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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0074
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1. Die Vorstellungen Karls des Kahlen

73

In Savonnieres wurde ein beträchtlicher Aufwand betrieben, um die Anklage
gegen Wenilo zu eröffnen und öffentlich zu inszenieren. Doch es kam nie zu
einem Prozess. Über den Ausgang des Konflikts liegt uns nur die Aussage der
Annales Bertiniani vor, abgefasst von Prudentius von Troyes (zum damaligen
Zeitpunkt stand er schon im Konflikt mit Karl dem Kahlen):
Zum Jahr 859 vermerkt der Annalist Prudentius: Karius rex per diversa loca
conventus episcoporum agit, sed quarto a Tulio Leucorum miliario in villa Saponarias
cum Lothario et Karlo, nepotibus suis, regibus, sinodo episcoporum adsistens, libellum
accusationis adversus Guanilonem Agedinci Senonum metropolitanum episcopum
porrigit. Quae tarnen accio propter absentiam eiusdem Guanilonis episcopi dilata est.
Inde ad conloquium fratris sui Ludoici regis in insula Reni inter Antunnacum et Con-
fluentes properat. Cuius colloquii effectus differtur usque ad VIII. Kalendas Novembris
apud Basiliam civitatem. Quo Lodovico adveniente, Karius propter Lotharii absentiam ab
itinere coepto revertitur253.
Etwas später kommt Prudentius in seinem Jahresbericht unvermittelt wieder
auf diesen Konflikt zwischen Karl und Wenilo zurück: Guanilo episcopus Senonum
absque audientia episcoporum Karlo regi reconciliatur254.
Wenilo wurde laut Prudentius ohne Anhörung der Bischöfe mit König Karl
versöhnt255. Von wem und unter wessen Mitwirkung — wir wissen es nicht. Er
verschweigt die Vermittlung Herards von Tours, die oben beschrieben wurde.
Es kam im Grunde zu gar keinem Verfahren, sondern wir müssen davon
ausgehen, dass sich Wenilo und Karl „außergerichtlich" geeignet haben, ohne
geistliche oder weltliche gerichtliche Rechtsprechung, und dass der Konflikt in
Form einer Unterwerfung und Aussöhnung beigelegt worden ist256. Keiner der
Annalisten interessiert sich jedoch dafür — oder wollte dieses Ritual überliefern.
Ein Signal für das fehlende Band zwischen Hof und Historiograph?
Eine solche Aussöhnung zwischen König und Bischof steht auf den ersten
Blick nicht für das Pariser Modell, sondern ist eher in der Nähe von Versöh-
nungen mit weltlichen Großen anzusiedeln. Sie kann daher auch als Signal an
andere Laiengroße verstanden werden, dass der König nach der Krise der 857/
58er Jahre zur Versöhnung bereit ist. Wenilo wurde also wieder in Gnaden
aufgenommen. Einem solchen Akt gingen sicher Verhandlungen voraus, die,
wie so oft, im Bereich der Mündlichkeit anzusiedeln sind. Auch Hinweise auf
eventuelle Vermittler haben in diesem Fall keinerlei schriftlichen Niederschlag
gefunden257. Es handelt sich um die Versöhnung des Königs mit einem geistli-
chen Getreuen. Ob hierfür die gleichen Bedingungen wie für weltliche Getreue
galten, ist kaum erforscht. Wir haben aber mit dem Synodalbrief von 859 und
einem weiteren Brief Herards von Tours bischöfliche Mahnschreiben an Wenilo

253 Annales Bertiniani, ed. Grat, S. 80f.

254 Ebd., S. 82.

255 Zu Wenilo in den Annales Bertiniani vgl. Patzold, Episcopus, S. 397, 399 und den Exkurs unten.

256 Wir betreten hier das Feld der berühmten ALTHOFF'schen Spielregeln der Politik vgl. Althoff,
Spielregeln; Ders., Macht der Rituale.

257 Zu Vermittlern vgl. Kamp, Friedensstifter.
 
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