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I. Einleitung
der rituellen Handlungen müsse laut Buc stärker Berücksichtigung finden. Bei
Schilderungen von Ritualen in historiographischen Texten handelt es sich laut
Buc um nachträgliche — oftmals — konkurrierende Deutungen und Interpreta-
tionen. Daher stehen Texte und Rituale in beständigem Wechselverhältnis, Texte
können Rituale entwerten. Das Berichten über „gescheiterte" Rituale kann Po-
sitionen/Haltungen in Konflikten den Boden entziehen. Die Kommunikation
über Rituale hätte unter dieser Perspektive weniger eine stabilisierende Funkti-
on, sondern würde sehr viel mehr der Polemik, statt des consensus unter den
Eliten dienen87. Gerade diese historiographischen Stellungnahmen aber dienen
laut Buc dazu, Einblicke in die spezifische politische Kultur des Frühmittelalters
zu gewinnen. Weniger die Rekonstruktion der Ereignisse als vielmehr die Un-
tersuchung der Art und Weise, wie Autoren die Ereignisse bewerten, führt zu
diesem Ziel. Denn ihre narrativen Bemühungen zeigen, was in der politischen
Kultur ihrer Zeit besonders wertgeschätzt wurde88. Auf diese Problematik sind
auch Philippe Depreux und Steffen Patzold in den letzten Jahren eingegangen.
Depreux betont in seiner Untersuchung der Gesten am karolingischen Hof, dass
die Beschreibungen und nachträglichen Deutungen der Handlungen ebenso
wichtig, wenn nicht wichtiger gewesen seien als die Handlungen selbst. Steffen
Patzold wies darauf hin, dass es sich bei allen Beschreibungen von rituellen/
symbolischen Handlungen in (historiographischen) Texten um eine Interpreta-
tion der Abläufe bzw. Stellungnahme handele89.
Diesen zentralen methodischen Prämissen wird Rechnung getragen, indem
in der vorliegenden Untersuchung stets die Textualität der untersuchten
Handlungen und ihre nachträgliche Wahrnehmung und Deutung berücksichtigt
wird. Durch die Analyse der symbolischen Handlungen und ihrer Bedeu-
tungszuschreibungen in Konflikten lassen sich wichtige Erkenntnisse über die
Generierung von politischer Ordnung gewinnen. Die politische Kultur90 der
späten Karolinger- und frühen Kapetingerzeit soll daher über die Untersuchung
der Bischofsabsetzungen in einem Ausschnitt greifbar werden.
2.3. Politik, Kultur und Wissen
In der Geschichtswissenschaft sind in den letzten Jahren besonders aus der
Frühneuzeit-Forschung wichtige theoretische Impulse zu einer Kulturgeschichte
87 Buc, Text and Ritual, S. 126 und 127. Buc wendet seinen Ansatz exemplarisch an den Diskus-
sionen um die Absetzung Gunthars von Köln und Thietgauds von Trier auf einer römischen
Synode 864 an (vgl. ebd. zum Beispiel S. 128-136; vgl. dazu auch das Kapitel „Die Absetzung
Gunthars von Köln und Thietgauds von Trier").
88 Ebd., S. 138.
89 Patzold, Amalar; vgl. auch Ders./Martschukat, Einführung in „Geschichtswissenschaft und
performative turn".
90 In einem kulturwissenschaftlichen Sinne verstanden als Sinnzusammenhang des als das „Poli-
tische" anerkannte und wahrgenommene, nicht im engeren Sinne politikwissenschaftlich als
Konglomerat von „Themen", die von der älteren Politikforschung vernachlässigt worden sind (s.
Mergel, Kulturgeschichte des Politischen).
I. Einleitung
der rituellen Handlungen müsse laut Buc stärker Berücksichtigung finden. Bei
Schilderungen von Ritualen in historiographischen Texten handelt es sich laut
Buc um nachträgliche — oftmals — konkurrierende Deutungen und Interpreta-
tionen. Daher stehen Texte und Rituale in beständigem Wechselverhältnis, Texte
können Rituale entwerten. Das Berichten über „gescheiterte" Rituale kann Po-
sitionen/Haltungen in Konflikten den Boden entziehen. Die Kommunikation
über Rituale hätte unter dieser Perspektive weniger eine stabilisierende Funkti-
on, sondern würde sehr viel mehr der Polemik, statt des consensus unter den
Eliten dienen87. Gerade diese historiographischen Stellungnahmen aber dienen
laut Buc dazu, Einblicke in die spezifische politische Kultur des Frühmittelalters
zu gewinnen. Weniger die Rekonstruktion der Ereignisse als vielmehr die Un-
tersuchung der Art und Weise, wie Autoren die Ereignisse bewerten, führt zu
diesem Ziel. Denn ihre narrativen Bemühungen zeigen, was in der politischen
Kultur ihrer Zeit besonders wertgeschätzt wurde88. Auf diese Problematik sind
auch Philippe Depreux und Steffen Patzold in den letzten Jahren eingegangen.
Depreux betont in seiner Untersuchung der Gesten am karolingischen Hof, dass
die Beschreibungen und nachträglichen Deutungen der Handlungen ebenso
wichtig, wenn nicht wichtiger gewesen seien als die Handlungen selbst. Steffen
Patzold wies darauf hin, dass es sich bei allen Beschreibungen von rituellen/
symbolischen Handlungen in (historiographischen) Texten um eine Interpreta-
tion der Abläufe bzw. Stellungnahme handele89.
Diesen zentralen methodischen Prämissen wird Rechnung getragen, indem
in der vorliegenden Untersuchung stets die Textualität der untersuchten
Handlungen und ihre nachträgliche Wahrnehmung und Deutung berücksichtigt
wird. Durch die Analyse der symbolischen Handlungen und ihrer Bedeu-
tungszuschreibungen in Konflikten lassen sich wichtige Erkenntnisse über die
Generierung von politischer Ordnung gewinnen. Die politische Kultur90 der
späten Karolinger- und frühen Kapetingerzeit soll daher über die Untersuchung
der Bischofsabsetzungen in einem Ausschnitt greifbar werden.
2.3. Politik, Kultur und Wissen
In der Geschichtswissenschaft sind in den letzten Jahren besonders aus der
Frühneuzeit-Forschung wichtige theoretische Impulse zu einer Kulturgeschichte
87 Buc, Text and Ritual, S. 126 und 127. Buc wendet seinen Ansatz exemplarisch an den Diskus-
sionen um die Absetzung Gunthars von Köln und Thietgauds von Trier auf einer römischen
Synode 864 an (vgl. ebd. zum Beispiel S. 128-136; vgl. dazu auch das Kapitel „Die Absetzung
Gunthars von Köln und Thietgauds von Trier").
88 Ebd., S. 138.
89 Patzold, Amalar; vgl. auch Ders./Martschukat, Einführung in „Geschichtswissenschaft und
performative turn".
90 In einem kulturwissenschaftlichen Sinne verstanden als Sinnzusammenhang des als das „Poli-
tische" anerkannte und wahrgenommene, nicht im engeren Sinne politikwissenschaftlich als
Konglomerat von „Themen", die von der älteren Politikforschung vernachlässigt worden sind (s.
Mergel, Kulturgeschichte des Politischen).