzwifchen eingegangen, andere haben fich zufammen-
gelegt, vielen find die Zufchüffe gekürzt worden, feitdem die Wohlfahrts-
unterftütjungen in die Kaffen der Gemeinden fo unheimliche Brefchen fchla-
gen_So wird weiter gefpielt und weiter darüber diskutiert, ob noch weiter
gefpielt werden foll, und da eine langfam abbröckelnde Schicht von wohl-
habenden und gebildeten Menfchen das Theater um allen Preis haben will,
fo wird es weiter beftehen und weiter vom Staate finanziert werden.
Wir wollen hier nicht die billigen Ratfehläge vermehren, die feit dem Beginn
der Krife zur Rettung einer faft hoffnungslos erfcheinenden Situation gegeben
worden find. Kaum einer von uns vermag noch einzufehen, aus welchen
Gründen das Theater fo ungeheure öffentliche Zufchüffe beanfpruchen darf,
während die Film-Bühne und auch fo manches Privat-Theater ohne diefe
goldene Krücke auskommen müffen und dabei meift noch Gefchäfte machen.
Man verteidigt diefen Anachronismus gerne mit dem Hinweis auf die Not-
wendigkeit künftlerifcher Experimente, die nur in der Luft der ftaatlich fub-
ventionierten Unabhängigkeit gedeihen könnten — ein Argument, das früher
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