1. Problemaufriss und Forschungsfeld
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Funktionsträger und wurden in vielen Fällen vom König in ihr Amt eingesetzt8.
Ein zentraler Bestandteil des von Bischöfen produzierten Wissens über ihr Amt
und die rechte Ausübung dieses Amtes war hingegen die Verleihung ihres mi-
nisteriums von Gott/Christus. Das heißt, in diesem Konzept ging das Bischofsamt
mit all seinen Facetten — mitsamt der apostolischen Binde- und Lösegewalt —
nicht auf eine königliche Verleihung zurück, sondern stammt von Gott direkt
und wird durch Gott direkt vergeben. Dieser „caractere multiforme" (G. Bührer-
Thierry9) des Bischofsamtes hatte auch erhebliche Folgen für die Frage, was als
„Sünde" eines Bischofs aufgefasst werden konnte und wer für die Bestrafung
eines Bischofs eigentlich zuständig war — kirchenrechtliche Vorgaben für das
Vorgehen waren nicht eindeutig, ja sie wurden es noch nicht einmal mit der
Abfassung des Decetrum Gratiani10.
Wie relevant das im 9. Jahrhundert entwickelte Wissen für das 10. Jahrhun-
dert war, kann man auch an den bei der Absetzung Arnulfs von Reims vollzo-
genen Praktiken und symbolischen Handlungen wie Beichte, Bitte um Buße
sowie öffentliches Sündenbekenntnis erkennen. Sie folgten einem Vorbild aus
dem 9. Jahrhundert, nämlich der Absetzung Ebos von Reims im Jahr 835. Beiden
Fällen ist gemeinsam, dass die Vorwürfe gegen die Angeklagten sich auf ihr
Verhältnis zum König bezogen. In beiden Fällen wurde auf soziales Wissen
rekurriert und in beiden Fälle konnte keine allgemein akzeptierte Lösung ge-
funden werden. Nach Ebos Absetzung gab es jahrzehntelange Diskussionen um
die Rechtmäßigkeit, die Absetzung Arnulfs musste sogar wieder rückgängig
gemacht werden. Der Einsatz von sozial akzeptiertem Wissen ist zwar einerseits
notwendig (da es keine Handlungen ohne soziales Wissen gibt), kann aber oft
keine Eindeutigkeit schaffen, sondern es entstehen vielfach aus Konflikten neue
Konflikte, zumeist um die nachträgliche Deutung von Handlungen.
Die Bischöfe wurden gemessen an den Maßstäben, die an ihr Amt angelegt
wurden. Doch waren diese 991 die gleichen wie 835? Wenn man nicht davon
ausgeht, dass Wissen irgendwie „da" und natürlich ist, sondern durch Katego-
risierung geschaffen wird und soziales Wissen Macht determiniert11, so stellt sich
die Frage, wie dieses soziale Wissen, das an eine Gesellschaft und an soziale
Gruppen (Bischöfe) gebunden ist, unter gewandelten gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen weitergegeben sowie aktualisiert werden kann und welche
Rolle die Anwendung von Wissen in konkreten politischen Konstellationen
spielte. Da wir das soziale Wissen, das gesellschaftlich rückgebunden ist, nur in
den geschriebenen Texten rekonsturieren können, wäre auch zu fragen, wie sich
das soziale Wissen in gelehrtem Wissen, das von Expertengruppen produziert
und abgeschrieben wurde, manifestierte.
Konflikte wie Bischofsabsetzungen dienen in der Geschichtswissenschaft
schon länger als Fenster, um Einblicke in die politische Kultur und die Vorstel-
8 Wenn auch in Westfranken sehr viel weniger flächendeckend als in Ostfranken, vgl. Parisse,
Princes, S. 453-460.
9 Bührer-Thierry, Episcopat et royaute, S. 146.
10 Meyer-Gebel, Bischofsabsetzungen, S. 290.
11 Vgl. Landwehr, Diskurs-Macht-Wissen.
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Funktionsträger und wurden in vielen Fällen vom König in ihr Amt eingesetzt8.
Ein zentraler Bestandteil des von Bischöfen produzierten Wissens über ihr Amt
und die rechte Ausübung dieses Amtes war hingegen die Verleihung ihres mi-
nisteriums von Gott/Christus. Das heißt, in diesem Konzept ging das Bischofsamt
mit all seinen Facetten — mitsamt der apostolischen Binde- und Lösegewalt —
nicht auf eine königliche Verleihung zurück, sondern stammt von Gott direkt
und wird durch Gott direkt vergeben. Dieser „caractere multiforme" (G. Bührer-
Thierry9) des Bischofsamtes hatte auch erhebliche Folgen für die Frage, was als
„Sünde" eines Bischofs aufgefasst werden konnte und wer für die Bestrafung
eines Bischofs eigentlich zuständig war — kirchenrechtliche Vorgaben für das
Vorgehen waren nicht eindeutig, ja sie wurden es noch nicht einmal mit der
Abfassung des Decetrum Gratiani10.
Wie relevant das im 9. Jahrhundert entwickelte Wissen für das 10. Jahrhun-
dert war, kann man auch an den bei der Absetzung Arnulfs von Reims vollzo-
genen Praktiken und symbolischen Handlungen wie Beichte, Bitte um Buße
sowie öffentliches Sündenbekenntnis erkennen. Sie folgten einem Vorbild aus
dem 9. Jahrhundert, nämlich der Absetzung Ebos von Reims im Jahr 835. Beiden
Fällen ist gemeinsam, dass die Vorwürfe gegen die Angeklagten sich auf ihr
Verhältnis zum König bezogen. In beiden Fällen wurde auf soziales Wissen
rekurriert und in beiden Fälle konnte keine allgemein akzeptierte Lösung ge-
funden werden. Nach Ebos Absetzung gab es jahrzehntelange Diskussionen um
die Rechtmäßigkeit, die Absetzung Arnulfs musste sogar wieder rückgängig
gemacht werden. Der Einsatz von sozial akzeptiertem Wissen ist zwar einerseits
notwendig (da es keine Handlungen ohne soziales Wissen gibt), kann aber oft
keine Eindeutigkeit schaffen, sondern es entstehen vielfach aus Konflikten neue
Konflikte, zumeist um die nachträgliche Deutung von Handlungen.
Die Bischöfe wurden gemessen an den Maßstäben, die an ihr Amt angelegt
wurden. Doch waren diese 991 die gleichen wie 835? Wenn man nicht davon
ausgeht, dass Wissen irgendwie „da" und natürlich ist, sondern durch Katego-
risierung geschaffen wird und soziales Wissen Macht determiniert11, so stellt sich
die Frage, wie dieses soziale Wissen, das an eine Gesellschaft und an soziale
Gruppen (Bischöfe) gebunden ist, unter gewandelten gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen weitergegeben sowie aktualisiert werden kann und welche
Rolle die Anwendung von Wissen in konkreten politischen Konstellationen
spielte. Da wir das soziale Wissen, das gesellschaftlich rückgebunden ist, nur in
den geschriebenen Texten rekonsturieren können, wäre auch zu fragen, wie sich
das soziale Wissen in gelehrtem Wissen, das von Expertengruppen produziert
und abgeschrieben wurde, manifestierte.
Konflikte wie Bischofsabsetzungen dienen in der Geschichtswissenschaft
schon länger als Fenster, um Einblicke in die politische Kultur und die Vorstel-
8 Wenn auch in Westfranken sehr viel weniger flächendeckend als in Ostfranken, vgl. Parisse,
Princes, S. 453-460.
9 Bührer-Thierry, Episcopat et royaute, S. 146.
10 Meyer-Gebel, Bischofsabsetzungen, S. 290.
11 Vgl. Landwehr, Diskurs-Macht-Wissen.