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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0082
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3. Exkurs: Der Fall Wenilos in der Historiographie

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anderen Gelegenheiten geäußert285. Zu verweisen wäre etwa auf seine Aussagen
zur Reichsversammlung 846 in Epernay, wo die notwendigen Ermahnungen der
Bischöfe (gemeint sind die Beschlüsse von Meaux-Paris) nicht ausreichend ge-
würdigt worden seien. Er kritisierte auch Karls Umgang mit Kirchengut und die
Vergabe von Abteien an Laien in seinem Jahresbericht zu 859. An keiner Stelle
aber deutet Prudentius in den Annalen das Verhalten Wenilos negativ, er nimmt
überhaupt keine Haltung dazu ein.
Bereits ab 844 änderte sich der Charakter der Annalen grundlegend: kö-
nigliches Handeln stand bei Prudentius nicht mehr im Mittelpunkt. Er hatte
vermutlich nicht mehr einfachen Zugang zu Informationen über das Zentrum
des Hofes, sondern verschiedene Nachrichten erreichten ihn ungeordnet auf
ganz unterschiedlichen Wegen286. Nelson erklärt dies mit seiner Abwesenheit
vom Hof. Vermutlich befand sich Prudentius von Troyes an der Seite seines
Metropoliten Wenilo von Sens und seines Grafen Odo von Troyes unter den
Unterstützern Ludwigs des Deutschen im Westfrankenreich287. Prudentius stellt
die Ereignisse von 858 verwirrend dar und erwähnt weder die an der Einladung
Beteiligten noch thematisiert er die Reaktionen im Westreich. Auch die Anklage
gegen Wenilo verschweigt er, obwohl er ihm höchstwahrscheinlich nahe ge-
standen hat.
Aus einem Brief Hinkmars von Reims wird offensichtlich, dass die Annalen
des Prudentius nicht verbreitet waren, vielleicht im damaligen Frankenreich nur
ein einziges Manuskript existierte288. Der König besaß zwar ein Exemplar, das
Hinkmar zur Ansicht vorlag, aber es scheint nicht so, als habe der König den Text
schon lange vorher gekannt. Die Führung der Annalen war also völlig vom Hof
abgekoppelt. Prudentius führte die Annalen nach seinen eigenen persönlichen
Bindungen und Einstellungen, nicht nach abstrakten Prinzipien289. Er war einer
Gruppe verpflichtet, die dem König sehr kritisch gegenüberstand, aber die An-
nalen dienten offensichtlich nicht als Propagandamittel.
Mit Hinkmar von Reims änderte sich der Charakter grundlegend und die
Annalen erhielten eine multifunktionale Ausrichtung. Sie adressierten sowohl
den Reimser Klerus, als auch Hinkmar selbst, den König und die Hoföffent-
lichkeit290. Diese Erkenntnisse über Prudentius von Troyes und seine Art der
Geschichtsschreibung erklären zwar, warum der Prozess gegen Wenilo in den
Annalen nicht erwähnt wird, ganz im Gegensatz zu der Absetzung Ebos 835
unter dem Hofkaplan Fulco in der Fortsetzung der Reichsannalen und den

285 Vgl. dazu Patzold, Episcopus, S. 399f.

286 Vgl. Nelson, Annals, S. 179.

287 Vgl. ebd. S. 181.

288 Hinkmar von Reims, Briefe, Nr. 187, MGH Epp. 8., S. 194-196, hier S. 196.

289 Vgl. Nelson, Annals, S. 182.

290 Vgl. Nelson, History-Writing, S. 441, auch wenn Nelson 1981 noch glaubte, die Annalen seien
eine Art „Privatarbeit" Hinkmars gewesen und dienten nicht der öffentlichen Verbreitung oder
der Kritik am König. Sie selbst revidierte diese Haltung grundsätzlich in diesem Aufsatz über
Hofhistoriographie von 1994.
 
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